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Ausgabe:

November/1996

Spalte:

1008–1025

Kategorie:

Aufsätze

Autor/Hrsg.:

Thomas Kaufmann

Titel/Untertitel:

Die Konfessionalisierung von Kirche und Gesellschaft – Sammelbericht über eine Forschungsdebatte (Teil 1)

Die Klage darüber, daß die Erforschung der Kirchen- und Theologiegeschichte des späteren 16. und des 17. Jh.s im Rahmen der protestantischen Kirchengeschichtsschreibung seit Generationen sowohl gegenüber der Reformations- als auch gegenüber der Pietismusforschung vernachlässigt wurde, ist so alt wie die wissenschaftliche Bemühung um diesen Epochenzusammenhang selbst. Der unterentwickelte kirchenhistorische Diskurs spiegelt sich in schwankenden terminologischen Optionen zur Bezeichnung der Epoche zwischen 1550 und 1650. Der gegenwärtig wieder intensivierte "Kampf um den Pietismus" könnte sich als implizite Folge dessen begreifen lassen, daß über seine "Vorgeschichte" bisher erst unzureichende Verständigungen erreicht sind.

Legitimatorische Absichten prägen Begriffe wie "Spätreformation" oder "Reformorthodoxie". Der Terminus Spätreformation ­ wie es scheint, begriffsgeschichtlich erstmals gegen die HollSchule profiliert gebraucht(1) ­ versucht, die innerlutherischen Lehrauseinandersetzungen in der zweiten Hälfte des 16. Jh.s als an Luther anknüpfende und also ´legitime´ Lehrentwicklung zu begreifen. Der Begriff Reformorthodoxie(2) will gleichsam Lebenszeugen innerhalb des sklerotisch erstarrten Systems der "altprotestantischen Orthodoxie" erstehen lassen und bemüht sich gegen pietistische oder aufklärerische Totalverurteilungen um Teilrehabilitation. Neuere Epochenvorschläge wie "Barocktheologie"(3) drohen nur noch tiefer in die wohl bei keinem Zeitalter der Kirchengeschichte so beharrlich etablierte theologiegeschichtlich enggeführte Generalperspektive hineinzuführen.

Das Mißverhältnis zwischen dem Grad der Erforschung des Jh.s zwischen dem Augsburger Religionsfrieden und dem Ende des Dreißigjährigen Krieges und seiner theologisch wertenden Betrachtung, die immer neue applikative oder repristinatorische systematische und praktisch-theologische Bezugnahmen freisetzt(4), dürfte verdeutlichen, daß das im Protestantismus offenbar verdrängte theologische Problem konfessioneller Identität gerade im Zeitalter ökumenischer Diskurse der Bearbeitung harrt und daß die spezifische kirchenhistorische Bemühung um das von einzigartigen religiösen Intensivierungsschüben geprägte Zeitalter noch immer als Aufgabe gestellt ist.

Die seit ca. zwei Jahrzehnten in der geschichtswissenschaftlichen Frühneuzeitforschung geführte Debatte um die "Konfessionalisierung", die hier am Beispiel von vier zentral wichtigen Büchern rekapituliert werden soll(5), bietet, so meine These, reiche Chancen, um eine dezidiert kirchenhistorische Perspektive auf den im Anschluß an Troeltsch als konfessionelles Zeitalter bezeichneten Epochenzusammenhang(6) zu gewinnen, und nötigt die Kirchengeschichtswissenschaftzugleich, ihr Selbstverständnis grundsätzlich zu reflektieren.

In den Jahren 1985, 1988 und 1993 veranstaltete der Verein für Reformationsgeschichte drei wissenschaftliche Symposien: zunächst zur reformierten, sodann zur lutherischen, zuletzt ­ in Gemeinschaft mit der Gesellschaft zur Herausgabe des Corpus Catholicorum ­, zur katholischen Konfessionalisierung. Die Tagungsreferate und -diskussionen liegen nunmehr in drei stattlichen Sammelbänden dokumentiert vor. Daß der Verein für Reformationsgeschichte, durchaus anknüpfend an ältere Traditionen seiner nunmehr 113jährigen Vereinsgeschichte(7), mit dieser Tagungstrias seine wissenschaftsorganisatorische Zuständigkeit für das "konfessionelle Zeitalter" erkannte, hat nicht nur bemerkenswerte Parallelen im Interessensspektrum der Gesellschaft zur Herausgabe des Corpus Catholicorum, sondern dürfte auch als eine wegweisende konzeptionelle Öffnung für elementare Anliegen der nicht-theologischen Frühneuzeitforschung zu werten sein, die dem insbesondere in der Konfessionalisierungsdebatte greifbaren Interesse zahlreicher Historiker an Fragen von Religion und Kirche im 16. und 17. Jh. entspricht. Insofern dürfte den drei Tagungsbänden als Zeugnis eines breiten, Konfessions- und Fachgrenzen überschreitenden Diskurses über Fragen von Kirche und Religion eine nicht unerhebliche wissenschaftsgeschichtliche Bedeutung zuzuerkennen sein. Für evangelische Kirchenhistoriker bedeutet dieser auch für andere Jahrhunderte beinahe selbstverständlich gewordene Sachverhalt eines herausgehobenen ´profanhistorischen´ Interesses an Fragen der Religion(8) eine spezifische, das eigene Verständnis des Faches erprobende Herausforderung(9).

