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Ausgabe:

Februar/2009

Spalte:

176-178

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Perkins, Pheme

Titel/Untertitel:

Introduction to the Synoptic Gospels.

Verlag:

Grand Rapids-Cambridge: Eerdmans 2007. XVI, 312 S. gr.8°. Geb. US$ 28,00. ISBN 978-0-8028-1770-9.

Rezensent:

Heinz Giesen

Perkins, Neutestamentlerin am Boston College, möchte mit ihrem Buch einen breiten Leserkreis mit den Ergebnissen der Forschung an den synoptischen Evangelien und darüber hinaus mit apokryphen Evangelien vertraut machen.
Die Evangelien, über deren Entstehung und Weitergabe P. zunächst informiert, sind insofern als eine Untergruppe der antiken »Biographie« zu klassifizieren, als der antike Leser sich anders als der moderne nicht für problematische Aspekte eines Individuums, sondern für idealisierte Porträts berühmter Persönlichkeiten interessiert (1. Kapitel). Die Evangelisten benutzen Jesu Lehre und Taten, um den christlichen Glauben zu erklären, den sie mit ihren Adressaten teilen. Bis ins 18. Jh. hinein gilt das in der Alten Kirche am meisten gelesene MtEv als das älteste, während heute die Markuspriorität nahezu Konsens ist.
In der ersten Hälfte des 2. Jh.s scheint man noch nicht scharf zwischen kanonischen und nichtkanonischen Evangelien zu un­terscheiden (2. Kapitel). So verwenden z. B. Gnostiker Dialoge zwischen dem auferweckten Jesus und seinen Jüngern, um ihre Mythen und Heilserzählungen Jesus selbst zuzuschreiben. Nach der von Hieronymus (4/5. Jh.) ins Lateinische übersetzten Bibel (Vulgata) ist man in der lateinischen Kirche kaum an der Überlieferung des griechischen Textes interessiert. Das ändert sich erst mit Erasmus im 16. Jh.
Schon frühchristliche Exegeten erkennen, dass die Evangelien sich bei allen Ähnlichkeiten auch unterscheiden (3. Kapitel). Das lässt Ende des 18. Jh.s nach den Beziehungen der synoptischen Evangelien zueinander fragen, was zu Hypothesenbildungen führt. P. entscheidet sich mit den meisten heutigen Forschern für die Zweiquellentheorie, wonach die Großevangelien das MkEv und die Logienquelle (Q) benutzt haben. Q ist kein Evangelium; denn es fehlen der narrative Rahmen und eine Passionsgeschichte, was wohl der literarischen Form geschuldet ist. Exegeten, die Q für ein Evangelium halten, meinen, Q weise die paulinische Sicht von Tod und Auferstehung Jesu zurück. Bis heute gibt es keine gesicherten Beweise für einen durchlaufenden Text von Q. Mit Ausführungen zu Form und Funktion der Worte und Geschichten, dem Wortmaterial, den Parabeln und Gleichnissen, den Wundererzählungen, der Passionsgeschichte sowie dem Petrus-Ev und der Entwicklung der Passionsgeschichte schließt das 3. Kapitel.
P. zeichnet bei der Behandlung der synoptischen Evangelien deren Grundzüge, literarische Charakteristiken, Charaktere, die Chris­tologie und die in ihnen implizierte Gemeinde nach. Mk überarbeitet sein Material, um Antworten auf Fragen der Christen seiner Zeit zu geben (4. Kapitel). Jesu Anspruch, das Reich Gottes zu bringen, entspricht nicht den überlieferten Erwartungen. Anstatt die Gerechten zu befreien, sucht Jesus die Sünder und für sich selbst den Weg des Leidens und des Todes. Jesus verkündigt als der Menschensohn nicht nur die Vergebung, sondern ermöglicht sie auch durch seine Lebenshingabe. Die Jünger weisen die Vorstellung eines leidenden und sterbenden Messias zurück, zumal sie ihn als Wundertäter erfahren, und offenbaren so ihr Unverständnis für den Heilsplan Gottes. Nach altkirchlicher Tradition gibt Mk die Erinnerungen des bejahrten Petrus in Rom wieder. Heute nimmt man weitgehend die Entstehung des MkEv in der Provinz Syrien während des Jüdischen Krieges oder kurz danach an. Dem Evangelium werden wegen des überraschenden und abrupten Endes in 16,8 ein kürzeres und ein längeres Ende (16,9–20), das nur geringe Verbindung zum MkEv aufweist, hinzugefügt. Dass die aramäische esoterische Vorlage des 1973 durch Morton Smith veröffentlichte »Geheimen Markusevangeliums« älter als das kanonische MkEv sein soll, ist mehr als fraglich.
