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Ausgabe:

Februar/2009

Spalte:

194-196

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Schmid, Herbert

Titel/Untertitel:

Die Eucharistie ist Jesus. Anfänge einer Theorie des Sakraments im koptischen Philippusevangelium (NHC II 3).

Verlag:

Leiden-Boston: Brill 2007. XII, 550 S. gr.8° = Supplements to Vi­giliae Christianae, 88. Geb. EUR 169,00. ISBN 978-90-04-16096-5.

Rezensent:

Tobias Nicklas

In seiner bereits im Jahr 2004 unter Leitung von Reinhard Hübner (München) fertiggestellten Dissertation beschäftigt sich Herbert Schmid mit einem faszinierenden, gleichwohl überaus schwierigen Thema: Kaum eine Schrift des frühen Christentums konfrontiert den Ausleger mit solchen Problemen wie das üblicherweise der valentinianischen Gnosis zugeordnete (oder zumindest von ihr beeinflusste) Evangelium nach Philippus (EvPhil). Interes­santerweise erweist sich ausgerechnet dieser gnostische Text als eines der frühesten Zeugnisse der Reflexion über die sakramentale Praxis der frühchristlichen Gemeinden. Die im EvPhil entwickelte »gnostische« Sakramentenlehre wird untersucht und auch im Hinblick auf ihre Bedeutung für die Frage nach der sich entwickelnden Institutionalisierung christlicher Gemeinden des 2. Jh.s entfaltet.
Nach einem Überblick über die wichtigsten Einleitungsfragen des Textes, in dem er den Text etwa ins Syrien am Ende des 2. bzw. Anfang des 3. Jh.s einordnet, einem knappen Forschungsüberblick und einer Klärung der wichtigsten Termini widmet sich der Vf. der Frage nach dem historischen Kontext der sakramentalen Aussagen im EvPhil. Dabei schließt er sich Aussagen K. Koschorkes über die Situierung gnostischer Gruppen als einer Art von »Eliten« innerhalb christlicher Ortsgemeinden an, die theologisch durchaus die gleichen Begrifflichkeiten wie die »Mehrheitschristen« verwendeten, diese aber mit einem anderen, in der eigenen Sicht tieferen Verständnis verbanden. So stimme auch das Begriffsinventar des EvPhil weitestgehend mit dem »großkirchlichen« überein, unterscheide sich dann aber auf der Ebene inhaltlicher Füllung. Von hier aus entwickelt der Vf. eine grundlegende These: Entscheidende Aussagen des EvPhil richteten sich »gegen die Zurückweisung kirchlicher Formen. Stattdessen strebt der Philippusevangelist eine tiefere Interpretation dieser Formen an« (76). So richte sich das EvPhil nicht an kirchliche »Psychiker«, sondern an »Gnostiker«, wie er überzeugend argumentiert: »Die sehr differenzierte Struktur der Argumentation, die in der Untersuchung der Texte freigelegt werden soll, vermittelt weder den Eindruck einer Einführung in die christlichen Sakramente, noch den eines gnostischen Grundkurses. Es lässt sich vielmehr die Überzeugung gewinnen, dass im Hintergrund des EvPhil eine Diskussion über den Sinn der Sakramente gestanden haben muss, deren Niveau an ›fortgeschrittene‹ Christen als Diskussionspartner denken lässt« (76). Der Text suche offensichtlich im innergnostischen Diskurs an der Möglichkeit von Heilsvermittlung durch Kult und Ritus auch vor dem Hintergrund gnostischer Kosmologie festzuhalten.
Im zweiten Hauptteil des Buches erarbeitet der Vf. mit großer Sorgfalt die im EvPhil entwickelte »Sakramententheologie«. Dabei betont er immer wieder, wie wenig selbstverständlich die Vorstellung, an Materie gebundene Sakramente seien für die Erlösung des Menschen notwendig, in einem gnostischen Denksystem sei.