Die folgenden Ausführungen beabsichtigen zweierlei: Zunächst muß es darum gehen, der gebührenden Informationspflicht einer Sammelrezension zu entsprechen und die wesentlichen Inhalte der drei einen eigenen Erkenntnisprozeß spiegelnden Tagungsbände vorzustellen (I.), sodann soll das der Konfessionalisierungsdebatte zugrundeliegende Forschungsparadigma unter Bezug auf die jüngst von Heinrich Richard Schmidt vorgelegte Forschungszusammenfassung(10) summierend betrachtet und der Versuch unternommen werden, Leistungsfähigkeit und Grenzen des Konfessionalisierungsparadigmas aus der Sicht der evangelischen Kirchengeschichtswissenschaft zu markieren (II.).

I. 1. Zur reformierten Konfessionalisierung

Der Gegenstand des von Heinz Schilling herausgegebenen ersten Tagungsbandes zur reformierten Konfessionalisierung knüpft direkt an eigene Forschungen des heute in Berlin lehrenden Historikers, die dieser insbesondere in seiner Bielefelder Habilitationsschrift vorgelegt hatte, an(11). Das Beobachtungsfeld, das die insgesamt 20 Beiträge des Bandes abstecken, beschränkt sich, mit Ausnahme eines die wohl als innerlutherisch zu bezeichnenden Differenzen unter dem Schwedenkönig behandelnden Aufsatzes von Ingun Montgomery (Die cura religionis als Aufgabe des Fürsten. Perspektiven der zweiten Reformation in Schweden, 266-290), auf die reformierten Territorien des Reiches. (Zur Bedeutung der calvinistischen "Internationale" vgl. 375, 388, 461.) In insgesamt vier Kapiteln werden "übergreifende politische, juristische und konfessionsgeschichtliche Strukturen und Bewegungen" (I), städtische und territoriale Fallstudien (II), geistes- und bildungs- bzw. mentalitätsgeschichtliche (III) Sachprobleme im Umkreis der zweiten Reformation und schließlich (IV) grundsätzliche konzeptionelle Probleme der zweiten Reformation erörtert. In der Gesamtanlage des Buches drückt sich die Zentralthese aus, die im letzten Drittel des 16. Jh.s in verschiedenen deutschen Territorien ablaufenden Versuche, lutherische in reformierte Kirchen- und Staatsgebilde zu verwandeln, als "einheitlichen gesellschaftsgeschichtlichen Wandlungsprozeß zu deuten..., der über kirchen- und theologiegeschichtliche Umbrüche hinaus politische, soziale, kulturelle und mentalitätsgeschichtliche Umbrüche heraufführte" (7).

Konfessionalisierung wird also, darin geht Schilling über die ältere, insbesondere von Ernst Walter Zeeden angeregte Forschung hinaus(12), als ein umfassender, alle Kultur- und Lebensbereiche der frühneuzeitlichen Gesellschaft integrierender gesellschaftsgeschichtlicher Kardinalvorgang begriffen. Der Tagungsband (s. zusammenfassendes Referat der Einzelbeiträge von Schorn-Schütte, 373 ff.) selbst dokumentiert insbesondere in seiner Schlußdebatte (439-467) einen bemerkenswerten wissenschaftlichen Erkenntnisprozeß, der sich in der Zurücknahme des Begriffs einer "zweiten Reformation" (vgl. etwa Neusers Kritik an dem reformiert-parteilichen Terminus 380 ff.) zur Bezeichnung der reformierten Konfessionalisierung niederschlägt. Der in dem Begriff einer "zweiten Reformation" enthaltene konfessionspolitische Überbietungsanspruch des Reformiertentums (vgl. 11 f., Anm. 1; 32; 439 ff.; 385; 447) wurde für die Veröffentlichung des Bandes von Schilling selbst zugunsten einer die gesellschaftsgeschichtlichen Parallelvorgänge in den drei Konfessionssystemen betonenden, vereinheitlichenden Sprachregelung, die von lutherischer, reformierter und katholischer Konfessionalisierung im Sinne einer "notwendigen Komparatistik" (9; vgl. Press, 129, Reinhard, 129, Anm. 69) handelt, aufgegeben (8 f.; Diskussionsbericht). Die thesenhafte Ausformung des ´Konfessionalisierungsparadigmas´ (9) bildet das wissenschaftskonzeptionelle Ergebnis des ersten Tagungsbandes. Von hohem konstruktivem Wert für die Erforschung der reformierten Konfessionalisierung im Ganzen dürfte ein von Schilling vorgeschlagenes ­ und inzwischen weiter ausgeführtes (vgl. HZ wie Anm. 9) Phasenmodell sein, nach dem eine von distinkten konfessionellen Festlegungen zunächst freie, erste humanistisch-philippistische Phase (1540er bis frühe 1570er Jahre) von einer in den 1570er Jahren beginnenden, durch wachsenden Konfessionalisierungsdruck gekennzeichneten zweiten und einer zwischen 1580 und 1619 anzusetzenden dezidiert konfessionellen Phase theologischer und politischer Polarisierung, in der die gesellschaftsgeschichtliche Durchsetzung der Konfessionalisierungen zu einem gewissen Abschluß kam, zu unterscheiden sei (401 ff.). Dieses Phasenmodell wurde zunächst an der reformierten Konfessionalisierung entwickelt und besitzt für diese unabweisbare Plausibilität, dürfte allerdings auf die Entwicklung in den beiden anderen Konfessionen nur mit gewissen Einschränkungen übertragbar sein.

