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Ausgabe: | Januar/2009 |
Spalte: | 95-97 |
Kategorie: | Dogmen- und Theologiegeschichte |
Autor/Hrsg.: | Korthaus, Michael |
Titel/Untertitel: | Kreuzestheologie. Geschichte und Gehalt eines Programmbegriffs in der evangelischen Theologie. |
Verlag: | Tübingen: Mohr Siebeck 2007. XII, 431 S. gr.8° = Beiträge zur historischen Theologie, 142. Lw. EUR 99,00. ISBN 978-3-16-149337-9. |
Rezensent: | Alf Christophersen |
Die Modernitätstauglichkeit protestantischer Theologie kann sich in den gegenwärtigen Selbstverständigungs- und Reformdebatten nur dann angemessen unter Beweis stellen, wenn es gelingt, die zentralen Lehrgehalte in einer Sprache zu formulieren, die kritischen Nachvollzug und existentielle Aneignung erlaubt. Michael Korthaus hat es sich in seiner vornehmlich theologiegeschichtlich ausgerichteten Münsteraner systematisch-theologischen Habilitationsschrift zur Aufgabe gemacht, maßgebliche kreuzestheologische Entwürfe der vergangenen 100 Jahre zu präsentieren und in ihrer Relevanz an der Gegenwartsgrenze zu aktualisieren: Gerahmt von einer Begriff und Methode schärfenden »Einleitung« (1–23) und einer knappen »Zusammenfassung« (405–413) erörtert K. in zwei vielfach untergliederten Hauptkapiteln seinen Gegenstand – auf »Kreuzestheologie in Entwürfen evangelischer Theologie des 20. Jahrhunderts« (25–321) folgen »Annäherungen an einen dogmatischen Begriff von Kreuzestheologie« (323–403). Epochale Bedeutung für die engere Thematik komme Walther von Loewenichs unter dem Einfluss von Paul Althaus entstandener Studie »Luthers Theologia crucis« von 1929 zu. Die 1982 in sechster Auflage erschienene Arbeit habe über die Luther-Forschung hinaus eine enorme Wirkungsgeschichte gewonnen und eine kreuzestheologische Hochkonjunktur ausgelöst (vgl. 8–12).
Programmatisch formuliert K.: »Die systematisch-theologische Aufgabe, Kreuzestheologie zu betreiben, stellt sich auch heute.« (367) Es gehe dabei nicht nur um eine besondere Christologie-Variante, sondern eine ganz bestimmte, grundlegende Sinndimension der Evangeliumsbotschaft werde verbalisiert, an deren kritischem Anspruch sich theologische Reflexion immer wieder zu messen habe. So ergebe sich zwangsläufig der synthetische Zusammenhang zwischen biblischer Überlieferung, ihrer Aufnahme und Deutung in Kirche und Theologie sowie dem gar nicht zu umgehenden Gegenwartsbezug. »Das kritische Potential der Kreuzestheologie entfaltet sich nur im Wagnis, das Wort vom Kreuz vernehmbar zur Sprache zu bringen, und ihr Widerspruchscharakter kommt eben nur im Widerspruch zur Geltung, der sich nicht sogleich selber wieder zurücknimmt.« (367) Jeder Entwurf, jedes System einer Theologie vom Kreuz werde stets am Wort vom Kreuz mit unvermeidlichem Scheitern konfrontiert. Theologia crucis sei eben keine theologia gloriae. Indem die Kreuzestheologie mit Christi Tod am Kreuz »das sachliche Zentrum der Soteriologie« erfasse, könne sie gewissermaßen als »die ›Zwillingsschwester‹ der Rechtfertigungslehre« gelten. Es sei ihr Anspruch, »die einzig rechte, nämlich der Selbstoffenbarung Gottes in ›Kreuz und Leiden‹ (nach Luther) angemessene, Art und Weise zu sein, von Gott, vom Menschen, und vom Verhältnis beider zueinander zu reden«. Somit komme ihr »eine exklusive kriteriologische Funktion für alle Theologie« (21) zu.
Auf der Folie dieser Grundüberlegungen heben sich dann jene Konzeptionen einer theologia crucis ab, die K. als theologiegeschichtlich repräsentativ einstuft und prägnant, wenn auch mit abgestufter Zuwendungsintensität nachzeichnet – von Martin Kähler und Bernhard Steffens über Hans Joachim Iwand, Karl Barth, Ernst Käsemann und Gerhard Ebeling bis hin zu Jürgen Moltmann und Eberhard Jüngel (zu den Auswahlkriterien vgl. 15 f.). Kähler wird von Korthaus zum »›kreuzestheologische[n] Vater‹ des 20. Jahrhunderts« (56) promoviert; im Mittelpunkt seiner Überlegungen habe eine realistische Versöhnungslehre gestanden, die auf dem Stellvertretungstod Jesu beruhe, durch den es zu einer grundlegenden Veränderung des Verhältnisses von Gott und Mensch gekommen sei. Für die Jesus Nachfolgenden erhalte das Kreuz die Funktion eines Korrektivs, das ein Abdriften in Geset-zes- oder Weltanschauungsreligion verhindere. Unter Aufnahme Kählers, aber auch Erich Schaeders habe Steffens, der theologiegeschichtlich völlig in den Hintergrund getreten ist, eine »staurozentrische Theologie« entfaltet, ein »Dogma vom Kreuz« und eine »Theologie der Freude« entwickelt, die vor allem im festen Beharren auf der Tatsächlichkeit des Kreuzestodes als »Sachgrund und Wirklichkeit der Versöhnung des Menschen mit Gott« (83) ihre Pointe habe.
