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Ausgabe:

Januar/2009

Spalte:

86-87

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Bultmann, Christoph, Leppin, Volker, u. Andreas Lindner [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Luther und das monastische Erbe.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2007. VIII, 326 S. gr.8° = Spätmittelalter, Humanismus, Reformation, 39. Geb. EUR 89,00. ISBN 978-3-16-149370-6.

Rezensent:

Reinhold Rieger

Die Lutherforschung der letzten Jahrzehnte ergänzte zunehmend den Blick auf den Neuanfang beim Reformator durch die Betrachtung seines Werdens, seiner Herkunft und Voraussetzungen. Dabei wurden neben den Brüchen auch Kontinuitäten deutlich, die Luther und die Reformation mit ihrer Vorgeschichte verbanden. Das Grundproblem der historischen Forschung, Einzelnes und Allgemeines so zueinander in Beziehung zu setzen, dass das Einzelne nicht ins Allgemeine aufgelöst wird, aber das Allgemeine auch nicht völlig im Einzelnen verschwindet und dieses dadurch unverständlich wird, ist bei einer Gestalt wie Luther besonders virulent, da sie in hohem Maße zugleich Individualität wie Allgemeinheit in sich vereinte, insofern sie vieles ihrer Zeit aufgenommen und ge­bündelt, aber auch geschaffen, gestaltet und weitergegeben hat. So schwankt das historische Urteil über den Reformator zwischen den Polen der Unableitbarkeit seiner individuellen Erscheinung und der Ableitbarkeit seines Werdens und Wirkens hin und her und versucht, in der Unruhe dieser Oszillation seiner Gestalt ge­recht zu werden.
Einen Beitrag zum »Problem der Kontinuität und Diskontinuität« bei Luther zu liefern, ist Anliegen dieses Bandes, der auf eine Tagung in Erfurt zum 500. Jahrestag von Luthers Eintritt ins dortige Augustinerkloster zurückgeht. Die Erinnerung an diesen Schritt Luthers, der ihn in die Theologie führte, gab Anlass, seine Erfahrungen und Prägungen als Mönch in den Blick zu nehmen und zu fragen, wie diese seine weitere Entwicklung bestimmten und wie sie von ihr revidiert wurden. Der Titel des Bandes spricht dabei vom »monastischen Erbe« Luthers. Im Vorwort wird darauf hingewiesen, Luther habe sich mit seinem Klostereintritt dem »Erfahrungsraum der monastischen wie der scholastischen Tradition« zugewandt und damit eine Unterscheidung zwischen zwei Typen von Theologie gebraucht, die aber in den einzelnen Beiträgen des Bandes nicht konsequent durchgehalten wird.
Einer der Herausgeber, Volker Leppin, legt in der Einleitung die Ausrichtung des Bandes am »frömmigkeitsgeschichtlichen Kontext Luthers« dar und gibt eine Übersicht über die Beiträge. Diese stehen in einem engeren oder weiteren, zuweilen aber auch nicht ersichtlichen Zusammenhang mit dem Thema des monastischen Erbes bei Luther. Letzteres gilt besonders für die an und für sich ertragreichen Aufsätze von Weichenhan, Kaufmann, Saarinen und Slenczka. Michael Weichenhan zeigt, dass Luther das Gewitter von Stotternheim, das ihm das Gelübde abzwang, ins Kloster einzutreten, als Zeichen verstanden habe, was Weichenhan dazu veranlasst, sich mit Luthers Einstellung zur Deutung von Naturerscheinungen und zur Astrologie zu befassen. Er zeigt, dass Luther etwa im Unterschied zu Melanchthon die Astrologie grundsätzlich ablehnte, eine Kritik, die nicht weltanschaulich, sondern theologisch be­gründet war. Während die Astrologie menschlicher Hybris entspringe, könnten singuläre, außergewöhnliche Ereignisse als Zeichen der Macht Gottes verstanden werden.