Unter der Leitfrage nach den bestimmenden Merkmalen der reformierten Konfessionalisierung sollen im folgenden einzelne Beiträge knapp referiert werden. Aspekte, die alle drei Konfessionen betreffen, sollen später zur Sprache kommen. Von charakteristischer Eigentümlichkeit sind zunächst die juristischen und theologischen Rahmenbedingungen, die das Reformiertentum in Deutschland prägten. Die spezifischen Probleme der reichsrechtlichen Integration des Reformiertentums in das System des Augsburger Religionsfriedens sind Gegenstand einer breit angelegten Studie Martin Heckels. Die Spannung von bekenntnistheologischem Wahrheitsanspruch der CA, die die Grundlage der reichsrechtlichen Anerkennung des Protestantismus von 1555 bildete, und die theologisch nicht verzichtbare Inanspruchnahme als lutherisches Bekenntnis (seit der Hinwendung der pfälzischen Kurfürsten zum Calvinismus) haben protestantische Juristen zur Distinktion zwischen einem evangelisch-theologischen und einem juristisch-weltlichen Bekenntnisbegriff veranlaßt (37), deren unmittelbare Folge die mit einer Säkularisierung des Bekenntnisbegriffs verbundene reichsrechtliche Anerkennung der Reformierten im Westfälischen Frieden gewesen sei (41 ff.).

Die charakteristische theologische Vielfalt deutschreformierter Bekenntnisbildung (Neuser, 380 u. ö.; vgl. Schilling, 387; 390; 400 u. ö.) unter dem Dach der CA variata stellt ein besonders bemerkenswertes, gegenüber der lutherischen Entwicklung stets zu beachtendes Konfessionsspezifikum dar. J. F. Gerhard Goeters markiert die historische Genese und die inhaltlichen Schwerpunkte reformierter Bekenntnisbildung in Deutschland und stellt die Schlüsselrolle des Consensus Tigurinus (1549), des sich an seine Veröffentlichung anschließenden sogenannten zweiten Abendmahlsstreites und des Naumburger Fürstentages von 1561 heraus und bietet eine instruktive Übersicht (46 f.; 48 f.) über eine Vielzahl in Anwendung des landesherrlichen Ius reformandi verordneter reformierter Bekenntnisse und ihrer theologischen Themen. Bemerkenswert sind Goeters Hinweise zur Vorgängigkeit von Ritenänderungen im Zusammenhang der Abendmahlsfeier, insbesondere die nicht selten mit Widerspenstigkeit der Gläubigen quittierte Einführung des Brotbrechens (vgl. auch 299 ff.) oder der Abschaffung des Taufexorzismus gegenüber der lehrhaften Ausformung (52 f.) der Abendmahls- und Taufliturgie, die bekenntnisgeschichtliche Prädominanz des Abendmahlsproblems und der christologischen Zwei-Naturen-Lehre etwa gegenüber der Prädestinationslehre bis in die 1580er Jahre hinein, sowie seine durch deutsch-reformierte Besonderheiten der kirchenverfassungsrechtlichen Entwicklung begründete Skepsis gegen den Versuch, "die Kategorie der Sozialdisziplinierung... als konfessionelle Eigentümlichkeit [zu] begreifen" (55). Letzteres muß nichts an der Richtigkeit der These ändern, daß die Kirchenzucht als "Angelpunkt reformierter Reformstrategien" (von Thadden, 246; vgl. Münch, 296 f.; 298) zu gelten hat. Im Lichte der Hinwendung zahlreicher Philippisten zum Calvinismus nach ihrer Vertreibung aus Kursachsen 1574 (vgl. den Beitrag von E. Koch) wird zum einen die in den 1570er und 1580er Jahren (vgl. 112; 122) verfestigte Positionierung konfessioneller Fronten deutlich und dürfte sich zum anderen die Frage nach der möglicherweise konfessionsspezifischen Bedeutung des melanchthonisch vermittelten erasmisch-humanistischen Erbes im deutschen Reformiertentum stellen.

