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Ausgabe:

Januar/2009

Spalte:

117-120

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Ibekwe, Linus

Titel/Untertitel:

The Universality of Salvation in Jesus Christ in the Thought of Karl Rahner. A Chronological and Sys­tematic Investigation.

Verlag:

Würzburg: Echter 2006. XXII, 451 S. gr.8° = Bonner Dogmatische Studien, 42. Kart. EUR 35,00. ISBN 978-3-429-02840-4.

Rezensent:

Andreas R. Batlogg

In seinem 1937 gehaltenen und im selben Jahr (dem ersten seiner akademischen Lehrtätigkeit) veröffentlichten Vortrag »Die ignatianische Mystik der Weltfreudigkeit« bemerkt der Jesuit Karl Rahner (1904–1984): »Im Christentum, das heißt in Jesus Christus, hat der lebendige persönliche Gott den Menschen angeredet. Damit ist eine erschreckende Tatsache in das Leben des Menschen getreten«. Wer diese Formulierung, die später nahezu identisch wieder auftaucht (»Passion und Aszese«), vorschnell als Vortragsrhetorik abtut, übergeht, dass Rahners gesamtes Schaffen als Dogmatiker und Dogmenhistoriker auch von dem Anliegen durchzogen ist, das gelegentlich auf einen abstrakten, distanziert-akademischen Be­griff reduzierte »Jesusereignis« als »erschreckende Tatsache« darzustellen, die den Menschen doch irgendwie aufrütteln müsse. Deswegen kann nicht überraschen, dass er im »Grundkurs des Glaubens« (1976) den sechsten und längsten »Gang« mit der Feststellung beginnen lässt, er komme »nun zum schlechthin Christlichen des Christentums, zu Jesus Christus«.
Der Vf. dieser an der Universität Bonn eingereichten Doktorarbeit (Erstgutachter: Karl-Heinz Menke, Zweitgutachter: Michael Schulz) befasst sich mit dem Thema der Universalität des Heils in Jesus Christus im Denken Karl Rahners. Durchgeführt wird dies zweifach: chronologisch und systematisch. Dem entsprechen die beiden in etwa gleich umfangreichen Teile der Untersuchung, die nicht allein wegen ihrer Durchführung Respekt verdient, sondern schon wegen der Tatsache, dass ihr nigerianischer Vf. sich nicht scheute, sich auf einen deutschen Theologen einzulassen.
Den beiden Teilen gehen eine kurz gefasste Biographie K. Rahners (XX–XXII) mit einigen Unschärfen und eine allgemeine Einleitung (1–4) mit einer Programmvorschau voraus. Erkennbar wird darin das Motiv, das den Vf. bewog, sich auf Rahner einzulassen: Er sieht in ihm den führenden theologischen Protagonisten der Vorstellung, dass nicht nur Getaufte, sondern alle Menschen, einschließlich der vor Christi Geburt geborenen, Heil durch Jesus Christus erlangen können. Demgemäß möchte er eine Reihe damit verbundener Fragen klären: das Theologumenon vom anonymen Christentum (dass also auch solche, die noch gar nichts von Jesus Christus gehört haben, Christen sein könnten); die Problematik, dass sich der Heilswille auf die vor Christus Geborenen erstreckt; das Verhältnis Jesu und seines Anspruchs zu anderen Religionen, zumal in einer Zeit des religiösen Pluralismus und auf dem Hintergrund des afrikanischen Kontextes (Ahnenkult); schließlich der Absolutheitsanspruch des Christentums, der heute mehr denn je als Ärgernis bzw. Anmaßung empfunden wird.
