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Ausgabe:

Februar/2009

Spalte:

190-192

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Breytenbach, Cilliers [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Frühchristliches Thessaloniki. Hrsg. in Verbindung m. I. Behrmann.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2007. XVI, 184 S. m. zahlr. Abb. gr.8° = Studien und Texte zu Antike und Christentum, 44. Lw. EUR 99,00. ISBN 978-3-16-147858-1.

Rezensent:

Christoph vom Brocke

Der (bereits 2003 fertiggestellte!) Band aus der Reihe »Studien und Texte zu Antike und Christentum« möchte einen Beitrag leisten zur Fortsetzung der seit einigen Jahren von theologischer Seite intensivierten lokalgeschichtlichen Erforschung paulinischer Stätten. Der Fokus der Betrachtung liegt dabei auf dem bislang wenig beachteten Zeitraum vom »späten 3. bis zum frühen 5. Jh.« (VI).
Indes handelt es sich nicht – wie der Titel prima vista vermuten lassen könnte – um eine monographische Abhandlung über die Geschichte des frühchristlichen Thessaloniki, sondern um einen Sammelband von sechs separat publizierten Beiträgen archäologischer Forschung an den christlichen Nekropolen hauptsächlich des 4. Jh.s, denen ein einleitender Aufsatz des Neutestamentlers Helmut Koester (»Archäologie und Paulus in Thessalonike«) vor­angestellt ist. Die sechs ursprünglich auf Neugriechisch erschienenen Beiträge werden hier zum ersten Mal in deutscher Übersetzung und damit einem größeren Leserkreis zugänglich gemacht. Allein darin liegt ein nicht zu unterschätzender Wert dieses Bandes.
Allerdings ist nicht zu übersehen, dass die Erstpublikation der Aufsätze zum Teil über 20 Jahre zurückliegt. So repräsentiert der instruktive Aufsatz von Helmut Koester (1–9), der neben einer kritischen Stellungnahme zur Aussagekraft archäologischer Funde und ihrer Verwertbarkeit für die neutestamentliche Exegese einen knappen Überblick über die relevanten Funde in Thessaloniki bietet, in einigen Teilen leider nur den Stand der 80er Jahre.
Die Behauptung, der früheste »archäologische Nachweis für die Anwesenheit einer Religionsgemeinschaft aus Israel« sei IG X 2,1 Nr. 789, ist durch eine von P. M. Nigdelis 1994 (ZPE 102, 297 ff.) publizierte Inschrift widerlegt (im Vorwort der Übersetzerin selbst erwähnt). Ebenso ist die »Lücke von fast 300 Jahren« (5) in Bezug auf den Kaiserkult längst geschlossen (vgl. Chr. vom Brocke, Thessaloniki – Stadt des Kassander und Gemeinde des Paulus, WUNT II/125, Tübingen 2001, 138 ff.), die Agora in der Mitte der Stadt viel weitgehender erforscht und rekonstruiert, die Anzahl der Inschriften über den Kult der ägyptischen Götter (7) auf über 70 gestiegen, von denen IG X 2,1 Nr. 3 mitnichten die älteste ist (vgl. z. B. IG X 2,1 Nr. 94), und »die Verehrung des Dionysos« (9), vor allem seine höchst offizielle Förderung durch die Stadt, ist heute viel weitgehender erforscht.
