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Ausgabe:

Januar/2009

Spalte:

132-133

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Ruschke, Werner M.

Titel/Untertitel:

Spannungsfelder heutiger Diakonie.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2007. 208 S. gr.8° = Diakonie, 4. Kart. EUR 22,00. ISBN 978-3-17-019976-7.

Rezensent:

Arnd Götzelmann

Als vierter Band der Reihe »Diakonie: Bildung – Gestaltung – Organisation« ist im Jahr 2007 eine Aufsatzsammlung von Werner M. Ruschke erschienen. Der heutige Vorstandsvorsitzende des Evangelischen Perthes-Werks, Münster, hatte als Leiter eines Predigerseminars, als Seelsorger in Einrichtungen für alte und behinderte Menschen sowie als Öffentlichkeitsarbeiter offenbar immer wieder das Bedürfnis, sein praktisches Handeln theologisch zu reflek­tieren und zu verschriftlichen. In den letzten Jahren bildete das diakonische Managementhandeln in einer mit rund 4400 Mitarbeitenden recht großen evangelischen Alten- und Behindertenhilfe-Unternehmung in Westfalen den Erfahrungshintergrund. Zielsetzung der in dem Band zusammengestellten Arbeiten ist laut dem Vorwort, im Leitungshandeln »theologisch vergewissert vorzugehen und theologische Kriterien für das eigene Leitungshandeln anzuwenden oder zu entwickeln« sowie »Impulse an Mitarbeitende« zu geben.
Bei den 20 Beiträgen des Bandes handelt es sich in der Regel um überarbeitete Versionen von Vorträgen, »die in der Regel an mehreren Orten und dabei in geänderter Form gehalten wurden« (Nachweise, 207). Für die meisten Beiträge ist jeweils der »Erstanlass« bzw. der »Ort der Erstveröffentlichung« (207) genannt. Der älteste Beitrag wurde bereits 1997 erstveröffentlicht, der jüngste nachgewiesene Beitrag basiert auf einem Vortrag von 2005. Drei Beiträge werden unter den Nachweisen (207 f.) nicht aufgeführt, leider findet sich nirgends ein Hinweis auf ihren »Sitz im Leben«. Gerade bei dem Beitrag »Über Qualitäts- und Erfolgskontrolle in der diakonischen Öffentlichkeitsarbeit« (174–189), der deutlich in Vortragsform erhalten ist und einen polemisch-kritischen Unterton hörbar werden lässt, wäre es hilfreich, eine genauere Vorstellung vom Auditorium zu erhalten. Der Beitrag »Aufgaben der Altenheimseelsorge« (125–140) zitiert Literatur aus dem Jahr 2006 und scheint deshalb der jüngste Bandbeitrag zu sein – über seinen ursprünglichen Anlass erfahren wir leider ebenso wenig wie über das Setting des Beitrages mit dem Titel »Ethische Standards und Interessenkonflikte beim Fundraising aus theologischer Sicht« (158–173).
Die Beiträge stehen ohne an irgendeiner Stelle transparent gemachte inhaltliche Systematisierung hintereinander, lassen sich aus meiner Perspektive jedoch fünf Komplexen zuordnen, die gut dem weitgefassten Buchtitel zu subsumieren sind: Die ersten sechs Beiträge drehen sich um den Konnex von Kirche und Diakonie sowie um theologische Grundlegungsfragen diakonischer Praxis. So wird das Thema »Diakonie als Lebens- und Wesensäußerung der Kirche« (9–17) sozusagen als Introitus dem Band vorangestellt. Dem folgt zunächst eine diakonietheologische Auseinandersetzung mit der zweiten These der Barmer Theologischen Erklärung von 1934 (18–22), dann der Versuch, das Verhältnis von »Theologie und Diakonie« (23–28) in zehn Sätzen zu bestimmen, eine Art Thesenpapier zum siebten Kernsatz des Leitbilds Diakonie »Wir sind Kirche« (29–30), anschließend ein etwas längerer Aufsatz »Zum diakonischen Kirchenverständnis und kirchlichen Diakonieverständnis« (32–45) und eine Reflexion zum Thema »Sinngebung, Glaubenshilfe und Seelsorge als Verpflichtung diakonischer Träger« (46–55).
