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Ausgabe:

Januar/2009

Spalte:

126-127

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Bonaccorso, Giorgio

Titel/Untertitel:

La liturgia e la fede. La teologia e l’antropologia del rito.

Verlag:

Padova: Edizioni Messaggero 2005. 270 S. 8° = Caro salutis cardo. Sussidi, 8. Kart. EUR 16,00. ISBN 88-250-1391-4.

Rezensent:

Michael Meyer Blanck

Im (katholischen) Pastoralliturgischen Institut in Padua wird an einem liturgiewissenschaftlichen Ansatz gearbeitet, der historische, systematische und humanwissenschaftliche Aspekte umfasst und der im Begriff des »Ritus« sein Zentrum hat. Das Programm der »liturgischen Theologie«, wie es u. a. Andrea Grillo (Rom/Padua) vertritt (A. Grillo, Einführung in die liturgische Theologie, Göttingen 2006, ital. 1999), ist dabei als Konzept von Theologie überhaupt und nicht lediglich als Theologie der Liturgie aufzufassen. Es geht um das Verhältnis von Liturgie und Glaube überhaupt (so der Titel). Der an dem Institut in Padua wirkende Vf. des vorliegenden Bandes gehört damit in den Zusammenhang einer ritualtheoretisch und fundamentaltheologisch konzipierten Liturgiewissenschaft. Die Humanwissenschaften sind dabei ein integraler Bestandteil von Liturgik und Theologie: Diese Wissenschaften »können helfen, das spezifisch Christliche besser zu verstehen und es von ideologischen Verkrustungen zu befreien« (160) – vorausgesetzt, dass man sich der Eigendynamik dieser Wissenschaften be­wusst ist, die eine Art von »methodologischer Aggressivität« mit sich führen können, gerade was den Gegenstand der religiösen Erfahrung angeht (106). Die damit deutlich gewordene kritische Rezeption der »scienze umane« bestimmt den gesamten Band.
Die acht Kapitel entfalten den Ansatz in zwei Teilen. In den ers­ten vier Kapiteln werden bekanntere neuere liturgische Interpretationsansätze vorgestellt (21–125): der liturgiehistorische (2. Kapitel), der liturgietheologische (3. Kapitel, hier geht es u. a. um Casel, Vagaggini und Marsili) und der pastoralliturgisch-anthropologische (u. a. Festugière, Guardini). In den Kapiteln 5–8 werden die wichtigsten Bezüge einer liturgisch-rituellen Anthropologie herangezogen. Diskutiert werden im 5. Kapitel zunächst (religions-) philosophische Ansätze (analytisch, erfahrungsbezogen, sprachtheoretisch, dialektisch, handlungstheoretisch), im 6. Kapitel wird die Theorie religiöser Erfahrung und im 7. Kapitel die symbolische Sprache behandelt, bevor schließlich mit Kapitel 8 das Ziel in einer Theorie des rituellen Handelns erreicht wird (»L’Azione rituale«, 189–233).
In diesem achten Kapitel finden sich in einer semiotisch inspirierten Symbol-, Zeichen- und Ritualtheorie die wesentlichen Bestimmungen. Es geht dabei um den Übergang von einer erfahrungs- und sprachtheoretischen Beschreibung zu einem umfassenden handlungs- und ritualtheoretischen Verständnis des Gottesdienstes (wobei der Begriff »l’Azione rituale« etwas gänzlich anderes meint als das handlungswissenschaftliche Konzept der deutschen Praktischen Theologie seit 1970). Dem Vf. und dem Institut geht es nicht um einen empirisch-operationalisierenden Zugriff auf die rituelle Praxis, sondern um eine humanwissenschaftlich aufgeklärte Theorie rituellen Handelns als einer Form von Fundamentaltheologie. Der Ritus ist dadurch gekennzeichnet, dass er keine Repräsentation (einer Idee oder eines Begriffes), sondern die Repetition einer Ursprungsgeschichte darstellt, die jeweils kommunikativ kontingent ist. Dabei kann das deutsche Fremdwort der »Repetition« das Gemeinte allerdings kaum wiedergeben, weil man dabei in der Regel an die Reaktivierung von etwas gut Bekanntem denkt (»Repetitorium«). Man müsste im Deutschen eher von der »Wiederaufnahme« oder von der »Wieder-Holung« im Kierkegaardschen Sinne sprechen, um das Gemeinte zu erfassen: »Bei der Wiederholung (ripetizione) treten das Ursprungsereignis und das aktuelle Handeln in eine Beziehung (relazione) ein, ohne ihre Einmaligkeit und wechselseitige Differenz zu verlieren. … Die Wiederholung (ripetizione) ist wie eine Begegnung: Wenn zwei Personen einander begegnen, entsteht eine Beziehung (relazione), die die wechselseitige Differenz nicht aufhebt.« (197) Die rituelle Wiederholung steht damit im Gegensatz zur technischen Reproduktion (riproduzione) eines Handlungsablaufes (198; hier ließe sich ein Bezug zu Schleiermachers Begriff der »Kunstregel« herstellen).
Der Vf. sucht für seine Theorie das Gespräch mit sehr verschiedenen Wissenschaftstraditionen, besonders mit der Zeichentheorie im Gefolge von Ch. S. Peirce (so kann der Vf. die Heilige Schrift als das »dynamische Objekt« von Zeichenprozessen beschreiben, 24). Ebenso wird im 7. Kapitel die Symbolsprache unter dem semantischen und pragmatischen Aspekt beschrieben (177–188; hier fehlt allerdings der syntaktische Aspekt). Leider kommt der eigene zeichentheoretische Zugriff in diesem Band noch nicht so deutlich heraus, weil der Vf. sich wesentlich auf die Bezüge anderer liturgiewissenschaftlicher Autoren (etwa 32–37) bezieht und keine eigene liturgische Zeichentheorie im Rückgriff auf semiotische Quellen formuliert. Diese Aufgabe scheint mir für die italienische katholische Liturgiewissenschaft anzustehen: ein Überblick zur bisherigen Rezeption semiotischer Theorien und deren kritische Bewertung anhand der semiotischen Klassiker selbst.
Die Suche nach einem pragmatisch-ritualtheoretischen Verständnis von Gottesdienst im vorliegenden Buch ist gleichwohl in jeder Weise weiterführend. So wird vom Vf. völlig zu Recht für das theoretische Recht der Subjektivität in der Liturgik plädiert, denn »man kann die subjektiven Bedingungen nicht übergehen, weil diese ein integrativer Bestandteil des heilschaffenden liturgischen Handelns Gottes sind« (13). Dabei existieren für den Vf. keine isolierten »Inhalte« ( significati) oder Begriffe, weil jeder Begriff und jede Idee nur Teil eines Denk-, Wahrnehmungs- und Überzeugungszusammenhanges ist (45).
Unter anderem deswegen, weil die Liturgie mit ihren Ritualen diese Zusammenhänge und Voraussetzungen bewusst macht, spielt sie für die Formulierung von Theologie überhaupt eine entscheidende Rolle. Ob man dann wirklich von der Liturgie als der »ontologischen Bedingung von Theologie« sprechen will (75), kann kontrovers diskutiert werden. Wenn man die Theologie aber als die methodisch über sich selbst aufgeklärte Beschreibung religiöser Rede (und des Redens über Religion) auffasst, dann ist die ri­tuell gelebte und tradierte Religion mindestens zeitlich vorgängig und der Gottesdienst die Bedingung der Möglichkeit aller Theo­logie.