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Ausgabe:

Januar/2009

Spalte:

130-131

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Rheindorf, Thomas

Titel/Untertitel:

Liturgie und Kirchenpolitik. Die Liturgische Arbeitsgemeinschaft von 1941 bis 1944.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2007. 291 S. gr.8° = Arbeiten zur Praktischen Theologie, 34. Geb. EUR 38,00. ISBN 978-3-374-02526-8.

Rezensent:

Ralph Kunz

Thomas Rheindorfs Untersuchung der Geschichte der Liturgischen Arbeitsgemeinschaft in der Zeitspanne von 1941 bis 1944 ist ein Auftragswerk der Liturgischen Konferenz und zugleich eine Dissertation. Ihr Gegenstand ist die Frühgeschichte der Lutherischen Liturgischen Konferenz in den Kriegsjahren, d. h. die Entstehung und das Wirken dieser Vorläuferorganisation der heutigen Konferenz. Zwar existieren schon Arbeiten darüber, namentlich die Aufsätze von Joachim Beckmann und Christhard Mahrenholz, aber die Darstellungen der Genese und der Arbeit der Arbeitsgemeinschaft »weichen in vielen Details voneinander ab« (16). Und so ist das Programm dieser Untersuchung gegeben: »Die erhaltenen Dokumente sind zusammenzustellen und in eine Ordnung zu bringen, die ein möglichst engmaschiges Bild der Frühgeschichte ergibt« (17).
Das ist kein Programm für einen großen liturgietheoretischen Wurf. In den Schlusssätzen des Ausblicks, die mehr ein Fazit sind, heißt es denn auch bescheiden: »Die Liturgische Arbeitsgemeinschaft ist zu einem Stück Liturgiegeschichte geworden. Hinter manchen der in ihr aufgeworfenen Problemstellungen lassen sich bei genauerer Betrachtung aber Parallelen zu aktuellen liturgischen Suchbewegungen finden. In der ›Ekklesia semper reformanda‹ bedarf es selbstvergewissernder und identitätsstiftender Rück­griffe auf die eigenen Wurzeln. Hierzu will diese Arbeit einen Beitrag leisten« (108).
Das leistet sie in der Tat. Zunächst durch eine Skizze jener Um­bruchszeit nach Ende des Wilhelminischen Reiches, die auch für die Liturgie und Liturgik eine bewegte Phase war. Ein eigentlicher Paradigmenwechsel vollzog sich in einer Fülle von Strömungen und Aufbrüchen. Die Entstehung der Liturgischen Arbeitsgemeinschaft ist in diesem Kontext als Teil der ›Jüngeren liturgischen Bewegung‹ zu verstehen. Charakteristisch und in der Folgezeit prägend war freilich der Richtungswechsel, der sich in den Kriegsjahren immer deutlicher abzeichnete und sich in dem in der Satzung festgeschriebenen Ziel »einer Anbahnung an einheitliche liturgische Verhältnisse innerhalb der lutherischen Kirche der DEK« (100) ausdrückte.
R. rekapituliert die Gründe und Hintergründe dieser Zielsetzung. Er verweist auf den kirchenpolitisch geschickten Schachzug der Kooperation mit der Liturgiekonferenz Niedersachsens (24 ff.), die Verbindungen bzw. Nichtverbindung zur evangelischen Mi­chaelsbruderschaft (32 ff.) und auf den indirekten Einfluss der Kirchlichen Arbeit Alpirsbach. In der chronologischen Darstellung der Tagungen werden die Fortschritte und Rückschritte der Ar­beitsgemeinschaft, die von Querelen und strategischen Pakten zwischen den einzelnen Persönlichkeiten – allen voran Mahrenholz und Beckmann – geprägt war, geschildert (43–95).
Hilfreich ist die zusammenfassende Auswertung, die R. der Schilderung der ränkereichen Tagungsgeschichte folgen lässt. Zu Recht wird darauf hingewiesen, dass die Liturgische Arbeitsgemeinschaft auch als »Phänomen der Kriegszeit« (97) gedeutet werden muss. Das Ziel der Einheit ist mehr als nur ein Programm gegen die Auflösung der Form! Die Rückbesinnung auf das originär christliche und genuin Evangelische richtete sich vor allem auch gegen den Kulturpositivismus des Staates (98). Peter Brunners Ansatz der historischen Rekonstruktion lässt sich auch in diesem Lichte als eine ideale Methode für den angestrebten gemeinsamen Neuanfang interpretieren (103). Statt Kontinuität und Kompromiss setzte man auf eine neu gefundene alte Form.
R. hält sich mit Deutungen stark zurück, stellt sich ganz in den Dienst der Sache und beschreibt und schildert die Entscheidungsfindungen der Arbeitsgemeinschaft. Die Deutung der liturgiewissenschaftlichen Kontroversen zum Ende des Kirchenjahres und zum Weihnachtsfestkreis sprengt diesen engen Interpretationsrahmen und macht auf eindrückliche Weise deutlich, wie die Vorgeschichte und die unmittelbare Folgegeschichte der Konferenz mit dem Krieg zusammenhängen. Gerungen wurde u. a. um eine stärkere Akzentuierung des Stephanustages im Kirchenjahr. Das ist nicht ohne Brisanz. Stephanus, der Märtyrer, wurde wegen seines Bekenntnisses zu Jesus Christus getötet. Zum Zeitpunkt der Beratung über die Stärkung des Stephanustages waren bereits etliche Mitglieder der Bekennenden Kirche Opfer des Nationalsozialismus geworden (104).
Die Arbeit ist gut dokumentiert: Sie enthält 34 Biogramme der Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft (109–155) sowie über 100 Seiten Dokumente (156–282), darunter die Satzung, die Protokolle und die Korrespondenz der Arbeitsgemeinschaft. Die Quellen enthalten in letzterem Fall naturgemäß auch Banales und Alltägliches – man erfährt einiges über Ohrenschmerzen und Lungenentzündungen. Vielleicht hätte man für die Publikation eine Scheidung von Spreu und Weizen erwägen können!? Alles in allem verdient aber die editorische Sorgfalt, die diesen Band auszeichnet, großes Lob. Das Ziel, »auf dem in Bewegung geratenen Feld der liturgiegeschichtlichen Erforschung des 20. Jahrhunderts Anknüpfungspunkte« (107) zu bieten, hat die Untersuchung auf jeden Fall erreicht.