Auch das Ziel der kryptocalvinistischen Reformer in Kursachsen zwischen 1586 und 1591 war "ein humanistisch geprägtes Christentum..., das von theologischen Streitigkeiten frei sein wollte" (Blaschke, 87) und gerade in dem konfessionsübergreifenden Anspruch, ´christlich´ zu sein, seine spezifische Dynamik entfaltete. Daß der humanistisch grundierten reformierten Theologie ein weltgestalterischer und gesellschaftsverändernder Impetus innewohnte, dem ein entsprechendes ´Reformationsverständnis´ sekundierte (vgl. Schilling, 434 mit Anm. 112), stellt Schilling als Spezifikum der reformierten Konfessionalisierung heraus. Überhaupt kann die innerprotestantische Irenik als Proprium der reformierten Konfessionskultur erscheinen.

Das theologisch und religionspolitisch begründete, weit in die erste Reformatorengeneration zurückweisende Bemühen, ´gemeinevangelisch´ Verbindendes gegenüber dem Katholizismus herauszustellen, war ­ trotz aller Rhetorik ­ im Reformiertentum lebhaft, während sich das Luthertum diese Bestrebungen vor Calixt einmütig versagte (Benrath, 449 ff.; vgl. Schilling, 410). Die reformierte Irenik hat freilich mit konfessioneller ´Selbstbescheidung´ nichts zu tun und lähmte die "expansive Tendenz" (356) reformierter Konfessionalisierungen keineswegs, ja dürfte als spezifische Gestalt konfessioneller Polemik zu werten sein. Die Friedensinitiativen des in dänischen Hofdiensten stehenden Politikers und Unternehmers Heinrich Rantzau (R. Hansen, 359 ff.) hingegen erwuchsen auf dem Grund eines "nicht konfessionsgebundenen Christentums", waren von wirtschaftlichen und politischen Motiven getragen und lassen reformierte Einflüsse nicht erkennen. Zwischen konfessioneller und überkonfessioneller Irenik ist demnach grundsätzlich zu unterscheiden (vgl. auch 377 f.). In dem Bemühen, die theologischen Klärungen der Reformatorengeneration auf gesellschaftliche Gestaltung hin umzusetzen, eine Reform des Lebens neben der der Lehre zu verwirklichen, dürfte sich freilich weniger ein konfessionell-reformiertes Proprium als ein auch im Luthertum greifbares generationsspezifisches ­ von Rudersdorf (130 ff.) an Württemberg und Hessen kirchenpolitisch konkretisiertes ­ Bewußtsein spiegeln, das sich allerdings aufgrund der durch Vielfalt geprägten bekenntnisgeschichtlichen Eigenart in philippistisch-kryptocalvinistisch formierten Milieus historisch früher und mit geringeren Reibungsverlusten am fixierten Lehrbestand, insofern auch offensiver und mit einem bisweilen schillernden Überbietungsanspruch versehen, äußern konnte.

