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Ausgabe:

Januar/2009

Spalte:

110-111

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Schneider, Ulrich Johannes [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Der französische Hegel.

Verlag:

Berlin: Akademie Verlag 2007. 251 S. gr.8° = Deutsche Zeitschrift für Philosophie, Sonderbd. 12. Geb. EUR 49,80. ISBN 978-3-05-004195-7.

Rezensent:

Christian Danz

Die Philosophie Georg Wilhelm Friedrich Hegels erfreut sich einer ungemein breiten und vielschichtigen Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte. In Deutschland wurde Hegels reifes System schon bald in Philosophie und Theologie, aber auch in den Geschichtswissenschaften und der Sozialphilosophie aufgenommen. Die Wirkung der Philosophie Hegels beschränkt sich jedoch nicht nur auf den deutschsprachigen Raum. Den Grund für diese ungemein hohe Faszination der Hegelschen Philosophie wird man in ihrem hohen Maße an begrifflicher Stringenz und Klarheit sehen dürfen. Die Forschung der letzten 150 Jahre hat das Denken Hegels von seinen Anfängen bis hin zur ausgereiften Systemkonzeption auf einem hohen gedanklichen Niveau rekonstruiert und ebenso die Wirkungsgeschichte dieses Denkers untersucht. Zahlreiche Studien zur Hegelrezeption in Deutschland, Italien, Frankreich und anderen europäischen Ländern liegen bereits vor. In diesen Kontext gehört auch der hier anzuzeigende und von Ulrich Johannes Schneider herausgegebene Band Der französische Hegel. Der Band geht auf eine im Jahre 2004 in Berlin stattgefundene Tagung der Deutschen Gesellschaft für französischsprachige Philosophie e. V. zurück und beleuchtet die vielfältigen Rezeptionen Hegels in Frankreich. In dem eng bemessenen Raum dieser Besprechung ist es nicht möglich, die 16 in den Band aufgenommenen Beiträge im Einzelnen zu würdigen und zu diskutieren.
Hervorzuheben ist vor allem, dass die Beiträge des Bandes ein Bild von der hochkomplexen und differenzierten Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte der Philosophie Hegels in Frankreich von Victor Cousin bis hin zu den gegenwärtigen Debatten im Dekonstruktivismus entfalten. Die französische Rezeption Hegels un­terscheidet sich in mannigfacher Hinsicht von der deutschen Dis­kussion. Sie setzte nicht nur relativ spät ein, sondern zeichnet sich insbesondere in den gegenwärtigen Debatten dadurch aus, dass man dem Einfluss Hegels zu entkommen trachtet. Dies wiederum verbindet diese Diskussion mit der deutschen Debatte: An Hegel scheiden sich (nach wie vor) die Geister. Überblickt man die Beiträge, dann scheint Hegel auf die französische Philosophie eher als Ideengeber oder als Abstoßungspunkt gewirkt zu haben denn als systematischer Philosoph, dessen System es anzueignen gilt. Der Band strukturiert die französischen Debatten um die Philosophie Hegels in vier Themenbereiche. Sie sei, wie der Herausgeber no­tiert, »lediglich ein nachträglicher Vorschlag, durch Gruppierung die Bandbreite der Probleme innerhalb der Produktion des ›französischen Hegel‹ deutlich zu machen« (15).
