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Ausgabe:

Januar/2009

Spalte:

84-85

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Bucer, Martin

Titel/Untertitel:

Deutsche Schriften. Serie 1, Bd. 9,2: Religionsgespräche (1541–1542). Bearb. v. C. Augustijn.

Verlag:

Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2007. 464 S. gr.8° = Martini Buceri Opera Omnia. Lw. EUR 128,00. ISBN 978-3-579-04891-8.

Rezensent:

Irene Dingel

Zwölf Jahre nach dem Erscheinen von Band 9,1 der Deutschen Schriften Martin Bucers, der die Verhandlungen in Hagenau, Worms und Regensburg und deren Voraussetzungen für die Zeitspanne von 1539 bis 1541 dokumentierte, liegt seit 2007 der zweite Teilband dieses wichtigen, auf die Religionsgespräche zielenden Stücks der Bucer-Edition vor. Im Mittelpunkt steht die letzte Phase des in seiner Bedeutung zentralen großen Reichsreligionsgesprächs im Übergang von den letzten Verhandlungen in Worms nach Regensburg, 1541 bis 1542. Die Edition gehört zu den letzten großen wissenschaftlichen Veröffentlichungen des inzwischen verstorbenen Reformationshistorikers Cornelis Augustijn, der diesen Band mit der ihm eigenen Präzision gestaltet hat.
Neben der Edition der Reichstagsakten und jener der Akten der deutschen Religionsgespräche im 16. Jh. hat er insofern einen durchaus eigenen Stellenwert, als er in Auswahl und Kommentar der edierten Stücke die Person Bucers, seine Anliegen und theologischen Positionen vor dem Hintergrund der in Regensburg gegebenen Interessenskonstellationen sowie seine Einflussnahmen etwa über Kommentare nicht nur als unhintergehbare Prämissen für die Auswahl der zu edierenden Stücke festschreibt, sondern sie auch von der inhaltlichen Zielsetzung der Ausgabe her pointiert in den Vordergrund stellt. Diese Orientierung an dem »genuin Bucerischen« oder dem »genuin bucerischen Element«, so der Bearbeiter, führt freilich auch dazu, dass solch interessante Quellensammlungen, wie sie Bucer in seinen »Acta Colloquii« und in »Alle Handlungen und Schrifften« zusammengestellt hat, nur in gekürzter Form geboten werden und die Frage der zugleich vorliegenden gezielten Publikation von Dokumenten in den Hintergrund tritt. Der Fokus ist auf die Bemerkungen Bucers gerichtet, auf seine Kommentare und Marginalien, so dass vornehmlich jene Stücke in den Blick rücken, die mit solchen ausgestattet sind oder – wie Vorreden und Register – ganz auf ihn zurückgehen. Während die Vorreden für die Intention der Schriften von großem Interesse und Aussagewert sind, hält sich dies freilich bei der Edition eines mehr oder weniger herausgelösten Registers zwangsläufig in Grenzen. Immerhin geben sie Einblick in die Thematiken bzw. »Loci«, die Bucer bzw. die Kompilatoren im Blick auf die Benutzung für ausschlaggebend hielten. Das jeweils in der lateinischen bzw. deutschen Fassung der Dokumentensammlungen enthaltene Regens burger Buch und diverse andere Texte werden also nicht abge­druckt, zumal sie aus anderen Editionen zu erschließen sind. So sehr man dies auf der einen Seite bedauern mag, so konsequent und editorisch sauber ist dieses Vorgehen auf der anderen, zumal Band 9,1 der Bucer-Edition im zweisprachigen (dt.-lat.) Abdruck des Wormser Buchs die Varianten des Regensburger Buchs ja bereits in den textkritischen Anmerkungen bot und zu dem wichtigen Rechtfertigungsartikel die überarbeitete Passage »De Iustificatione Hominis« des Regensburger Buchs in Petitdruck eingeschoben hatte.