Mt folgt den großen Linien des MkEv, betont aber durch die Einfügung von fünf großen Reden die Lehre Jesu (5. Kapitel). Mit Hilfe von Q-Material und anderen Traditionen überarbeitet er das MkEv und korrigiert seine Quellen, wo er sie für ungenau oder für ungeeignet hält. Die Kindheitsgeschichte und die Erfüllungszitate unterstreichen die göttliche Bestimmung Jesu. Die Volksmenge wird für Jesus erst gefährlich, als sie, durch die Hohenpriester und Schriftgelehrten manipuliert, die Freilassung des Barabbas an Stelle von Jesus fordert. Für die negative Charakterisierung der Pharisäer als der primären Gegner Jesu scheinen zwei Motive bestimmend zu sein: 1. Ihr beachtlicher Einfluss auf das Volk erschwert es, eine Hörerschaft für Jesu Lehre zu finden. 2. Sie stehen an der Spitze derer, die Christen verfolgen.
Mt stellt die Jünger positiver als Mk dar. Jesus verheißt Petrus, seine Kirche auf ihm zu gründen, und verleiht ihm die Schlüsselgewalt. Dieser verbindet einerseits die in der Kirche des Mt erinnerte und praktizierte Lehre Jesu mit Jesus und erscheint andererseits wie jedermann mit seinen Schwächen und Stärken. Die Kirche steht in Kontinuität mit den Jüngern Jesu. Die Gemeinde setzt Jesu Lehre in die Praxis um. Abschließend stellt P. jüdisch-christliche Evangelien-Traditionen dar (apokryphe Evangelien, Evangelium der Hebräer, Evangelium der Ebioniten und Evangelium der Nazarener).
Lk beruft sich ausdrücklich auf mündliche Traditionen von Augenzeugen und auf schriftliches Material (6. Kapitel). Sein Werk richtet sich nach Ausweis der Widmung an eine herausragende Persönlichkeit an Gebildete. Lk bringt die christliche Geschichte in apologetischer Absicht zu Beginn des Auftretens Jesu in Übereinstimmung mit der römischen Chronologie (3,1–2). Er benutzt kulturelle Konventionen, die mit Mählern verbunden sind, um wichtige Facetten der Lehre Jesu wie Großzügigkeit den Armen gegenüber, Sündenvergebung, Demut und die Priorität des Wortes Gottes zu illus­trieren. Alle Charaktere in der Kindheitsgeschichte unterscheiden sich als archetypische Exemplare der Frömmigkeit und Empfänger des Heiligen Geistes von den später auftretenden Gestalten.
Jesus anerkennt von Anfang an seinen Heilstod als notwendigen Teil des Planes Gottes. Er gilt als ein heroischer Prophet/Märtyrer. Bis zum Tod bleibt er ein Lehrer. Lk stellt das letzte Mahl entsprechend als ein Symposion dar und spricht dem reuigen Schächer das Leben zu. Die Pharisäer sind eine Elite, die auf Status und Geld aus ist. Sie weisen Jesu Lehre zurück, weil sie seine Gastfreundschaft gegenüber Sündern und Sündenvergebung ablehnen. Lk führt in sein Evangelium Frauengestalten von allen gesellschaftlichen Ebenen ein. In der Apg ist die kirchliche Führung allerdings voll in der Hand von Männern.
Die Geschichte der Ursprünge der Familie, Geburtsankündigung, göttliche Empfängnis, Geburt und Kindheit im MtEv und LkEv sind Anstoß für das weitergehende Interesse an Jesu Familie in apokryphen Evangelien, auf die P. unter der Überschrift Ma­rientraditionen und andere Kindheits-Evangelien eingeht. Veränderungen des lukanischen Textes gibt es im »westlichen Text«, der u. a. die Tendenz zu Harmonisierungen aufweist und sich gegen doketistische und gnostische Auffassungen wendet. Das LkEv wird zudem von Markion (Mitte 2. Jh.) verändert. Das weist darauf hin, dass das LkEv bis ins 2. Jh. hinein noch ergänzt und revidiert werden kann.
Schließlich wendet sich P. den apokryphen Evangelien des 2. und 3. Jh.s zu: dem koptischen Thomas-Evangelium und dessen griechischen Fragmenten in den Oxyrhynchus Papyri, dem Hebrä­er-Evangelium, den gnostischen Evangelien von Nag Hammadi (Evangelium der Maria [Magdalena], Thomas-Evangelium, Evangelium Veritatis, Evangelium des Philippus und Evangelium der Ägypter [7. Kapitel]). Berücksichtigt werden auch das erst kürzlich edierte Judas-Evangelium und das Evangelium des Erlösers. Ab­schließend blickt P. nochmals zurück auf die Frage des genus litterarium Evangelium. Die Tatsache, dass apokryphe Evangelien und andere Schriften weitergegeben wurden, beweist, dass es im­mer Menschen gab, die sie rezipierten.
Diese Einführung in die synoptischen Evangelien und apokryphen Evangelien ist sehr informativ und schon deshalb empfehlenswert, was in einer Rezension nur angedeutet werden kann. Wenn Fragen offen bleiben, dann liegt das auch am jetzigen Forschungsstand. So diskutiert P. bei der Darstellung der Logienquelle nicht das Problem der kleinen Übereinstimmungen und Auslassungen von Mt/Lk gegen Mk (minor agreements). Obwohl sie feststellt, dass ein fortlaufender Q-Text nicht nachzuweisen ist, setzt sie einen solchen vor allem bei der Darstellung des LkEv voraus. Zudem fällt auf, dass nur englischsprachige Sekundärliteratur verwendet wurde.