Trotz aller regionalen Besonderheiten im einzelnen dürfte für die Durchsetzungsversuche reformierter Reformationen in geprägt lutherischen Territorien charakteristisch sein, daß sie vielfach von einigen wenigen, nicht selten ´landesfremden´ Repräsentanten der politischen, administrativen oder geistlichen Elite (vgl. z. B. 244) in Zusammenarbeit mit den Landesherren geplant und initiiert wurden. Einen Rückhalt in der Bevölkerung, bei den Ständen oder in der Geistlichkeit besaßen die reformierten Konfessionalisierungsversuche in der Regel nicht. Die Spannung zwischen dem reformierten Fürstenbekenntnis und der Religion der Untertanen wirkte zum Teil jahrzehntelang bis zu Entkirchlichungstendenzen hin nach (125 f.; 102). Der Grad der jeweils erreichten kirchlich-gesellschaftlichen Stabilität, der Machtbasis des Luthertums bei Beginn des reformierten Konfessionswechsels, bestimmte die Geschwindigkeit, den Rhythmus, das strategische Vorgehen. Reformierte Konfessionalisierungsversuche gingen mit "frühabsolutistischen" Steigerungsbemühungen landesherrlicher Macht, allgemein formuliert mit Staatsbildungsprozessen (Schilling, bes. 428 ff.), also dem "säkularem Prozeß staatlicher Verdichtung" (Press, 126) und antikommunalistischen Integrationsprozessen der Territorialgesellschaft (vgl. Schmidt, 189 ff.; Menk, 131; 136) einher. Dies jedenfalls gilt für den Versuch einer wohl eher als philippistische Melanchthonisierung, denn als Calvinisierung zu bezeichnenden Entwicklung in Kursachsen unter Christian I. (1586-1591), (Blaschke, 85 ff.). Bei den reformierten Konfessionalisierungen dürfte eine Prädominanz der Laien auffällig sein (vgl. Schilling, 421). Die von Blaschke für Kursachsen beschriebene Entwicklung scheint cum grano salis etwa auch für Zweibrücken, die Oberpfalz (116 ff.), für Brandenburg-Preußen unter Johann Sigismund (von Thadden, bes. 243 ff.) und Hessen-Kassel (171; 173 ff.; 180) zu gelten. In bezug auf die konfessionspolitischen Motive des Konfessionswechsels in Zweibrücken (1588) betont Deetjen durchweg überzeugend die im Zusammenhang der lutherischen Konkordienbemühungen aus theologischen Gewissensgründen erwachsene Motivlage Herzog Johanns (99 ff.), die freilich auch bei anderen Landesherren in Rechnung zu stellen (zu Johann Sigismund vgl. 237 ff.; zu Hessen-Kassel vgl. Menk 154 ff., s. auch Neusers schroffe Kritik an Schilling, 384) ist. Der konfliktreichen theologischen Gesamtsituation im Luthertum dürfte jedenfalls eine kaum zu überschätzende Bedeutung dafür zukommen, daß die reformierte Konfessionalisierung als zukunftweisende Alternative empfunden werden konnte. Die reformierten Konfessionalisierungen im Gebiet des Wetterauer Grafenvereins und zum Teil in einzelnen westfälischen Grafschaften (Klueting, 214 ff.) dynamisierten den Prozeß einer "Territorialisierung von Herrschaftsrechten" (185) und können als paradigmatische Beispiele dafür gelten, daß die reformierte Konfessionalisierung in den zusehends bedrängten kleinen Reichsständen Herrschaftssysteme zu modernisieren, eine wirksame Sozialdisziplinierung der Untertanen (201; 204f.) zu etablieren und eine Festigung des Herrschaftsgefüges zu sichern half.

Die reichspolitisch ausstrahlende reformierte Konfessionalisierung der Rheinpfalz (1566) hingegen weist ein insofern eigentümliches Gepräge auf, als sie ein erst spät (seit 1546) protestantisch gewordenes, von konfessionell vielfältigen Einflüssen geprägtes Territorium betraf (Press, 104 ff.) und sich als mit territorialen Konsolidierungsversuchen verbundenes kontinuierliches Entwicklungsphänomen, nicht als Umbruch, darstellt (vgl. Press, 108; 121). Im Unterschied zur Oberpfalz, wo das reformierte Bekenntnis als Fremdkörper ständischen Widerstand mobilisierte, war es in der Rheinpfalz in die konfessionsgeschichtliche Entwicklung des Landes eingebunden, insofern "gewachsen" (126) und in der Bevölkerung weithin verwurzelt. In Johann Sigismunds Verzicht auf das reichsrechtlich verbürgte Ius reformandi dürften die konfliktreichen Erfahrungen reformierter Konfessionalisierungen etwa in Hessen-Kassel aufgenommen sein (vgl. von Thadden, 235 ff.).

Ein wichtiges Moment der reformierten Konfessionalisierung ist in den nicht selten aus westeuropäischen Emigranten rekrutierten und von besonderer Loyalität gegenüber den Landesherren geprägten calvinistischen Hofkulturen (Calvinismus aulicus in Heidelberg, 120; 124; vgl. zum Berliner "Hofcalvinismus" Brandenburg-Preußens, 235 ff.; 245; zur Bedeutung der Hofprediger, 245) zu sehen, während das sich zu Familienoligarchien formierende juristisch gebildete territoriale Beamtentum als modernisierend wirkende sozialgeschichtliche Antriebskraft in allen drei Konfessionen von Bedeutung gewesen sein dürfte (vgl. 128; 461 f.). Daß die politisch-akademischen Eliten die primären Trägerkreise reformierter Konfessionalisierung waren und sich deren politischer Einfluß infolgedessen regelmäßig vergrößerte, läßt sich im territorialen wie im städtischen Kontext erweisen (244; 255; 263; 374 f.; anhand des Ratscalvinismus in königlich-preußischen Städten wie Danzig, Elbing und Thorn vgl. Müller, 251 ff.; allgemein:Schilling, 415; 417 ff. u. ö.).