In der Auseinandersetzung mit § 68 des Textes, einer Schlüsselpassage für das Sakramentenverständnis des EvPhil, geht der Vf. anders als z. B. H.-M. Schenke von der These aus, dass die dort genannten »Mysterien« Taufe, Salbung, Eucharistie, Erlösung und Brautgemach nicht als fünf auf gleicher Ebene stehende »Sakramente« zu verstehen seien, sondern dass der Text mit Taufe, Salbung und Eucharistie drei Sakramente kenne, die »Erlösung und Brautgemach« bewirkten. In seiner Beschäftigung mit § 21–24 wie­derum arbeitet der Vf. das Zueinander von Auferstehung und Sakrament im EvPhil heraus: § 21 spricht von der Auferstehung vor dem Tode – und das heißt »in der Welt« bzw. »im Fleisch«. Mit diesem Gedanken schafft das EvPhil die Argumentationsbasis für die Notwendigkeit von Sakramenten, die so als Konsequenz des Falls der Seele in die materielle Welt, in der alles »im Fleisch« ist, betrachtet werden kann. Im Hinblick auf die Frage gnostischer Antisakramentalisten, wie es denn möglich sei, dass an Materie gebundene Riten für die Erlösung relevant sein könnten, antwortet das EvPhil mit der Differenzierung zweier Wirklichkeitsdimensionen, der Unterscheidung zwischen sichtbaren und verborgenen Dingen. Erlösung sei nicht durch die in den Sakramenten begegnenden materiellen Dinge vermittelt, sondern durch »das, was in den Dingen transportiert wird. In der sakramentalen Materie sei ein nicht-irdisches Element einbegriffen, das im Ritual aufgenommen werden kann und heilswirksam ist. Wasser, Öl, Brot und Mischwein seien nur Gefäße für himmlisches Wasser und Feuer, für das Licht, für den Logos, für den Heiligen Geist« (368). Dieses sakramententheologische Modell wiederum stehe im Denken des EvPhil nicht isoliert, sondern werde konsequent mit der Christologie verbunden, wie sich etwa in § 26 zeige. Wie auch dem Erlöser die Verbindung mit den materiellen Elementen äußerlich bleibe, so gelte dies letztendlich auch für die in den Sakramenten transportierten Wirklichkeiten: »Materiell ist nur die Verkleidung, im verborgenen Inneren ist Immaterielles« (371).
Im dritten Teil geht der Vf. noch einen Schritt weiter und stellt die Frage, worin denn der Anlass bestanden haben könnte, Heilsvermittlung durch Sakramente bzw. die mit ihnen verbundenen Rituale in einem gnostischen Kontext zu verteidigen. Der zentrale Gedanke des Vf.s besteht hier in der Idee, dass auch die Gnosis – bei allem »antikultischen Charakter« ihrer Denksysteme – auf die Bildung gemeinschaftlicher Zirkel angewiesen war und diese sich wiederum nur dann als »Elite« im Vergleich zur »Großkirche« verstehen konnten, wenn zumindest ein Minimum an Gemeinschaft mit dieser gewahrt blieb. Dies wiederum machte ein Mindestmaß an Organisation und Integration notwendig, das wiederum durch rituell-symbolische Ausdrucksformen ermöglicht werden sollte. Auch wenn die »Pneumatiker« bereits als Erlöste in der Welt lebten, seien sie weiterhin gefordert, ihre natürlichen Anlagen weiterzuentwickeln, d. h. Fortschritte auf dem Weg des Heils zu machen. Dies könne unter der Führung vollendeter Lehrer gelingen. Umgekehrt aber müssten die Pneumatiker auf Grund der gemeinsamen Situation beider Gruppen »in der Welt« ihre Führung auch den weniger Begabten, d. h. den Psychikern, zugute kommen lassen.
Interessant zur Konkretisierung sind in diesem Zusammenhang sicherlich auch die vom Vf. erarbeiteten Parallelen des im EvPhil erkennbar werdenden Sakramentenverständnisses mit dem, was wir von der Eucharistiepraxis des Markus Magus wissen; etwas vage erscheint mir in diesem Zusammenhang allerdings seine Aussage von einer in Abschnitten des Textes zu findenden »fast magischen Sakramentsvorstellung« (498).
Das Fazit liegt auf der Hand: Der Vf. hat eine überaus spannende, bei aller differenzierten Detailexegese immer gut lesbare und klar argumentierende Arbeit vorgelegt, in der sich nicht nur der so sperrige Text des EvPhil in vielen Punkten zu erschließen beginnt, sondern die auch allgemein bedeutsame Impulse für unser Verständnis des vielfältigen, manchmal fremden und gleichzeitig faszinierenden Christentums im 2. Jh. liefert. Vor allem für Interessierte an frühchristlicher Gnosis ein wirklich empfehlenswertes Buch!