Teil 1 (Kapitel 1–3) analysiert das umfangreiche Werk Rahners chronologisch nach drei Phasen, die sich schon andernorts bewährt haben und auf Karl Lehmann zurückgehen: 1933 bis 1953, 1954 bis 1968 sowie 1969 bis 1984. – Im Frühwerk (Kapitel 1, 5–134) ist die Universalität Jesu Christi grundgelegt, allerdings noch ohne allzu explizite Bezugnahme auf die gewohnten dogmatischen Termini. Theologisch-patristische Untersuchungen, die theologische Dissertation »E latere Christi« und die Auswertung der deutschen protestantischen Christologie fallen in diese Zeit. Die Herz-Jesu-Frömmigkeit, an deren theologischer Fundierung Rahner (zusammen mit seinem Bruder Hugo, dem Kirchenhistoriker und Ignatiusforscher) bereits während seiner Ausbildungszeit arbeitete und die ihn bis in die 70er Jahre hinein beschäftigte, ist dabei von besonderer Bedeutung; ebenso wie die in der Patristik stark behandelte Adam-Christus-Typologie, die in »E latere Christi« von 1936 eine wichtige Rolle spielt. Am entscheidendsten kommt der allgemeine Heilswille Gottes im Gnadentraktat »De gratia Christi« (ab Wintersemester 1937/38) zur Sprache, der auch vor dem Hintergrund von »Geist in Welt« und »Hörer des Wortes« gelesen werden muss. – Kapitel 2 (135–183) behandelt die zweite, äußerst fruchtbare Werkphase im Horizont des Chalkedon-Jubiläums, für das Rahner den wirkmächtigen Aufsatz »Chalkedon – Ende oder Anfang?« verfasste. Christologie und Anthropologie werden in ihrer gegenseitigen Verwiesenheit dargestellt. Auf breiter Basis versuchte Rahner, formal-ontische Kategorien des Dogmas in ontologisch-existentielle zu übersetzen, auch um eine Verengung des Lebens Jesu auf soteriologisch-funktionale Kategorien zu vermeiden und mythologische Verständnisse von Menschwerdung abzuwehren. Die Inkarnation des Logos erscheint als Ziel der Schöpfung, also skotistisch gedeutet (prälapsarisches Heil). Eine Reihe von Aufsätzen zum Weihnachtsgeheimnis illustriert seine Bemühungen, die auf seiner Symboltheologie aufbauen (»Inkarnationschristologie«): »An aspect of Christ as the absolute saviour is Rahner’s view on the te­leology of all creation which has Christ as its goal« (183). – Kapitel 3 (184–222) beschäftigt sich mit der dritten, mit Rahners Tod 1984 zu Ende gegangenen Werkphase, die eine Zeit der Systematisierung des (1971) emeritierten Professors wurde. Die historisch-kritische Vertiefung früherer Ansätze und die Sorge um den existentiellen Zugang zu Jesus als dem Christus zeigen sich hier als seine stärksten Motive. – Eine Reihe von aufgeworfenen Fra­gen (»lingering questions«, 221 f.), die die chronologische Durchsicht für den Vf. ergeben hat, schließen den ersten Teil ab und sollen im Anschluss beantwortet werden; sie können als Gegenprobe für die eigene Lektüre dienen und eröffnen gleichzeitig die systematische Analyse in Teil 2 (Kapitel 4–8).
Kapitel 4 (223–258) stellt Christus als die Antwort auf die Frage nach dem Menschsein überhaupt vor, die sich dem modernen Menschen mit seinem Erfahrungshunger stellt. Es endet mit einem Ausblick auf »Christus als Proto-Ahn« als Beitrag afrikanischer Theologen zur Frage der Rezeption Christi als der höchsten Form des Menschseins (256–258). – Kapitel 5 (259–300) geht der Frage nach der universalen Bedeutung Christi hinsichtlich der Gnadentheologie nach, die der Vf. etymologisch mit einem Streifzug durch die Kirchen- und Theologiegeschichte bis herauf zum Zweiten Vatikanischen Konzil darlegt, bevor er sie mit der Christozentrik der Gnade in Bezug setzt, bei der die Überlegung des übernatürlichen Existentials zum Tragen kommt. Da die »Selbstmitteilung