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Ausgabe:

November/1996

Spalte:

1032–1034

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Scharl, Wolfgang u. Franz Pöggeler [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Gegenwart und Zukunft christlicher Erziehung. Hubert Henz zum 68. Geburtstag

Verlag:

Würzburg: Echter 1994. 434 S. gr. 8° = Sammlung "Christliche Pädagogik". Kart. DM 56,­. ISBN 3-429-01605-3

Rezensent:

Horst F. Rupp

Das vorliegende umfangreiche Opus ­ dem inzwischen verstorbenen Würzburger Pädagogen Hubert Henz zum 68. Geburtstag und zur Emeritierung gewidmet ­ teilt, dies sei vorweg vermerkt, das Schicksal nahezu aller derartiger Festschriften: Es handelt sich auch hier um die "Versammlung" zum Teil inhaltlich recht disparater Beiträge von Freunden und Kollegen des Gelehrten, Beiträge, die noch keinen anderen Ort der Veröffentlichung gefunden haben und die sich recht locker um die vorgegebene Thematik ­ hier der sehr weite, um nicht zu sagen: etwas diffuse Rahmen "Gegenwart und Zukunft christlicher Erziehung" ­ ranken. Diese Konstellation macht natürlich eine angemessene Besprechung und Würdigung eines solchen Werkes nicht ganz einfach ­ dennoch soll dies mit dem angezeigten Titel hier versucht werden.

In ihrem Vorwort bringen die Hgg. ihr auch bei Henz geortetes pädagogisches Grundbekenntnis des Verhältnisses von (christlicher) Religion und Erziehung zum Ausdruck: "Christliche Glaubensorientierung" wird verstanden "als Beitrag zur Humanisierung des Menschen und der Welt" (10), die in ihrem pluralen und multikulturellen Charakter wahrgenommen werden muß (vgl. 11 f. u. ö.). Und: "Christlicher Glaube hat den Menschen von heute etwas zu sagen und kann Wesentliches zu einer humanen Erziehung und Pädagogik beitragen." (11) Pädagogik erscheint in diesem Kontext dann auch ganz klar als eine normativ orientierte Wissenschaft (ebd.).

In seinem einleitenden Beitrag unter dem Titel "Zukunftsperspektiven christlicher Erziehung" reflektiert der Mithg. Pöggeler auf die gegenwärtigen und zukünftigen Kontextbedingungen, unter denen Erziehung, christliche Erziehung, stattfinden wird. Wichtig sind für ihn in diesem Zusammenhang die Phänomene der Säkularisierung der Gesellschaft und die engstens damit verbundene, in der Gegenwart sich schon abzeichnende und in der Zukunft sich noch verstärkende Minderheitensituation von christlicher Religion und Kirche. Diese Herausforderungen könnten nach Pöggeler jedoch auch als Chance verstanden werden. "In Zukunft wird christliche Erziehung nicht primär die Aufgabe haben, den Nachwuchs zu treuen Gliedern der Kirche zu machen, sondern in die Praxis glaubwürdigen Christseins einzuüben. Die eigentliche Lehre wird dabei stets mit konkretem Handeln verbunden sein müssen, bloßes Religionswissen ohne Lebensbezug keine Berechtigung mehr haben. Religiöse Unterweisung wird nur Sinn machen, wenn sie Teil einer größeren christlichen Erziehung und Bildung ist, eben einer möglichst konkreten Einübung in das Christsein. Christliche Erziehung hat insofern eine große Zukunftschance, als sie fähig sein kann, Antworten darauf zu geben, wie Gerechtigkeit und Frieden, gleiche Würde aller Menschen und Verantwortung für einander praktiziert werden können." (17) Von größter Bedeutung für den Autor ist dabei "das gelebte Vorbild", nicht die "fertige Doktrin" (18).