Der erste Teil, Hegel im Raster der Geschichtsphilosophie (19–76), bietet vier Beiträge von Jaques D’Hont (Die populäre Hegel-Rezeption in Frankreich, 19–31), Patrice Vermeren (Victor Cousins Hegel, 33–48), Knut Ebeling (Alexander Kojève. Ein Snobismus sans réserve, 49-64) und Andreas Gelhard (Abstraktion, Attraktion – Maurice Blanchot liest Hegel, 65–76). Der zweite Teil, Emphatische Lektüren (77–112), geht der französischen Hegelforschung im engeren Sinne nach und thematisiert die Hegelbilder von Jean Wahl, Jean Hyppolite und Eric Weil. Bernard Bourgeois präsentiert Jean Wahl als Leser von Hegel (77–89) und arbeitet die existentialistische Perspektive heraus, in der dessen Philosophie, insbesondere die Phänomenologie des Geistes, angeeignet wird. Eine existentialistische Lektüre der Philosophie Hegels, etwa der berühmten Dialektik von Herr und Knecht aus der Phänomenologie, findet sich freilich nicht nur in der Hegeldeutung von Jean Wahl, sondern auch bei anderen französischen Autoren. Man denke nur an Jean Paul Sartre. Auch Jean Hyppolite deutet, wie Sabina Hoth in ihrem Beitrag Jean Hyppolite: Logique et Existence (91–104) ausführt, die Philosophie Hegels in einer existentialistischen Perspektive. Hyppolite, der zwischen 1939 und 1941 eine französische Übersetzung der Phänomenologie des Geistes anfertigte, rekonstruiert in seinem Hauptwerk Logique et Existence den Hegelschen Seinsbegriff als eine vermittelte Unmittelbarkeit, wonach dieses ein Sein ist, »das Sinn ist, und ein Sinn, der Sein ist« (93). Die Hegelrezeption von Eric Weil, die von Pierre Aubenque in seinem Beitrag Eric Weil oder der letzte Hegelianer (105–112) vorgestellt wird, rückt dessen Rechtsphilosophie in das Zentrum. Unter dem Leitbegriff Abarbeiten an Hegel (113–162) werden im dritten Teil des Bandes Studien zu Autoren vorgelegt, die sich kritisch auf das Werk des idealistischen Philosophen beziehen und gleichsam in der Negation Hegels dessen Fragestellungen weiterführen. Zunächst diskutiert Franck Fischbach die französische Hegeldiskussion nach dem Zweiten Weltkrieg als Quietismus (Der französische Neo- und Antihegelianismus als Quietismus, 113–128). Stéphane Douailler geht in seinem Beitrag Die Eroberung des Inhalts: Orte und Knoten Louis Althussers (129–142) dessen Hegellektüre nach und untersucht dabei den Niederschlag von dessen Philosophie in deren Ablehnung. Das Hegel-Bild von Jacques Derrida erörtert Denis Kambouchner (Hegel unter Dekonstruktion, 143–153) und Catherine Malabou diskutiert Dialektik und Dekonstruktion: ein neues »Moment« (155–162).
Der vierte Teil des Bandes, Hegel als Abstoßungspunkt (163–218), knüpft in gewisser Weise wieder an den ersten Teil an. Die vier Beiträge dieses Teils thematisieren ähnlich wie bereits die Autoren des ersten Teils die französische Hegelrezeption jenseits der direkten Auseinandersetzung mit dessen Schriften, also auch da, wo Hegel lediglich als Hintergrund präsent ist. Den Spuren Hegels im französischen Feminismus widmet sich Brigitte Rauschenbach (Hegel und der französische Feminismus, 163–174). Die Beiträge von Angelika Pillen (Michael Foucault oder der Versuch, Hegel zu entkommen, 175–186), Jean-Pierre Cotten (Hegel als »Abstoßungspunkt« in der Denkgeschichte von Gilles Deleuze?, 187–203) und Warren Breckman (Die Rückkehr des Königs, 205–218) untersuchen die Auseinandersetzungen von Foucault, Deleuze, Jean-Luc Nancy und Slavoj Žižek mit dem Denken Hegels. Während die Wirkung Hegels im Werk Foucaults eine gleichsam wider Willen darstellt, lehnt Deleuze dessen Denken rundweg als ungenügend ab. Ein Beitrag von Joachim Wilke mit dem Titel Freund Jacques D’Hondt (219–224), eine um­fangreiche Bibliographie zum französischen Hegel, welche französische Übersetzungen der Werke Hegels von 1918 bis 1970 und Sekundärliteratur aus demselben Zeitraum enthält (225–245), so­wie ein Personenregister (247–251) beschließen den Band. – Insgesamt vermittelt er einen gut lesbaren und informativen Überblick über den Facettenreichtum des »französischen Hegel«.