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Ausgabe:

November/1996

Spalte:

1035 f

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Heimbrock, Hans­Günter u. Heinz Streib [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Magie. Katastrophenreligion und Kritik des Glaubens. Eine theologische und religionstheoretische Kontroverse um die Kraft des Wortes

Verlag:

Kampen: Kok Pharos 1994. 316 S. gr. 8° = Innen und Außen, 1. Kart. hfl 67,50. ISBN 90­390­ 0209­6

Rezensent:

Henning Schröer

Dieser Band geht auf ein Kolloquium in der Evang. Akademie Arnoldshain im Herbst 1993 zurück. Es stand unter dem Titel "Magische Heil-Kraft des Wortes?" Die Beiträge werden in ver änderter und erweiterter Fassung hier vorgelegt. Die Hgg. bieten außerdem eine vorläufige Bilanz (299-314). Die Beiträge gliedern sich in: I Probleme und Positionen (15-246) ­ 7 Beiträge grundsätzlichen Charakters ; II Fallstudien (247-296) ­ 4 Beiträge, die auch die praktische Relevanz aufzeigen. Die Einleitung der Hgg. (7-14) geht von der Konjunktur des Wortes ´Magie´ und lebensweltlicher magischer Praktiken aus. Beides hat Beziehungen zur Religion, wie die inflationäre Literatur zur Esoterik zeigt. Angesichts dieser Zeitlage soll der Band helfen, die Frage zu beantworten, wie sich diese Entwicklung zu der nachlassenden Kirchlichkeit und dem Plausibilitätsverlust theologischer Wirklichkeitsbeschreibung verhält. Dabei ist die damit angestrebte Klärung für die Praktische Theologie auf interdiziplinäre Theoriebildung angewiesen. Dem trägt der Band durch die breite Palette seiner Ansätze Rechnung, wobei die traditionelle theologische Abgrenzung von Magie, die dagegen die Kraft des Wortes und der Sakramente setzt, überprüft wird. Als Leitfrage wird herausgestellt: "Worüber reden wir, wenn wir das Wort Magie benutzen oder hören?" (13). Damit verbindet sich das Problem, ob auf diesen Begriff als wissenschaftlich unergiebig und verwirrend verzichtet werden und ob er durch andere ersetzt werden soll oder, neu interpretiert, auch in gewisser Weise legitimiert werden kann. Die Beiträge zeigen, daß das Wort Magie, im Bilde gesprochen, die Eingangsüberschrift für ein Haus darstellt, in dem es viele Sprach- und Denkräume gibt, die immerhin, und sei es auch in eindrücklicher Distanzierung zu diesem Eingangswort, sich dazu in einem Problemverhältnis befinden.

Etwas erstaunen kann der Untertitel: "Katastrophenreligion und Kritik des Glaubens". Er stützt sich eigentlich nur auf zwei Beiträge des Bandes: ein wenig auf die Analyse des Magie-Verständnisses bei Ernst Cassirer durch Michael Moxter (227-246 hier 243), vor allem aber auf die in der Einleitung wohl zu wenig gewürdigte hochinteressante Studie zu Erfahrungen aus der Telefonseelsorge von Martin Weimer (259-272), die den Titel: "Die Religion der Traumatisierten" trägt. Dort findet sich die These: "Nehme ich die seelsorgerliche Perspektive ein, so scheint es mir möglich, das Geheimnis des im Magiebegriff Anvisierten in der Transformation einer Katastrophe zu sehen. Die Magie ist Katastrophenreligion, der Glaube der Traumatisierten."

(269) Magie scheint demnach in der Schreckbewältigung verständlich, hat aber zumindest sicher eine Ambivalenz. Immerhin wird berichtet, wie eine Telefonseelsorgerin, kirchlich distanziert, in einer bestimmten Gesprächssituation mit Suicid- und Morddrohung, gleichsam im Trance die Worte gesagt habe "Mein ist die Rache, spricht der Herr", was der Anruferin überraschend ­ beinah magisch ­ sehr geholfen habe (268). Damit ist der Problembereich angesprochen, der möglicherweise auch den methodischen Untertitel "Kontroverse" rechtfertigt. Es geht um den Sachgehalt der Berufung auf wirkendes Wort bis in die Körperlichkeit der Menschen.