Der Mithg. und letzte Assistent von Henz, Scharl, versucht sich an einer Rekonstruktion des pädagogischen Ansatzes von Henz anhand zweier jüngerer Monographien ("Bildungstheorie" und "Ethische Erziehung", beide 1991 erschienen). Zentral ist auch hier wieder die Feststellung der pädagogischen Relevanz von Religion und Religiösität, die ihren unverzichtbaren Beitrag zur Erziehung und Bildung des Menschen leisten können. Auf diesem Hintergrund ist nach Henz bzw. auch Scharl ein interdisziplinärer Dialog zwischen Pädagogik und Theologie gefordert. Zu wenig gewichtet ist in diesen Überlegungen m. E. die zwischen Theologie und Pädagogik bzw. Religion und Erziehung angesiedelte Begriffs- und Problemgeschichte der Bildungskategorie. Mit ihr ist tatsächlich ein zwischen beiden Bereichen oszillierender Begriff gegeben, der die Potenz der interdisziplinären Verknüpfung beider Disziplinen in sich birgt.

Mit dem Beitrag von Scharl ist im vorliegenden Band der erste thematische Reflexionskreis eröffnet: Es geht um die "Christliche Erziehung und Pädagogik im Denken von Hubert Henz" (21-93). Neben dem stärker systematisch orientierten Beitrag von Scharl finden sich hier noch historisch-genetische Überlegungen von H. Kanz "Über die geistigen Grundlagen der Systematischen Pädagogik von Hubert Henz in heutiger Bedeutung". Der Autor macht hier insbesondere auf die historischen Kontextbedingungen der Entstehung des Henzschen pädagogischen Ansatzes (Stichwort: Drittes Reich und der Widerstand dagegen) sowie des Neuansatzes nach dem totalen Zusammenbruch 1945 durch den Rückgriff auf Thomas von Aquin aufmerksam.

Einen zweiten thematischen Fokus dieser Festschrift bilden "Anthropologische Aspekte" (94-225) mit Beiträgen von H. Beck, W. Böhm, M. Liedtke, L. Kerstiens, Fr. Pöggeler, A. Lischewski und B. Hamann. Von besonderer Bedeutung scheinen mir in diesem Zusammenhang Max Liedtkes evolutionsbiologisch fundierte Reflexionen über "Die anthropologische Funktion der Religiosität und die Notwendigkeit der Aufklärung" (120-134) zu sein. Liedtke geht davon aus, daß es "keinen grundsätzlichen Widerspruch zwischen Wissenschaft und Religion gibt (123) und daß "Religiosität... ein primär natürliches, d. h. ein mit der Natur des Menschen verbundenes, genetisch disponiertes Phänomen" ist (126). Diese in tieferen Schichten des Menschen angelegte gleichsam biologische Disposition der Religion bedarf nun aber nach Liedtke auch unbedingt der "Aufklärung", einer Art reflexiven Durchformung, die die Religion vor dem Abgleiten in "Primitivbefriedigungen" (vgl. 130 f.) ­ etwa Magie, Wunderglauben, Fundamentalismus ­ bewahrt. Und auf diesem Hintergrund kann Liedtke dann durchaus zu einer positiven Sicht des Religionsunterrichts an staatlichen Schulen vorstoßen (vgl. 133).

Ein dritter, thematisch-inhaltlich nur recht locker miteinander verbundener Kreis von Beiträgen in diesem Band bietet "Pädagogische Konkretisierungen" (226-415) mit Aufsätzen von E. J. Birkenbeil, F. März, M. Schweizer, E. E. Geißler, H. Schröder, H. Ernst, G. Adam, K. Czerwenka, N. Seibert, A. Dannhäuser, H. Heeg, L. H. Debes u. H. Boventer. Die hier gebotenen Aufsätze im einzelnen spiegeln zu wollen, würde den Rahmen dieser Rezension sprengen.

So bleibt abschließend festzuhalten: Die vorliegende Festschrift bietet eine Reihe von Beiträgen mit wichtigen Denkanstößen, die ihren Teil zur inhaltlich zugrunde gelegten Klammer "Gegenwart und Zukunft christlicher Erziehung" beisteuern, jedoch naturgemäß keinen systematischen Zugriff auf diese Problematik erreichen können.