Die ´Erneuerung´ des Luthertums unter Herzog Christoph von Württemberg, die auf Hessen-Marburg ausstrahlte und die erste lutherische Reformation vertiefte, stellt einen bemerkenswerten Parallelfall zu den auf kirchliche Reformen und staatliche Verdichtung zentrierten reformierten Konfessionalisierungen dar (vgl. Rudersdorf, bes. 133 ff.), ohne daß es in Württemberg dabei zu Konfessionswechseln gekommen wäre (die schwedische Entwicklung dürfte sich durchaus als Parallelfall einer "lutherischen Erneuerung" beschreiben lassen, vgl. Montgomery, bes. 289 f.). Die hessische Entwicklung, in der durch die konfessionell offene Religionspolitik Landgraf Philipps bis zu dessen Tod (1567) verschiedene protestantische Traditionen integriert wurden, geriet, forciert durch die Erbteilung des Territoriums in den 1570er und 1580er Jahren, die auseinanderstrebenden konfessionellen Optionen Ludwigs IV. und Wilhelms IV. sowie die zur Parteinahme nötigende innerlutherische Konkordienentwicklung, unter wachsenden Konfessionalisierungsdruck und verlief schließlich in Hessen-Darmstadt ­ wie in Württemberg ­ als "lutherische Erneuerung", in Hessen-Kassel als stark von der Person des von Menk als politisch waghalsig beurteilten Landgrafen Moritz geprägte reformierte Konfessionalisierung (seit 1605, vgl. Menk, 154 ff.; 168). Die Prozesse territorialer Herrschaftszentrierung in dem halben Jh. vor dem Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges beschränkten sich demnach nicht auf reformierte Territorien (vgl. zu den lutherisch gebliebenen Wetterauer Grafschaften: Schmidt, S. 212 f.; s. auch Schilling, 416), auch wenn der oktroyierte Konfessionswechsel auf diese Entwicklung vielfach dynamisierend einwirkte.

Ein reformiertes Prae hinsichtlich der gesellschaftsgeschichtlichen Dynamik zeigt sich in bezug auf das Verhältnis des Calvinismus zur "Volkskultur". Der die erste Reformation weiterführende Überbietungsanspruch reformierter Konfessionalisierungsversuche (instruktiv z. B. Münch, 296 f.; vgl. auch 382 f.), der der Reformation der Lehre die des Lebens folgen lassen wollte, und der ­ wohl phasenverschoben ­ eine Entsprechung im Luthertum hat (vgl. Wallmanns Votum, 375; vgl. 463 f.; vgl. unter Rekurs auf Brecht, Schilling, 394, Anm. 14; 413), wirkte nach Münch mittels der Kirchenzucht und der Abschaffung volkskulturellen Brauchtums (291 ff.) restriktiv auf eine "in Ansätzen autonome Sexual-, Jugend- und Geselligkeitskultur" (304) und diente der Formierung einer "beruhigten" spezifisch reformiert geprägten Konfessionsgesellschaft (304 f.). Dieser Prozeß dürfte im Vergleich mit den anderen Konfessionen im Calvinismus einen erheblich gesteigerten gesellschaftsgeschichtlichen Durchdringungsgrad erreicht haben. Dabei scheinen presbyteriale Elemente in der Kirchenverfassung dazu beigetragen zu haben, Sozialdisziplinierung von oben durch Selbstdisziplinierung von unten zu steigern und zu festigen (vgl. Votum H. R. Schmidt, 461). Der Calvinismus, so resümiert Münch, ging "am schärfsten gegen die traditionellen Formen der Volkskultur" vor (307). Die Möglichkeit, einen konfessionsspezifischen wirkungsgeschichtlichen Beitrag des Calvinimus bei der flächendeckenden Einführung dörflicher Elementarschulen zu diagnostizieren, ist nach Schormann kritisch einzuschätzen (309 ff.), obschon sich in Einzelfällen ein solcher Vorsprung erheben ließe (z. B. in den Herzogtümern Cleve und Berg, 314 f.).

Klaus Garber (317 ff.) vertritt die These, daß die Schöpfer der Renaissancedichtung auf deutschem Boden, allen voran Martin Opitz, ihr späthumanistisches, von irenischen und nationalen Anliegen begleitetes Dichtungsprogramm mit deutlichen religionspolitischen Optionen zugunsten des Calvinismus verbunden hätten, ohne freilich in einem konfessionstheologisch präzisen Sinne als Anhänger des reformierten Bekenntnisses identifizierbar zu sein. Freilich bleibt das theologische Profil dieses "Garberschen Calvinismus" (Schilling, 416, Anm. 68) eigentümlich unbestimmt. Auch Schilling weist auf zahlreiche Nichttheologen hin, die eine besondere Affinität zum Reformiertentum zeigten (402; 417 f.), wohl auch ein Reflex der gegenüber dem Luthertum phasenverschobenen Entwicklung zu einer reformierten Orthodoxie.