Mit Iwand betritt nun der erste Theologe die Bühne, der seine theologia crucis wesentlich den Anregungen von Loewenichs verdanke. Allerdings sei bei ihm weniger eine epistemologische als vielmehr die praktische Dimension entscheidend. Die Kreuzestheologie öffne den Blick auf die Wahrheit der real veränderten Wirklichkeit, und zwar aus der Perspektive des göttlichen Urteils. Auch in Käsemanns Arbeiten erkennt K. eine energische Ausrichtung auf von Loewenich, nicht nur im Hinblick auf die kriteriologische, sondern gerade auch auf die polemische Funktion der Kreuzestheologie. Während er sich zu Barth lediglich in Exkursen äußert, lässt K. Ebeling und Moltmann eine ausführliche Würdigung zukommen, die dem so unterschiedlichen systematisch-theologischen Potential der beiden Gelehrten gerecht wird. Neben die klare, an der Luther-Exegese geschulte dogmatische Lehrbildung Ebelings, in der Kreuz, Liebe und Heiligkeit Gottes unter dem Leitbegriff theologia crucis verbunden werden, tritt Moltmanns politisch-theologisch ambitionierte Präsentation des leidenden Gottes, der die unterdrückte und in ihrer Sünde verfangene Welt befreit. Am Ende der Jahrhundertumschau widmet sich K. Jüngels Gedanken zur theologia crucifixi, die besonders suggestiv in den Schlusspassagen des Klassikers »Gott als Geheimnis der Welt« entfaltet werden. Dabei treten auch trinitätstheologische Aspekte hervor, die bislang unterrepräsentiert waren. Doch zählt die Auseinandersetzung mit Jüngel, wie zuvor schon die eher als Pflichtübung absolvierte Barth-Inspektion, erkennbar zu den schwächeren Abschnitten des Buches. Nicht zuletzt die Atheismusproblematik hätte hier einer stärkeren Akzentuierung bedurft.
Im deutlich schmaleren zweiten Hauptteil fokussiert K. den Versuch einer Systematisierung auf Paulus und Luther. Die exegetischen Darlegungen greifen nur auf einige wenige Sekundärtitel zurück, benennen zwar entscheidende Punkte, die neutestamentliche Debattenlage wird jedoch allenfalls im Ansatz erkennbar. Eine ganz eigene Problematik verdankt sich zudem der Konzentration K.s auf Paulus. Aus neutestamentlich-theologischer Perspektive wäre ein erweiterter, arrondierender Blick vor allem auf die Synoptiker, zumal aber auch die theologia crucis des Johannesevangeliums sinnvoll gewesen (vgl. 327, Anm. 21). Und ob es wirklich einen optimistisch behaupteten »Grundkonsens zwischen Exegeten und Dogmatikern hinsichtlich von Feststellung und Interpretation des theologischen Gehalts der kreuzestheologisch einschlägigen Texte des Paulus gibt« (344), mag zumindest mit einem Fragezeichen versehen werden.
Die Überlegungen zu Martin Luther, dem anderen »Kronzeuge[n] der Kreuzestheologie« (344), fallen solide aus, werden aber nicht in weiterführende Fachdiskurse eingebettet. Demgegenüber sind die um Definitionen bemühten Antwortversuche auf die Frage »Was ist Kreuzestheologie?« für zukünftige Debatten durchaus anschlussfähig. K. hat, insgesamt gesehen, eine beeindruckende Zusammenfassung der bisherigen Kerngedanken zur Thematik geleistet, auf die alle weiteren Untersuchungen kreativ aufbauen können. Dabei wird es neben einer ökumenischen Öffnung und der Beschäftigung mit der Problematik einer gegenwartsadäquaten, sprachlich angemessenen Präsentation des exegetischen und dogmatischen Materials auch darum gehen müssen, die Einzelergebnisse in ihren historischen Vernetzungen und Konstellationen deutlicher zu profilieren, um nicht zuletzt auch das emanzipatorische Potential des Wortes vom Kreuz in seinen politisch-ethischen Dimensionen zu aktualisieren; denn die Kreuzestheologie als »das unaufgebbare Erbe der evangelischen Theologie« (412) will auch angenommen und nicht ausgeschlagen werden.