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Ausgabe:

Februar/2009

Spalte:

165-167

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Fischer, Georg

Titel/Untertitel:

Jeremia. Der Stand der theologischen Diskussion.

Verlag:

Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2007. 191 S. 8°. Geb. EUR 59,90. ISBN 978-3-534-16301-4.

Rezensent:

Maria Häusl

Georg Fischer ergänzt mit diesem Buch seinen 2005 in HThKAT erschienenen zweibändigen Jeremiakommentar. Gegenüber dem Vorgängerband aus dem Jahre 1990 von S. Herrmann »Jeremia. Der Prophet und das Buch«, der mit einem Blick auf die Person des Propheten einsetzte und der Überlieferung des Jeremiatextes nur einen kurzen Abschnitt widmete, geht der Vf. konsequent von der Buchgestalt des masoretischen Textes aus und zeigt so die veränderte Forschungsdiskussion an.
Zum Einstieg nennt und würdigt der Vf. alle wichtigen und neueren Hilfsmittel für die Arbeit am Jeremiabuch und reflektiert sein eigenes methodisches Vorgehen. Er betont dabei, dass angesichts der Textdifferenzen »jede Untersuchung zunächst klären« muss, »welchen Text sie als Basis nimmt« [Hervorh. im Text], und kritisiert, dass »viele Forscher einfach gängige Meinungen ohne eigene gründliche Studien« übernehmen (15). Entsprechend beginnt er mit der Frage »Zum Text von Jer«, die den größten Raum einnimmt (17–53). Nach einem Blick in die Forschungsgeschichte, der Darstellung der Jeremia-Manuskripte von Qumran sowie der Gegenwartsdiskussion und der Durchführung externer Text-Vergleiche fasst der Vf. gegen die derzeitige Mehrheitsposition, die von einer Priorität des kürzeren LXX-Textes gegenüber dem längeren MT-Textes ausgeht, in inhaltlicher und methodischer Hinsicht zusammen: »Man kann, nach dem Befund hier, von der Priorität des MT ausgehen ... Ebenso ist es möglich, die beiden Textformen zu vergleichen, mit der Annahme, daß die Entwicklung von MT zur LXX läuft; ... Als dritte grundsätzliche Variante bleibt, erneut unvoreingenommen, ohne vorige Entscheidung bezüglich der beiden Textformen, anzusetzen und in beide Richtungen zu überlegen.« (52 f.)
Eine überleitende »Inhaltliche Orientierung« (55–71) gibt an­hand der zwischenzeitlich erschienenen Forschungsberichte, Lexikonartikel, Sammelwerke und längeren Einleitungen in Kommentaren die neuen Forschungstendenzen und -themen an. Der Vf. wendet sich zuerst der »Sprache von Jer« zu (73–89) und beschreibt anhand von Jer 1–3 »einige typische Eigenheiten der jer Sprache« (81), das Zueinander von Prosa und Poesie sowie die Problematik der Zuschreibung von Texten an den historischen Propheten. Zu Recht hebt er die signifikante »Vielfalt und Reichhaltigkeit an sprachlichen Ausdrucksformen« des Jeremiabuches heraus (88), wertet den Unterschied zwischen Prosa und Poesie wirkintentional und nicht diachron aus und negiert die Möglichkeit, »echte« Worte des Propheten eruieren zu können.
In der anschließenden Diskussion »zur Komposition und Entstehung von Jer« (91–114) nennt der Vf. in einem ersten Schritt »Hinweise auf einen planvollen Aufbau von Jer«. Besonders am »Zueinander von Gerichtsworten und Heilsansage« sei die das Buch prägende polare Anlage zu erkennen, die für den Vf. nur in einer Epoche der »teilweise bereits glückenden Restauration« denkbar ist (102). Zur Erklärung der beiden Momente, »daß das Buch jetzt als Einheit vorliegt« und »daß seine Texte unter vielerlei Rücksicht disparat sind« (110), verweist der Vf. darauf, dass sich das Buch Je­remia durch eine außerordentlich hohe Dichte der literarischen Bezüge auszeichnet und diese in Form von Synthesen oder Mosa­iken präsentiert. Er wendet sich damit zugleich gegen alle Ansätze, die für die Entstehung des Buches Redaktionsstufen ansetzen; diskutiert werden Quellentheorien, Annahmen von dtr, vordtr, golaorientierten und weiteren Redaktionen sowie Rekonstruktionsversuche der Urrolle.
Im anschließenden Kapitel »Der Prophet in der Geschichte« (115–130) macht der Vf. deutlich, dass ein Zugang zur historischen Person des Propheten verwehrt ist, der Prophet und seine Zeit vielmehr aus der Rückschau gestaltet sind. Als zentrale Charakteristika der Prophetengestalt erscheinen dessen Leidensweg und die »Gemeinschaft mit anderen Leidenden« (125).
Ein eigenes Kapitel widmet der Vf. auch den »Literarischen Be­ziehungen« (131–147), für die er zu Recht weiteren großen Forschungsbedarf anmeldet. Er differenziert danach, »Was Jer vorausliegen dürfte« (Tora, Vordere Propheten, Schriftpropheten) und »Was vermutlich von Jer abhängt«, und kommt zu dem Schluss, dass der Autor des Jeremiabuches »gut die Hälfte der Hebräischen Bibel entweder auswendig gekannt oder als ›Bibliothek‹ zur Verfügung gehabt« hatte (146). Er datiert dessen Entstehung deshalb nicht vor dem 4. Jh.
Im letzten Kapitel werden als »Besondere Akzente von Jer« kurz ansprochen: »Die Rollen von Frauen, Unter den Nationen, Was ist Prophetie?, Schuld und Heil, Das Reden von Gott in Jer«. Den Ab­schluss bilden eine an den Kapiteln entlanggehende Zusam­men­fassung der Ergebnisse, eine vor allem in methodologischer Hinsicht kritische Reflexion der Forschung und ein kurzer Ausblick in die Rezeptionsgeschichte. Das anschließende Literaturverzeichnis enthält die im Buch zitierte Literatur.
Diese Standortbestimmung der Forschung überzeugt durch die konsequente Ansetzung beim Text des masoretischen Jeremiabuches, durch die Auswertungen der sprachlichen Gestaltung, der Kompositionsmerkmale und der literarischen Bezüge. Ob sich allerdings die postulierte Priorität des MT-Textes gegenüber des LXX-Textes und die Entstehung des Jeremiabuches als Werk eines einzelnen Autors im 4. Jh., der viel über die Gestalt Jeremias und dessen Zeit und wenig über seine eigene Zeit zu berichten weiß, durchzusetzen vermögen, muss die weitere Forschung zeigen.