Gottes« inkarnatorischen Charakter hat, erscheint Jesus als Gottes Wort der Gnade, das Fleisch angenommen hat: unübertreffbar konkret und endgültig (vgl. 287). Rahners Gnadenkonzept hat nicht nur Auswirkungen auf seine Christologie, sondern wirkt zurück auf die gesamte christliche Theologie. – Das schmale Kapitel 6 (301–319) thematisiert die Beziehung zwischen Christus und der Kirche, indem diese als Leib Christi und fortdauernde Gegenwart Christi in der Welt aufscheint, was nicht – ein Standardvorwurf an Rahner – zur Aushöhlung bzw. Untergrabung der sichtbaren Kirche beiträgt (vgl. 317). – Das breiter angelegte Kapitel 7 (320–372) referiert die Beziehung zwischen der Kirche und Nichtchristen, mithin das prominente Theologumenon vom anonymen Christen, das Nikolaus Schwerdtfeger (1982, nicht 1980, wie im Literaturverzeichnis behauptet) erschöpfend analysiert hat: kein philosophisches Konstrukt, sondern biblisch und anthropologisch-christologisch begründet (vgl. 367–371) und keineswegs (außer dem Begriff nach) eine »Erfindung« Rahners .– Kapitel 8 (373–409) geht Fragen der Beziehung zwischen dem Chris­tentum und nichtchristlichen Religionen nach, wie sie nicht zuletzt durch das Dokument der Glaubenskongregation »Dominus Iesus« im Jahr 2000 neu aufgeworfen wurden (vgl. 375) und in Zeiten einer sich immer mehr differenzierenden pluralistischen Religionstheologie von höchster Aktualität und Brisanz sind. Auch dieses Kapitel endet mit einem Ausblick: Christentum und nichtchrist­liche Religionen in Nigeria (401–409), besonders der Islam.
Auf gut 20 Seiten präsentiert der Vf. am Ende seiner Studie eine übersichtliche Auswertung und zieht einige Schlussfolgerungen. Die Auswertung schließt mit sechs Kritikpunkten an Rahner ab: Überbetonung der »Christologie von unten«; übertriebener Optimismus bezüglich der menschlichen Natur, was das Erlangen ihrer perfekten Vollendung angeht; Überbetonung der Christozentrik, die zu einer Unausgeglichenheit (»imbalance«) in der Theologie führe; Identifizierung der sichtbaren Kirche mit Christus; Übersehen einiger Implikationen der Theorie des anonymen Christentums; undifferenzierte Identifikation von Gottes- und Nächstenliebe (vgl. 420–425) – Punkte, die diskutabel sind, m. E. aber auch Verstehensdefizite des Vf.s erkennen lassen.
Insgesamt hat man eine sorgfältig erarbeitete Untersuchung vor sich, die eine solide Kenntnis der Schriften Karl Rahners verrät und enorm viel Sekundärliteratur verarbeitet, die wiederum notwendigerweise auswählt – aber auch übersieht: etwa Doris Ziebritzkis Studie »Legitime Heilswege« über die Religionstheologie K. Rahners (2002). Ob eher assoziativ wirkende Bezugnahmen etwa auf Viktor Frankl (217) oder Desmond Tutu (221) nicht zu weit führen, muss der Leser selber beurteilen. Einige missliche Druckfehler wird man einem ausländischen Vf. nachsehen; auch dass das Namenregister nicht vollständig ist (K. Adenauer, J. Döpfner [statt Döpfer: XXI] oder F. König fehlen z. B.). Die theologische Doktorarbeit Rahners »E latere Christi« umfasst freilich 136 und nicht, wie behauptet (13, Anm. 30), 497 Seiten – das sind in den »Sämtlichen Werken« Karl Rahners, Band 3 (476 S.), wo die Studie 1999 erstediert wurde, ganze 84 Seiten. Dass der Vf. die werkgenetische Ochsentour antrat, bevor er zur systematischen Analyse schritt, imponiert dem Rezensenten. Die Lektüre dieser Studie lohnt.