Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Februar/2009

Spalte:

154-156

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Goldenberg, Robert

Titel/Untertitel:

The Origins of Judaism. From Canaan to the Rise of Islam.

Verlag:

Cambridge: University Press 2007. XI, 299 S. gr.8°. Kart. US$ 70,00. ISBN 978-0-521-60628-8.

Rezensent:

Michael Tilly

Diese allgemeinverständliche Darstellung der Geschichte der jüdischen Religion beschreibt bedeutende religiöse Phänomene, Texte, Riten und Gebräuche, Glaubensinhalte und Herrschaftsstrukturen von der Zeit des Königtums in Israel bis zum Aufkommen des Islam. Im ersten Kapitel (5–25) skizziert Goldenberg, Professor für Geschichte und Jüdische Studien an der State University of New York, zunächst Aufbau und Inhalt der Hebräischen Bibel und betont sowohl die Bedeutung der Darstellung der Ursprünge und der frühen Geschichte Israels in den erzählenden Passagen der Tora als Orientierung stiftende »national memory« (13) als auch die Bedeutung der Prophetie als Vehikel der Willensoffenbarung Gottes für sein Volk (22).
Das zweite Kapitel (26–40) thematisiert die Entstehung des Mo­notheismus in Israel, dessen anfängliche Trägerkreise G. in einem »movement of religious visionaries, the prophets« sieht (31) und als dessen wesentliche Funktion er vor allem die identitätstiftende Abgrenzung von den Kulturen der Mitwelt Israels versteht. Im dritten Kapitel (41–67) geht es um die Entstehung der Tora als Basisdokument des Judentums. G. behandelt ihre Bedeutung im Zusammenhang mit den Reformen Josias, ihre Funktion als autoritative Unterweisung zur Zeit Esras und vor dem Hintergrund der Perserherrschaft sowie ihre aktualisierende Übersetzung im ptolemäischen Ägypten. Der Beginn der hellenistischen Epoche ist Thema des vierten Kapitels (68–85). G. betont die hohe Bedeutung der Krise zur Zeit Antiochos’ IV. für die torazentrierte weitere Entwick­lung der jüdischen Religion: »It is the essence of Judaism that Jews must not be like others. Jews who wish to become more like the neighbors must be stopped« (85).
Während im fünften Kapitel (86–105) die Periode der Hasmonäerherrschaft zur Sprache kommt, widmet sich das sechste Kapitel (106–119) den Vorgängen in den antiken Diasporazentren in Ägypten und Babylonien. G. warnt einerseits zutreffend vor einer unkritischen Übernahme der Aussagen über die Essener und Pharisäer in den antiken Quellen. Andererseits nimmt er an, die Ruinen von Chirbet Qumran seien die von Philo und Plinius d. Ä. beschriebenen »very Essene headquarters« (96 f.). Das siebte Kapitel (120–136) be­fasst sich mit den Vorgängen im Mutterland vom Beginn der Herrschaft des Herodes d. Gr. bis zum Ende des Bar-Kochba-Aufstands. Im Kontext der Herrschaft der Herodessöhne werden auch die Je­susbewegung und das frühe Christentum angesprochen. Im Zu­sam­menhang mit der Behandlung von Vorgeschichte, Verlauf und Folgen des Jüdischen Kriegs merkt G. an, dass die römische Wahrnehmung des Judentums nicht als Ethnie, sondern als eine Religion eine folgenreiche Modifikation der jüdischen Identität erzwungen habe: »If Judasim was to survive this catastrophe, it could do so only after radical adjustment to its new circumstances« (133).
Im achten Kapitel (137–159) wird die Entstehung der rabbinischen Bewegung behandelt. G. problematisiert die – s. E. unzutreffenden – Annahmen des Bestehens der Nesi’ut bereits im 1. Jh. n. Chr. und der generellen Kontinuität zwischen der pharisäischen Bewegung und dem Rabbinat. Kennzeichnend für die tannaitischen Weisen sei ihr Bemühen, in der Zeit nach der Zerstörung des Tempels das alltägliche Leben des jüdischen Frommen als Ort der Entsprechung des Willens Gottes zu qualifizieren (157). Das neunte Kapitel (160–178) beleuchtet die tannaitische Literatur. Die Misch­na definiert G. zutreffend als »the first known standard training text for rabbinic disciples« (160). Angesprochen werden das Konzept der mündlichen Tora (164 ff.) und die systematische rabbinische Schriftdeutung in den Midraschim (174 ff.). Das letzte Kapitel (179–192) erörtert die amoräische Epoche und die Bedeutung der Ausbreitung des Christentums, die in seine Erhebung zur staatlich privilegierten Religion mündete. Das negative christliche Judenbild wurde nun zur allgemeinen Maxime. Mit dem Vordringen der muslimischen Araber endet der dargestellte Abschnitt der jüdischen Religionsgeschichte. Dem Text beigegeben sind zahlreiche thematische Zusätze, die aus den antiken Quellen zitieren und wichtige Einzelthemen behandeln. Drei Anhänge bieten von G. als formal und inhaltlich repräsentativ erachtete Abschnitte aus dem Babylonischen Talmud (193–209), eine Aufstellung rabbinischer Bio­graphien (210–219), deren – zumindest partiell – fiktionalen Cha­rakter G. betont, und einen diachronen Abriss der Sabbatobservanz im Altertum (220–226). Weiterhin beigegeben sind ein ausführliches Glossar (227–240), eine Zeittafel (241–243), eine annotierte Bibliographie (277–282) und ein Register (283–299).
Die ebenso instruktive wie flüssig geschriebene Darstellung der Geschichte des antiken Judentums rezipiert über weite Strecken die aktuelle bibelwissenschaftliche und judaistische Forschung. Grundlage der Darstellung sind überwiegend literarische Texte, die G. durchweg gründlich, umfassend und differenzierend auswertet. Allerdings hätte die stärkere Berücksichtigung auch des archäologischen und epigraphischen Quellenmaterials die zutreffenden Interpretationen G.s an manchen Stellen sicher zu stützen und zu präzisieren vermocht.
Kritische Anmerkungen betreffen eine Reihe von Einzelheiten: Hinsichtlich der Trägerkreise der monotheistischen Bewegung wäre m. E. auch auf die Parikularinteressen der Jerusalemer Pries­terschaft einzugehen (27). Die Aussage, die Tora habe in der Perserzeit eine »fixed, eternal form« erhalten (61), beruht auf der unbegründeten Annahme ihrer punktuellen »ursprünglichen« Ideal­gestalt. Bei der Beschreibung der Funktionen der Mischna bleibt ihre utopische bzw. eschatologische Dimension ausgeblendet (158). Nicht erst die Rabbinen verbanden mit dem Begriff »Tora« mehr als einen Text (162), was aus den Handschriftenfunden vom Toten Meer deutlich hervorgeht. Die »Apokryphen« gehörten wohl nie zu einer jüdischen Sammlung verbindlicher Heiliger Schriften (228).
Insgesamt ist G. eine lehrreiche Einführung in die antike jüdische Religionsgeschichte gelungen, deren Lektüre allen, die an einer soliden Erstinformation interessiert sind, einen sehr guten Ein­stieg in die Thematik ermöglicht.