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Ausgabe:

Januar/2009

Spalte:

116-117

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Swinton, John

Titel/Untertitel:

Raging with Compassion. Pastoral Responses to the Problem of Evil.

Verlag:

Grand Rapids-Cambridge: Eerdmans 2007. VIII, 264 S. gr.8°. Kart. US$ 22,00. ISBN 978-0-8028-2887-9.

Rezensent:

Wolfgang Baum

Kaum ein anderes Thema beherrscht mit beachtlicher Hartnä­ckigkeit den theologischen und philosophischen Diskurs der Neuzeit wie die Frage nach der Theodizee. Befürworter wie Gegner einer möglichen Rechtfertigung Gottes angesichts des Leids können hierbei auf eine denkbar lange Tradition verweisen, in der einerseits die Gottesfrage vor der Absurdität gerettet, andererseits im Namen des Menschen bzw. der Menschlichkeit jedwede Legimitation Gottes abgestritten wird. Zur ersten Position ist unverkennbar der Diskussionsbeitrag von John Swinton, Pastoraltheologe an der Universität Aberdeen, zu zählen. Der Titel: »Raging with Compassion. Pastoral Responses to the Problem of Evil« fasst be­reits in wenigen Worten nicht nur die Stoßrichtung seiner Argumentation zusammen, sondern deutet die leidenschaft­liche Ambition an, mit der S. zu Werke geht: Schon auf den ersten Seiten stellt er unmissverständlich fest, dass im Rahmen der herkömmlichen Theodizee die bisherigen Argumentationsfiguren nicht nur un­brauchbar, sondern selbst Teil des Problems sind: »Rather, I argue that standard philosophical and theological approaches to theodicy not only do not work, but can also be dangerous and have the potential to become sources of evil in and of themselves.« (3) Dagegen plädiert er für eine praktische Theodizee, »that is embodied within the life and practices of the Christian community« (4).
Der Gang der Untersuchung gliedert sich in acht Kapitel: Die beiden ersten Abschnitte skizzieren den bisherigen Diskussionsstand; dabei legt S. besonderen Wert auf die Feststellung, dass die Theodizee stets die Momentaufnahme der soziokulturell bedingten Selbstwahrnehmung einer bestimmten Gesellschaft darstellt. Im dritten Kapitel wird das Problem des Bösen – etwas unvermittelt – in den christologischen Kontext göttlicher Selbstoffenbarung gestellt. Damit wird zwangsläufig die Diskussionsebene auf Voraussetzungen des persönlichen Glaubens verlagert, die aber gerade, und hier besteht eine gewisse argumentative Inkonsistenz, angesichts der Leiderfahrung massiv in Frage gestellt werden bzw. gar nicht mehr gegeben sind. Unbeschadet dessen sichtet S. im anschließenden Abschnitt die Möglichkeiten einer »pastoral theodicy«, d. h. einer ekklesiologisch verantwortbaren praktischen Um­setzung der Theodizee in »practicing resistance« (88). Eine erste (mögliche) Antwort des gläubigen Menschen besteht in der in Vergessenheit geratenen Tradition des »Haderns mit Gott« (»Practice of Lament«, 103). Seitenblicke in die jüdische und islamische Tradition, wie sie etwa im deutschsprachigen Raum von Navid Kermani vorgelegt wurden, hätten in diesem Zusammenhang sicherlich zur Vertiefung dieser bedeutsamen Thematik beigetragen. Das »Ha­dern« des Menschen mit Gott eröffnet im folgenden Kapitel die Frage nach dem Heilshandeln Gottes in der Geschichte. Angesichts der Shoah wird freilich auch für S. die christliche Grundbotschaft von der Unbedingtheit göttlicher Vergebung erheblich strapaziert.
Deshalb plädiert er im Anschluss daran für eine neue Nachdenklichkeit und Sensibilität im Rahmen kirchlicher Verkündigung (»Practicing Thoughtfulness«, 179). Gerade die katastrophischen Ereignisse des vergangenen Jh.s verweisen hinsichtlich des menschlichen Hangs zur Gedankenlosigkeit und Gleichgültigkeit auf einen zentralen Aspekt des Bösen, vor dem auch die kirchliche Praxis nicht immun ist. Die in ihrem radikalen Anspruch stets unterschätzte Umsetzung christlicher Nächstenliebe im Sinne einer »radical friendship« (219) stellt im konkreten Alltag einerseits eine persönliche Herausforderung, andererseits eine deutliche Antwort auf die Realität des Bösen dar. Dem literarischen Duktus seines Buches entsprechend, belässt es S. in diesem Schlussabschnitt mitnichten bei allgemeinen Appellen, sondern verweist auf konkrete pastorale Handlungsfelder, beispielsweise im Bereich allgemeiner Menschenrechte oder im Asylrecht (229).
Es ist S. gelungen, das vielerorts abstrakt diskutierte Theodizeeproblem konkret in kirchlich orientierte Kontexte zu verorten. Das stilistisch wie inhaltlich mit Verve und unverkennbarem Selbstanspruch verfasste Buch leidet dabei allerdings ein wenig an einer binnenkirchlich fokussierten Engführung des Themas, die den be­reits pastoral aktiven und kirchlich involvierten Leser voraussetzt. Gleichwohl bliebe die gegenwärtige und zukünftige Theodizee­diskussion unvollständig, würde man aus der Perspektive akademischer Begriffsreflexion auf diesen engagierten und diskussionsfreudigen Beitrag allzu leichtfertig verzichten.