Der Band bietet insgesamt sieben Stücke, deren erstes eine Kontaktaufnahme des königlichen Rats und designierten Bischofs von Wien, Friedrich Nausea, mit Melanchthon und Nauseas Einsatz für das Religionsgespräch zum Hintergrund hat. Dies veranlasste auch Bucer, mit seinen Vorstellungen an ihn heranzutreten. Seine hier abgedruckten Briefe bzw. Memoranda an Nausea [Nr. 1] machen deutlich, wie luzide Bucer den Wert der organisatorischen Rahmenbedingungen einschätzte und wie überzeugt er noch von der Möglichkeit der theologischen Konsensfindung war. Das spiegelt sich auch im Entwurf eines Votums [Nr. 2] zu Artikel 6 (Von der Kirche und ihren Zeichen, auch Gewalt und Autorität) und 9 (Von der Gewalt und Autorität der Kirche, die Schriften zu unterscheiden und auszulegen) des späteren Regensburger Buchs, der einer Handschrift Bucers im Codex Musculus folgend ediert wird. Der von den Evangelischen auf Anraten Friedrichs von der Pfalz hierin vertretene Kompromiss wurde aber verworfen. Die »Abusuum … indicatio« [Nr. 3] führt mitten hinein in die Verhandlungen auf dem Regensburger Reichstag im Juni 1541. Der Aufforderung Kaiser Karls V. an die Stände, ihre Auffassung von einer »Reformation« darzulegen, kam Bucer mit der Erstellung eines Verzeichnisses der abzuschaffenden Missbräuche nach, das zusammen mit seinem ähnlich konzipierten »Responsum … de reformandis abusibus« [Nr. 4] am 14.7.1541 eingereicht wurde. Der hier gebotene deutsch-lateinische Parallelabdruck lässt den im Vergleich stärkeren Zuschnitt des deutschen Textes auf die deutschen Verhältnisse erkennen. So vielversprechend die Re­gensburger Verhandlungen begannen, so enttäuschend war für Bucer am Ende das Verhalten des päpstlichen Legaten Gasparo Contarini. Seine »Ad­monitio ad legatum pontificium« [Nr. 5] ist nichts anderes als ein Protest dagegen, dass Contarini einem avisierten Nationalkonzil, das als Alternative zu einem womöglich nicht zu Stande kommenden Generalkonzil zur Lösung der Religionsfrage einzuberufen sei, jegliche Berechtigung abgesprochen hatte.
Die beiden interessantesten Stücke des Bandes aber sind die von dem Straßburger Drucker Wendelin Rihel, dem Griechischprofessor Jacob Bedrotus und Bucer zusammengestellten und von Letzterem kommentierten »Acta colloquii« [Nr. 6], die im September 1541 in erster Auflage und im Februar 1542 in erweiterter Fassung erschienen. Die Edition stellt beide im Druck einander gegenüber und bietet im Anschluss daran die an Stellungnahmen und Kommentaren Bucers noch reichere deutsche Version jener Sammlung von Dokumenten: »Alle Handlungen und Schrifften« vom Dezember 1541. Manche – zeitgenössisch nicht separat gedruckten – Stü­cke der Edition (Nr. 4 u. 5, dt. u. lat. nach Acta Colloquii bzw. Alle Handlungen) sind überhaupt nur über diese Sammelpublikationen zu erschließen gewesen. Angesichts des von Contarini am Ende getragenen Vorstoßes, dass alle Entscheidungen in Glaubenssachen ohnehin dem Papst vorzulegen und nur von ihm zu treffen seien, und im Blick auf das damit immer deutlicher hervortretende Scheitern der Regensburger Verhandlungen ist diese von Bucer gewählte Art der historisch ausgerichteten, mit Quellen unterfütterten Gegendarstellung und Apologie der von den Evangelischen getragenen Positionen besonders aussagekräftig. Entsprechend war auch die bereits zeitgenössische Wirkung, die sich insbesondere an den Übersetzungen der »Acta Colloquii«, etwa ins Französische und Englische, festmachen lässt.
Der lange erwartete Band 9,2 rundet die in 9,1 begonnene Dokumentation der Religionsgespräche von Hagenau, Worms und Re­gensburg in erfreulicher Weise ab. Der erfahrene Bearbeiter Cornelis Augustijn steht für eine editorische Qualität, die an dieser Stelle keines weiteren Kommentars bedarf. Knappe und informative sachliche Anmerkungen erläutern dem Benutzer schwierige Passagen, erschließen Anspielungen auf die Heilige Schrift und den Gebrauch der Kirchenväter. So gestaltet sich die Lektüre des Bandes insgesamt zu einem Gewinn. Sie vermittelt die Perspektive Martin Bucers, seine berechtigten Hoffnungen und Enttäuschungen, seine Theologie und letzten Endes auch seine Indienstnahme der Historie für das von ihm hartnäckig und fast schon leidenschaftlich vertretene Anliegen einer durch Konsens getragenen »Reformation«.