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Ausgabe:

Januar/2009

Spalte:

111-114

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Bergmann, Sigurd

Titel/Untertitel:

Creation Set Free. The Spirit as Liberator of Nature. With a Foreword by J. Moltmann. Transl. by D. Stott.

Verlag:

Grand Rapids-Cambridge: Eerdmans 2005. XVII, 388 S. gr.8° = Sacra Doctrina: Christian Theology for a Postmodern Age. Kart. US$ 38,00. ISBN 0-8028-2224-X.

Rezensent:

Gregor Etzelmüller

Creation Set Free ist die überarbeitete und gekürzte englische Übersetzung der von der Theologischen Fakultät in Lund angenommenen und auf Deutsch 1995 bei Matthias-Grünewald erschienenen Dissertation von Sigurd Bergmann (Geist, der Natur befreit. Die trinitarische Kosmologie Gregors von Nazianz im Horizont einer ökologischen Theologie der Befreiung). 1999 erschien eine russische Übersetzung des Werkes.
B. will eine ökologische Theologie der Befreiung entfalten. Um dieses Ziel zu erreichen, bringt er die Theologie Gregors von Nazianz in ein kritisches Gespräch mit verschiedenen Theologen, die sich seit den 70er Jahren des 20. Jh.s um die Entwicklung einer ökologischen Theologie verdient gemacht haben (vor allem John Cobb, Günter Altner, Jürgen Moltmann, Christian Link, Gerhard Liedke, Ulrich Duchrow, Sallie McFague und Rosemary Ruether).
B. wählt als Gesprächspartner Gregor von Nazianz, da dieser jene Probleme eigenständig und kreativ thematisiere, die auch in der gegenwärtigen Ökologie und einer ökologischen Theologie von Bedeutung seien: »The sociality of nature and the ideas of movement, suffering, and the Spirit all represent significant concerns in Gregory’s theology, in ecological discourse, and in current ecological theology« (357).
Dabei ist für B. das Problem der Bewegung zentral. Denn angesichts qualitativer Veränderungen treten die erkenntnistheoretischen Probleme der Ökologie deutlich zu Tage: »Now, it is easy to see how quickly ecological thought can stumble into a thicket of contradictions in that it clearly subscribes to the biological theory of evolution based on the principle of open rather than linear-caus­al movement through time, and gets caught in the vortex of quantifiable methodologies oriented on the model of mechanistic phys­ics« (207). Die moderne Ökologie versucht demnach, offene Pro­zesse mit Hilfe von Methoden zu erfassen, die einem deter­ministischen Weltbild entstammen.
Dieses Problem erkennen auch die modernen Ökotheologen, die sich sämtlich mit dem Problem beschäftigen, aber keinen gehaltvollen Begriff von Bewegung entwickeln (vgl. 216). Genau darin liegt aber die Stärke Gregors: »Gregory of Nazianzus was the first theologian to incorporate the quality of movement as a key element into his understanding of God« (117; vgl. 356).
Gregor verstehe Gott als »a social God, that is, a God of community« (71). Die Einheit dieser Gemeinschaft werde durch »the perfect movement« konstituiert (117), die den drei Hypostasen gemeinsam sei. Um diesen Gedanken denken zu können, unterscheide Gregor die Bewegung Gottes von der Bewegung in der Zeit. »God’s uncreated movement is differentiated from created movement insofar as the divine movement moves from the origin through transition and back again to the origin, circumscribing thus the perfect circular movement« (118). Von dieser göttlichen Kreisbewegung seien zwar alle geschöpflichen Kreisbewegungen zu unterscheiden, auf Grund ihrer Analogie aber auch zu würdigen. Daher erkläre sich die Ehrfurcht, die Gregor dem natürlichen Kreislauf der Sonne entgegenbringe. Nach B. sollte diese Ehrfurcht heute transformiert werden zu einem neuen Respekt »for the sacredness of the earth’s movement by interpreting the movements of the planets … as an expression of the divine economy that preserves the moving vitality of creation« (290).
Der göttlichen Kreisbewegung, aber auch derjenigen der Ge­schöpfe – der Engel, die um Gott kreisen, und der Gestirne –, stehe bei Gregor die lineare Bewegung des gefallenen Lichtengels gegenüber. Dieser bewegte sich zunächst auf Gottes Thron zu, um dann in die Dunkelheit zu fliehen. Aus dieser linearen Bewegung er­wächst das Böse (vgl. 124–126). Bei Gregor »one notices immediately that … circular motion takes precedence over linear form« (221). Das bedeute freilich nicht, dass Gregor in einem zirkulären Bewegungsdenken gefangen sei, denn gerade der Mensch könne sich in unterschiedliche Richtungen orientieren. Aber die Höherwertung der zirkulären Bewegung gebe dem menschlichen Handeln die Richtung vor: Die Menschen sollen sich auf Gott und dessen kreisende Bewegung ausrichten, den für das Leben auf Erden notwendigen Kreisbewegungen mit Ehrfurcht begegnen und Gott so zum Mittelpunkt ihrer Bewegungen machen, dass diese sich den Kreisbewegungen der Engel angleichen. Denn »the God in motion is closer to his creation when the creatures in it are oriented toward and organize their movements around God« (132).