Der zweite Komplex konzentriert sich in zwei Beiträgen auf wichtige Mitarbeitendengruppen der Diakonie: »Wozu braucht ein diakonisches Unternehmen doppelt qualifizierte Diakone/-innen und kirchliche Amtsträger/-innen?« (56–65) und »Ehrenamtliche auf dem Weg zum Profi« (66–73).
Der folgende Beitrag setzt sich mit »Gründe[n] für ehrenamtliche Mitarbeit in Krankenhaus und Altenheim« (74–85) auseinander und bietet somit eine inhaltlich günstige Überleitung zu einem dritten Themenkomplex, in dem es um stationäre Diakonieeinrichtungen, die Besonderheiten der Seelsorge und Pflege in ihnen und um damit zusammenhängende ethische Fragen geht. Die weiteren fünf Beiträge dieses Komplexes sind folgendermaßen überschrieben: »Alt werden in unserer Gesellschaft – was kommt auf uns zu? Probleme und Perspektiven der stationären Altenpflege« (86–96), »Schafft die Heime ab! Das Für und Wider einer populistischen Forderung« (97–101), »Pflegenotstand? Gegen den uneindeutigen Gebrauch des eindeutigen Begriffs Notstand« (102 f.), »Mit unserem Latein am Ende? Ethische Fragen am Lebensende« (104–124) und »Aufgaben der Altenheimseelsorge« (125–140).
Der vierte Komplex fokussiert verschiedene Entwicklungen diakonischer Praxis in den letzten Jahren angesichts der Einführung marktwirtschaftlicher Prinzipien in die Wohlfahrtspflege. Hierher gehören vier Beiträge. Der erste bringt unter dem Motto »Profil und Profit« (141–144) die aktuellen Fragen der Diakonie in den 1990er Jahren thetisch auf den Punkt, indem Zusammenhang und Widerspruch von Christlichkeit und Wirtschaftlichkeit in der diakonischen Praxis angesichts der Ökonomisierung skizziert werden. Theologische Aspekte zu »Lohn – Leistung – Dienstgemeinschaft« (145–157) werden ebenso zum Thema wie »Ethische Standards und Interessenkonflikte beim Fundraising« (158–173) und die Möglichkeiten der »Qualitäts- und Erfolgskontrolle in der diakonischen Öffentlichkeitsarbeit« (174–189).
Ein fünftes Themenfeld ist mit dem letzten größeren Beitrag eröffnet, der sich der Person, dem Werk und den diakonischen Konzepten des Clemens Theodor Perthes (190–204), dem Namensgeber der diakonischen Unternehmung widmet, deren Leitung R. innehat. – Etwas angehängt und recht rudimentär wirkt das zweisei­tige Thesenpapier zu »Globalisierung und Diakonie« (205 f.) am Ende des Bandes.
Eine solche Aufsatz- bzw. Vortragssammlung erhebt keinen An­spruch auf eine klare Systematik. So hat R. auch keinen Wert darauf gelegt, manche Dublette oder Redundanz in seiner Argumentation auszumerzen. Insofern man ein solches Buch ohnehin nicht in einem Rutsch herunterliest, sondern sich von den thematischen Signalen zum Lesen einzelner Beiträge in verschlungener Reihenfolge motivieren lässt, stört manche Wiederholung nicht. Immer wieder stößt man hingegen bei der aktuellen Bezugnahme auf virulente Fragen und Probleme diakonischer Praxis auf kreatives theologisches Denken, biblische und Gesangbuchbezüge sowie auf manche Rosine aus der schönen Literatur. R. versteht es, diese Elemente zu anspruchsvollen Texten zu verweben. Den Zeitgenossen in den diakonischen Einrichtungen, Verbänden und Unternehmen gibt er damit manche diskussionswürdige Anregung.