Thomas Kaufmann be­handelt die Rede vom »alten« und vom »jungen« Luther als theologisches Problem und zeigt, dass sie einen Anhalt in der Selbstauslegung Luthers hat. Das theologische Problem liege »auf der Ebene der sachlichen Differenzen oder Entwicklungen in Luthers Theologie und der Frage nach Motiven und Anlässen dafür«. Die exemplarischen Beispiele der Abendmahls- und der Judenfrage zeigten, wie Luthers Selbstkorrekturen die Differenz zwischen alt und jung konturierten. Risto Saarinens Beitrag zum Verhältnis von Wille, Konkupiszenz und Sünde bei Luther präpariert zwei mittelalter­liche Auslegungsvarianten der Augustinischen Sündenlehre heraus, an deren eine, nach der schon die ersten bösen Willensregungen Sünde sind, Luther anknüpfte, sie verschärfte und sich damit von seinen Erfurter Lehrern absetzte. Inwiefern es berechtigt ist, dabei von »Klostertheologie« zu sprechen, bleibt unklar. Notker Slenczka schließlich weist nach, dass der bei Luther feststellbare religiöse Subjektivierungsschub schon im mittelalterlichen Verständnis der Buße angelegt war. Den Bezug auf die im Titel angedeutete »Frage eines mittelalterlichen Mönchs« verliert Slenczka aus dem Blick. Die übrigen Beiträge kommen dem Thema des Bandes näher. Allerdings hat Andreas Lindners Analyse der Quellen zu Luthers Erlebnis in Stotternheim auch noch wenig Bezug zum monastischen Erbe, da es hier erst um die Motive für Luthers Klostereintritt geht. Markus Wriedts Untersuchung des spätmittelalterlichen Augustinis­mus in der observanten Kongregation der Augus­tinereremiten zeigt die Rezeptionsweisen Augustins in Luthers Orden auf und stellt eine im Spätmittelalter zunehmende Schwierigkeit fest, durch Lehrmeinungen und -traditionen ge­prägte Schulen ausfindig zu machen. Josef Pilvousek weist die auf wissenschaftlichen Leistungen und innovativer Umsetzung der Ideale von Askese, Brüderlichkeit und Wissenschaft beruhende Attraktivität des Erfurter Augustinerkonvents für Studenten der Theologie wie Luther um 1500 nach. Dieser versprach sich wohl durch die Ausrichtung des Konvents an der via moderna eine Fortsetzung der an der artes-Fakultät vorherrschenden Denkrichtung. Berndt Hamm befragt Luthers frühe Klosterjahre in Erfurt auf Indizien für den Beginn seiner reformatorischen Neuausrichtung hin und entwirft ein differenziertes Bild der Entwicklung von Luthers reformatorischer Theologie, die noch im monastischen Gewand der Jahre 1505 bis 1511 ihre ersten Schritte tat. Die allgemeine spätmittelalterliche Frömmigkeitskrise habe sich in Luthers Persönlichkeitskrise verschärft und zu einer Lösung von allgemeiner Geltung gefunden. Volker Leppin vergleicht das mystische Erbe bei Luther und seinem Wittenberger Kollegen Karlstadt, deren theologische Entwicklung viel stärker durch den von Staupitz vermittelten Bezug auf Augustin und die Mystik Taulers miteinander verbunden war, als die spätere Trennung erkennen lässt. Dies zeige, dass an der Universität Wittenberg genuin monastisches Denken auch auf nicht klösterlich gebundene Theologen einwirkte. Während Luther das Mystische ins Reformatorische transformiert habe, habe es sich bei Karlstadt verstärkt und in Spiritualismus verwandelt. Christoph Burger untersucht Luthers Aktivitäten für seinen Orden und weist auf die Spannung zu seinem Heiligungsstreben hin. Diese Spannung findet Robert Kolb reflektiert in Luthers Lehre von der Zweidimensionalität des Menschen in seinem Sein vor Gott und vor der Welt, seiner religiösen Passivität und seiner weltlichen Aktivität, wie er sie in De votis monasticis von 1521 im Gegensatz zur bisherigen monastischen Theologie entwickelt. Dieselbe Schrift steht im Mittelpunkt der Überlegungen Else Marie Wiberg Pedersens zu Luthers Verhältnis besonders zu Bernhard von Clairvaux. Sie zeigt, dass Luther Bernhard, einen Vertreter der monastischen Theologie, für die Kritik am Mönchtum gebraucht. Timothy Wengert untersucht »monastische Züge« in Luthers »ökumenischer Theologie«, worunter Wengert Luthers Auffassung vom alltäglichen Zusam­menleben der Christen versteht.
Der Band versammelt eine Reihe von Beiträgen, die zum Teil neues Licht auf Luther werfen, zum Teil die bisherige Beleuchtung anders einfärben, vermag aber nur teilweise das im Titel angekündigte Vorhaben durchzuführen, das monastische Erbe Luthers zu erhellen, zumal, wenn überhaupt davon die Rede ist, mehr das klös­terliche Leben als die monastische Theologie im Blick ist und der seltene Blick auf Letztere nicht die durch die jüngere Forschung zur Verfügung gestellten Leuchtmittel nutzt.