Damit wird deutlich, was B. sich von der Wiedergewinnung eines komplexen Bewegungsbegriffes verspricht: Indem dieser Kreisbewegungen, Bewegungen offener Systeme und lineare Bewegungen zu denken erlaubt, wird deutlich, dass der Versuch, alle Bewegungen als quantitativ messbare und damit lineare zu erfassen, hochgradig reduktionistisch ist und der Wirklichkeit nicht gerecht wird.
In konstruktiv-theologischer Absicht will B. den differenzierten Bewegungsbegriff Gregors für eine befreiungstheologisch orientierte ökologische Theologie fruchtbar machen und »the liberation of the nature of the world as a social movement of God and the world« (114) denken. Indem B. diese Befreiungsbewegung im An­schluss an Gregor in Analogie zur göttlichen Bewegung versteht, konzipiert er sie als Prozess der Vereinigung (vgl. 77). In Gregors Weltverständnis »we encounter the same idea he employs in his understanding of God, namely, that the combination of differ­ent entities ultimately constitutes the presupposition of unity« (85). Ohne die Differenzen aufzuheben, verbinde der Geist die differenten Naturen in einem harmonischen Zustand und bringe so inmitten der Vielgestaltigkeit der Schöpfung eine Einheit hervor (vgl. 165).
Diese Konzeption ermöglicht nach B. einen konstruktiven Dialog sowohl mit neuen Formen ökologischer Spiritualität als auch mit den Naturwissenschaften. Die Unterscheidung von Gott und Welt eröffnet zunächst eine Differenz zwischen christlicher Spiritualität und Kosmosfrömmigkeit. »Gregory’s Christian cosmology similiarly departs from the kind of ›world worship‹ characterizing cosmic piety in antiquity, since it is not the world in and of itself that Gregory considers sacred, but the world as a transparently divine creation« (107). Doch die Wahrnehmung des Einheit generierenden Handelns des Geistes habe es Gregor zugleich erlaubt, ältere naturreligiöse Vorstellungen in seine Theologie zu integrieren (vgl. 202). Entsprechend könne eine christliche Theologie, die ihrer eigenen orthodoxen Tradition treu bleibt, Elemente gegenwärtiger Kosmosfrömmigkeit der »modern New Age culture« (202) aufgreifen.
Zugleich würde die Wiederentdeckung der durch den Geist Gottes geschaffenen Einheit der Schöpfung das moderne Verständnis der Welt als Maschine (vgl. 24) überwinden helfen. »From the perspective of the natural sciences, this presumed unity in the world can be described in the metaphor of the ›organism‹ as exemplified by the Gaia hypothesis« (276). B.s These wird freilich unter Naturwissenschaftlern kaum auf Resonanz stoßen, da sich die Welt in naturwissenschaftlicher Perspektive ebenso wenig wie als Maschine als Organismus darstellt.
Doch auch theologisch sind an B.s Einheitskonzeption Fragen zu richten. Wenn der Geist als »the agent of all life« (166) dargestellt wird und es wiederholt heißt: »God is in all things as the spirit«; »there is no place where the spirit is not active« (166 f.), dann wird man zumindest erwarten dürfen, dass diese Gegenwart des Geistes in allen Dingen differenziert wird: Wo ist der Geist etwa erhaltend am Werk und wo als Richter? Zumindest nach Gregor kann Gott nicht nur Beziehungen aufbauen, sondern auch natürliche Abfolgen wie die zwischen Saat und Ernte durch ein verheerendes Un­wetter unterbrechen, um die Mächtigen, die die Erntegaben nicht mit den Armen teilen, zur Umkehr zu rufen (vgl. 101). Der Aufbau und Erhalt einer durch Frieden, Schönheit und Gottesnähe geprägten Gemeinschaft aller Geschöpfe verlangt nicht nur das verbindende, sondern auch das scheidende Handeln des Schöpfers. Entsprechend ist die Alternative zum ökologischen Brutalismus nicht ein unrealistischer Gewaltverzicht der Menschen im Um­gang mit der Natur zu Gunsten einer zärtlich einfühlsamen Hinführung aller Mitgeschöpfe zum Nahe-Sein bei Gott (vgl. 102), sondern ein begrenzter Gebrauch von Gewalt im Rahmen einer nachhaltigen Gestaltung von natürlich-kulturellen Lebensräumen.