Die nächsten vier Beiträge (11–78) stammen aus der Feder der griechischen Archäologin Euterpi Marki, die sich durch diverse Publikationen als Kennerin der frühen christlichen Nekropolen einen Namen gemacht hat. In dem 1981 erschienenen Aufsatz über »Das kreuzförmige Martyrion und die christlichen Gräber an der Tritis-Septembriou-Straße in Thessaloniki« (11–41) geht es um einen Komplex von ca. 70 Gräbern, in dessen Mitte ein kreuzförmig angelegtes Gebäude mit Apsis und Heiligen-Grab (Martyrion) freigelegt wurde. Die Dokumentation und Interpretation der Grabungsergebnisse einschließlich der beigegebenen Pläne und Abbildungen gewährt einen guten Einblick in den Märtyrerkult des 4. Jh.s und die damalige christliche Bestattungspraxis. – Thematisch schließt sich ein Aufsatz aus dem Jahr 2000 mit dem Titel »Die ersten christlichen Friedhöfe in Thessaloniki« an, in dem weitere bekannte »Martyria« des 4.–6. Jh.s sowohl der östlichen als auch der westlichen Nekropole Thessalonikis behandelt und archäologisch ausgewertet werden.
Zwei weitere Beiträge von E. Marki (1990 bzw. 1996/97) befassen sich mit den Wandmalereien der frühen christlichen Gräber Thessalonikis. Der erste (55–63) gibt einen Überblick über deren Symbolik und Motivik, welche sich großenteils als Serienproduktion, teilweise aber auch als originelle Eigenkomposition »bedeutender anonymer Maler« (63) erkennen lässt. Der zweite Beitrag (65–78) be­handelt die Wandmalereien eines 1994 ent­deck­ten Doppelgrabes aus dem ausgehenden 4. Jh., das auf Grund der Kunstfertigkeit der Ausschmückungen offensichtlich »bedeutenden Mitgliedern der christlichen Gemeinde von Thessaloniki« (65) gehörte, die »über die finanzielle Betuchtheit hinaus über eine un­bezweifelbare geistige und künstlerische Bildung verfügten« (77).
Der Überblick über die frühesten christlichen Zeugnisse in Thessaloniki (55–56), der auf der Inschriftenedition von Denis Feissel (Recueil des inscriptions chrétiennes de Macédoine du IIIe au VIe siècle, BCH Suppl. 8, Athen-Paris 1983) beruht, enthält einige kleinere Fehler: So sind einige Inschriften aus Feissel (z. B. Nr. 114.117.118) nicht korrekt zitiert (falsche Akzente, fehlende Silben, Rechtschreibung etc.) bzw. falsch übersetzt (Nr. 116).
Die Wandmalereien aus einem in der Nähe der Theologischen Fakultät gefundenen Grab sind Gegenstand des 1990 publizierten Aufsatzes von Georgios Gounaris, Professor für Byzantinische Ar­chäologie an der Aristoteles-Universität Thessaloniki (79–89). Dieses Grab – zwischen 280/90 und 320 n. Chr. datiert – gehörte zu einem Komplex von etwa 60 Gräbern und wies an allen Wänden die für diese Zeit typische Ikonographie auf: So finden sich biblische Motive wie »Daniel in der Löwengrube«, »Christus als guter Hirte«, die »Heilung des Gichtbrüchigen«, »Noah beim Empfang der Taube«, die »Auferweckung des Lazarus« und die »Opferung Isaaks«.
Auch die aus dem apokryphen Daniel-Zyklus bekannte Gestalt der Susanna war offenbar in Thessaloniki ein Motiv lokaler Grabmalerei, wie das Grab zeigt, das die Byzantinistin Chrysanthi Mavropoulou-Tsioumi in ihrem den Band abschließenden Beitrag (91–101) beschreibt und auf Grund ikonographischer Parallelen mit Darstellungen in den Katakomben Roms auf die zweite Hälfte des 4. Jh.s datiert.
Insgesamt muss man sagen, dass die hier gebotene Dokumentation einschließlich des umfangreichen Kartenmaterials (70 Seiten!) einen guten Überblick über die christliche Bestattungspraxis des 4. Jh.s in Thessaloniki gibt und von daher für jeden an der Ge­schichte der von Paulus gegründeten Gemeinde Interessierten ein Muss ist. Bleibt nur zu hoffen, dass die potentielle Leserschaft sich nicht durch den hohen Preis des 186 Seiten umfassenden Bandes abschrecken lässt.