U. Dalferth grenzt sich in seinem sprachtheologischen Beitrag "Wirkendes Wort" (105-143) am schärfsten von Magie ab. "Christliche Verkündigung ist kein ­ in Schleiermachers Sinn ­ wirkendes, sondern ein rein darstellendes Handeln, weil sie nichts will, als daß Gottes Wort sich selbst zur Wirkung bringt" (139). Demgegenüber nimmt Gerhard Marcel Martin (145-161) die Markierung einer "Leerstelle" wahr, wenn er die zeitgenössischen Homiletiken darauf durchmustert, ob nicht doch bis hin zu Josuttis´ versuchten Analogien zum Schamaismus etwas über den Sinn von Vollmacht zu finden ist, was mit Magie zwar nicht geklärt, aber doch anvisiert sein kann. Die Kritik an einer nur wissenschaftlich kognitiven Erfassung der Phänomene durchzieht viele Beiträge. So bringt Dietrich Zilleßen Rituale und Sakramente ins Spiel (199-216), ohne sich auf naive Eindeutigkeit im rituellen Handeln einzulassen. Lacan steht hier ebenso Pate wie bei Klaus Winklers ebenso einleuchtendem Versuch, die Spannung von Einsicht und Suggestion im psychotherapeutischen Gespräch vom Eingangstor Magie her zu beschreiben (161-199). Wolf Dieter Bukow beschreibt die religionssoziologischen Ansätze, die eben auch Aufklärung über die Aufklärung enthalten (61-105). Sehr instruktiv ist der eigentlich kaum als Fallstudie zu bezeichnende Beitrag von Susanne Lanwerd (249-259), die die Berufungen feministischer Religion und Theologie auf das Stichwort ´Magie´ überprüft ­ wichtig ist der Zusammenhang von Magie und Imagination (250) ­ und so auch die Protestqualität dieses Begriffes gegen Männerreligion aufzeigt. Streibs Fallstudie (273-285) zeigt, daß die Exorzismusproblematik für jugendliche Religiosität lebensrelevant sein kann.

Auch die Bedeutung des Themas für die Gregorianik wird anregend von Jacques Janssen behandelt: "Die Modulierung der Stille" (285-296). Vermissen kann man eine Würdigung der Magie-Perikope bei Mt 2 (nur kurz erwähnt, .9). Überall aber tritt in Erscheinung, daß es darum geht, eine theologisch und sozialwissenschaftlich tragfähige Theorie von Wort und Sprache zu Kraft und Energie zu finden. Ebenso lehrt der Band, daß fast überall bei Paul Tillich angeknüpft werden kann.

Es ist insgesamt sicher gelungen, eine Provokation im Praxisfeld Theorie dadurch zu leisten, daß eine Verabschiedung vom Wortfeld ´Magie´ ebenso schwierig und unbefriedigend ist wie bei ´Mythos´ oder ´Mystik´. Wie feststellendes und partizipatives, sowie eigenes und fremdes Denken sich zueinander verhalten, das ist eine wissenschaftliche Herausforderung, die weit über den Sprachgebrauch von Magie hinausgeht, aber die diesem Terminus innewohnende Vitalität aufweist. Wer den Schlüssel nutzt, hat zwar kein Passepartout, aber lernt mehr, als nur den Schlüssel wahrzunehmen.

Gute Bücher haben auch gute Druckfehler. Bei Winkler lesen wir, "Der Gegner des Fortschritts ist damit deutlich benannt. Ihm gilt es in der Analyse den Einfuß(sic!) allmählich abzutrotzen" (173). Ich verstehe das so: Dieses Buch vermag durch seinen Einfluß sicher gewisser Einfüßigkeit eine Lockerung zur Beidfüßigkeit in Theologie und Säkularwissenschaften abzutrotzen.