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Ausgabe:

Februar/2009

Spalte:

211-213

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Müller, Helmut A. [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Evolution: Woher und Wohin? Antworten aus Religion, Natur- und Geisteswissenschaften.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2008. 264 S. gr.8° = Religion, Theologie und Naturwissenschaft, 11. Geb. EUR 49,90. ISBN 978-3-525-56984-9.

Rezensent:

Joachim Weinhardt

Dieser informative und gut lesbare Band enthält 14 Vorträge von 13 Autoren und Autorinnen. Sie behandeln das Thema »Evolution«  u. a. in biologischer, erkenntnistheoretischer, musikwissenschaftlicher und psychotherapeutischer Hinsicht. Hier werden nur solche Beiträge vorgestellt, die im theologisch-naturwissenschaftlichen Dialog angesiedelt sind.
Eine Perle glänzt am Anfang des Buches: John Polkinghorne, Physiker und anglikanischer Theologe, gibt in An Evolving Creation and its Future (17–25) eine Kurzdarstellung seiner physikalisch-schöpfungstheologischen Synthese mit eschatologischen Ausbli­cken. Dass sich aus den Anfangsbedingungen des Universums eine Struktur entwickelte, in welcher sich die biologische Evolution komplexen Lebens entfalten konnte, sei naturwissenschaftlich betrachtet eine glückliche Merkwürdigkeit, die man als solche anzuerkennen habe (18 f.). Weder zur Zeit Darwins noch heute er­forder(t)e die naturwissenschaftliche Welterklärung gläubige Ab­wehrgesten. Vielmehr könne die Theologie die kausale Kosmologie der Naturwissenschaften übernehmen und in eine finale theologische Theorie überführen. Evolution sei nicht nur eine mögliche Form von Schöpfung, sondern die sinnvollste, weil der Schöpfer nur so den Geschöpfen die Freiheit geben könne »to make themselves« (22) bzw. weil nur so Gott und Geschöpf durch eine erkenntnistheoretische Distanz voneinander getrennt seien, die dem Ge­schöpf Raum für seine Selbstentfaltung gebe (24).
Während P. somit Evolution als Schöpfung denkt, bietet die naturwissenschaftliche Prognose für die Zukunft des Universums nicht die Unterlage für die theologische Eschatologie dar. Unser Universum werde entweder im Endknall untergehen oder den Wärmetod sterben, aber Gott ist nach Mk 12,27 kein Gott der Toten und kann daher auch ein neues Weltall erschaffen, in welchem der zweite Hauptsatz der Thermodynamik nicht mehr gelte (wonach jedes geschlossene System immer vom Zustand höherer Ordnung ins Chaos übergehen muss, 23 f.).
P. schafft ein dichtes Amalgam von naturwissenschaftlicher und theologischer Weltanschauung, hält aber exakt auseinander, welche Aussage auf der Grundlage welcher Methode hergeleitet wurde. Man kann den natürlichen Weltprozess christlich deuten, muss es aber nicht.
Der katholische Theologe Ulrich Lüke beschließt den Band mit seiner Studie Der Mensch – auf Glauben angelegt? (225–261). Im ersten Teil diskutiert er die Grabbeigaben der vor- und frühmenschlichen Arten und ihre daraus zu erschließende Fähigkeit, einen Bezug zur Transzendenz zu entwickeln. Dies sei schon beim homo erectus, auf jeden Fall beim homo sapiens neanderthalensis der Fall (232 f.; zu einer aktuellen Darstellung des vermuteten Stammbaumes der Gattung homo vgl. den Beitrag von Christine Hertler, 110–129). Auf der Grundlage dieses Befundes könne be­hauptet werden, dass der Mensch genetisch »auf einen religiösen Glauben hin angelegt« sei. Im Auftauchen des Transzendenzbezuges im Lauf der Menschwerdung sieht L. einen empirischen An­knüpfungspunkt für die Lehre von der (besonderen) Erschaffung der Seele durch Gott (238). In Sätzen wie »Der Generationismus und auch der Traduzianismus mit ihren Annahmen, die Seele werde durch die zeugenden Eltern weitergegeben, sind nur heterodoxe Variationen der Behauptung, die Antwort des Menschen sei bereits die ganze Kommunikation [scl. mit Gott]« und »Die menschliche Seele verbindet die Endlichkeit des Menschen, insofern sie einen Anfang hat, mit der Unendlichkeit Gottes, insofern sie unsterblich ist« zeigt sich eine katholisch-evangelische Lehrdifferenz an einem nicht ganz so üblichen Ort (239 f.).
Im letzten Teil seines Aufsatzes setzt sich L. mit dem kritischen Rationalismus auseinander und interpretiert Alberts Münchhausentrilemma: Letztbegründungen gebe es nicht, weil entweder jede Begründung eines Sachverhaltes eine Begründung ihrer selbst ad infinitum er­heische oder sich die Begründungen zirkulär auf einander berufen oder weil die Begründungskette willkürlich abgebrochen werde – quartum non datur –, so, dass jede Weltanschauung auf nichtevidenten Prinzipien beruhe und damit auf Glauben (247 f.). Das kann man so sagen und muss es gegenüber manchen lebenden positivistischen Fossilen gelegentlich auch. Aber die Aussage, dass der »jeglichen Gottesbegriff bestreitende kritische Rationalist no­lens volens zum Hohe[n]priester einer Wahrheitsmetaphysik [werde], die mit dem christlichen Glauben nicht unvereinbar wäre«, scheint mir doch etwas steil zu sein. Die Differenz zwischen dem konkreten christlichen Glauben und dem Eingebettetsein jeglichen Denkens in einen reflexiv nicht einzuholenden umfassenderen Deutungshorizont (249) ist bei Polkinghorne deutlicher markiert.
Zwischen den hier ausführlicher dargestellten Brückenpfeilern des Buches beschreibt Hans Jörg Fahr Die kosmische Evolution ... des Neuen (26–46), fragt Hennig Genz War es ein Gott oder öffnet das Chaos die Natur für Übernatürliches (47–60), vergleicht Christina aus der Au Evolution und Intelligent Design (61–81) und stellt Wolfgang Wickler in zwei Beiträgen eine Arche voller Lebewesen vor, um die Themen Evolution und Selbstorganisation bzw. Entwick­lung kognitiver Fähigkeiten aus ökologischer und neurophysiologischer Sicht abzuhandeln (85–109). Hier wird die Brücke nicht gerade schon passgenau aufgerichtet, aber die Bauteile sind präpariert, es zeigt sich ein Gesamtbild in dem insgesamt zu empfehlenden Buch.