Ein "eminent politisch[er] und gesellschaftlich[er] Duktus" (Schilling, 414; vgl. 465) sowie die theologische Verankerung desselben in einem auf "Formierung und Umgestaltung von Staat, Kirche und Gesellschaft" zentrierten "Reformationsbegriff" (416) erscheint ­ unbeschadet aller inneren Differenziertheit calvinistischer Politiktheorien ­ als maßgebliches Proprium des reformierten Konfessionstypus. Der reformierten Religion wird ­ etwa von Schilling ­ eine "gewisse Leitfunktion" (390) neben anderen geschichtlichen Wirkfaktoren auf dem Weg zu frühmoderner Staatlichkeit zugeschrieben. In einer für die frühneuzeitliche Gesellschaft systemspezifischen Weise werden religiös-theologische Sachverhalte auf ihre gesamtgesellschaftlichen Konsequenzen hin analysiert. Die Perspektive, in der Religion thematisiert wird, ist die dem "Allgemeinhistoriker" allemal zuzubilligende funktionale innerhalb eines "Ensembles allgemeingeschichtlicher Strukturen und Abläufe" (390). Die Berechtigung kirchenhistorisch-theologischer Anfragen an das Konfessionalisierungskonzept dürfte sich wesentlich daran entscheiden, ob es gelingt, ein funktionale Interpretationsperspektiven überbietendes, der wirklichkeitsprägenden Totalität vormoderner Religion entsprechendes Deutungsmodell plausibel zu machen.

I. 2. Zur lutherischen Konfessionalisierung

Ist der wesentliche Ertrag des ersten Tagungsbandes im Bereich territorialgeschichtlicher Feldforschung und in der Ausformung des gesellschaftsgeschichtlichen Interpretationsparadigmas der Konfessionalisierung zu sehen, so ist der von Rublack herausgegebene Sammelband zur lutherischen Konfessionalisierung um eine perspektivenreiche und gesamthafte Erfassung des konfessionellen Luthertums in der Vielzahl seiner kulturprägenden Wirkungen (Kunst, Literatur, Frömmigkeitskultur, Musik etc.) und seiner auf die Lebenswelt einwirkenden sozialgestaltenden Impulse (Kirchenzucht, Predigt, theologische Lehre) bemüht.

Im Unterschied zu der stark auf die Funktion der reformierten Konfessionalisierung im Kontext moderner Staatsformierung zugespitzten Perspektive insbesondere Heinz Schillings trägt der von Rublack gewählte Zugang zum Luthertum (vgl. Rublacks scharfsinnige Anfrage an die von Schilling gewählten Begriffe "Funktion" und "System" [Schilling, 44]) vielfältigen, z. T. heterogenen Phänomenen und Bewegungen Rechnung. So kann die seit Troeltsch im Zentrum des wissenschaftlichen Interesses stehende Frage nach dem Verhältnis des Luthertums zur Obrigkeit nur differenziert erfolgen. Neben Beispielen innigster Koordination von Obrigkeit und Geistlichkeit spielt die Obrigkeitskritik im Luthertum eine erhebliche Rolle. Der "Pathos des Gehorsams" ist kein lutherisches Konfessionsmerkmal. Das Luthertum scheint im ganzen, stärker als die reformierte Konfessionalisierung, einem "autogene[n] Wandel" (11) unterworfen ­ eine Deutungsperspektive, die nicht nur dem untersuchten Konfessionsgebilde, sondern auch der um Vielfalt bemühten wissenschaftlichen Wahrnehmung sowie der bisher dominant theologiegeschichtlichen Arbeit auf diesem Felde (vgl. die instruktiven forschungsgeschichtlichen Einleitungen Rublacks, 13ff. und Wallmanns, 33 ff.) entsprechen dürfte. Besondere Beachtung verdienen die von Rublack benannten Aufgaben der Forschung zum historisch bewegten Zusammenhang von orthodox-lutherischer Frömmigkeit, Theologie und Kirchlichkeit zur Mentalität und Lebenswelt (vgl. 29 ff.).

Instruktiv ist zu diesem Problem ein Beitrag Sparns, der gegen die landläufige Polarisierung von dogmatisch ausgeformtem lutherischen Konfessionsbewußtsein einerseits und Frömmigkeitstheologie und -literatur andererseits den inneren Zusammenhang zwischen beiden in der literarischen Produktivität maßgeblicher lutherischer Theologen wie Philipp Nicolai und Johann Gerhard verbundenen Tendenzen erweist und die "sich konfessionalisierende lutherische Dogmatik" als "eine konfessionell spezifische Fortentwicklung der reformatorischen Frömmigkeit" interpretiert (55). Die damit gewonnene Perspektive rückt die lutherische Konfessionalisierung in einen historische Zeiterfahrungen produktiv verarbeitenden, genuinen Beziehungszusammenhang zur Reformation einerseits, zur Profession des "von Berufs wegen für Frömmigkeit zuständigen Theologen" (56; vgl. 71 ff.) andererseits. Die lutherische Christologie bezieht sich in ihrer in sich vielfältigen expliziten dogmatischen Ausformung auf sakramental verdichtete Frömmigkeit (57). Die der lutherischen Christologie korrespondierende Soteriologie übersteigt in Gestalt der unio mystica den christologischen Kommunikationsprozeß auf das Leben des in seiner Bindung an Christus allererst konstituierten Christen. Der inneren Konfessionalisierung des Luthertums entsprach eine äußere gegenüber dem Calvinismus, die insbesondere in der Ausformung der Prädestinationslehre vollzogen wird (62 ff.). Die Einführung der analytischen Methode in der lutherischen Dogmatik nach dem ersten Drittel des 17. Jh.s verarbeitet die "Professionalisierung der theologischen Praxis" (76).

Am Beispiel Philipp Nicolais und der breit dokumentierten Ausbildung lutherischer Christologie zeigt Baur, daß die explizite lutherische Christologie primär als religiöse Frage des Heils aufgefaßt wurde, ja die Lehre von der ubiquitären Gegenwart der Menschheit Christi als "Neubestimmung" der Menschheit und der Gottheit in Christus (86) schlechterdings universale frömmigkeits- und kulturprägende Impulse freigesetzt habe und ihr bei der "Gestaltwerdung lutherischen Christentums als sozio-kultureller Größe der frühen Neuzeit" (88) eine maßgebliche Funktion zuzuerkennen sei. Die Intensität der christologischen Auseinandersetzungen spiegelt die religiöse Zentralität des Themas (118 ff.), die Baur auch für die Frömmigkeit unterer Schichten in Anschlag bringt (119 f.; vgl. dazu die Diskussion 125 ff.). Die Christologie habe bis ins erste Drittel des 17. Jh.s den am intensivsten bearbeiteten theologischen Topos des Luthertums dargestellt (92) und sich einen kirchlich-liturgischen, kulturellen und sprachgestalterischen Ausdruck, etwa bei Gryphius (110 ff.), verschafft (vgl. die illustrativen Beispiele 99 ff.).

Hinsichtlich der politischen Rolle des Luthertums im Prozeß frühmoderner Herrschaftszentrierung sind die Beiträge Heckels und Schorn-Schüttes einschlägig. Heckel zeigt an der Ausbildung der Drei-Stände-Lehre als juristischer Kirchenverfassungstheorie, daß damit ein im frühen 17. Jh. ausgeformtes theologisches Instrument gegeben war, das den staatlichen Zugriff auf die Kirche restringierte und den "Ansatz einer gesonderten Kirchenverfassung neben der Staatsverfassung bot" (160; vgl. auch Schorn-Schütte, 185 ff.). Eine Dominanz episkopalistischer Kirchenverfassungsmodelle und eine damit korrespondierende vollständige Integration des Kirchenwesens in den Territorialstaat könne für die Kirchen der lutherischen Orthodoxie nicht vorausgesetzt werden. Schorn-Schütte zeigt am Beispiel Braunschweig-Wolfenbüttels, daß Obrigkeitskritik im Luthertum ­ unabhängig von der an der Stellung zur ´Ubiquitätslehre´ erkennbaren konfessionspolitischen Option im einzelnen ­ lebendig blieb und daß die Stände zum Teil in Koalition mit der lutherisch-orthodoxen Geistlichkeit Träger einer gegen die landesherrliche Herrschaftszentrierung gerichteten, politisch wirksamen konfessionellen Identitätsbildung waren (164 ff.). Wie Schorn-Schütte eindrücklich hervorhebt, korrespondierten den politischen Gegensätzen theologische Differenzen zwischen "lutherischer Orthodoxie" und "irenisch-humanistischer Philosophie" an der Helmstedter Universität (z.B. 177) und entsprachen bestimmte theologische Optionen spezifischen Interessen unterschiedlicher sozialer Trägerkreise (179 ff.). Die von einem "Sonderbewußtsein" (188) geprägte Geistlichkeit agierte ihrer sozialen "Zwischenstellung" (189) entsprechend in sich wandelnden politischen Konfliktkonstellationen in "wechselnder Parteinahme" (87) zugunsten verschiedener politisch-sozialer Kräfte (191 ff.).

Die von Troeltsch ausgehende politikgeschichtliche Differenzierung zwischen reformierter und lutherischer Konfessionalisierung bedarf der Revision: "Lutherische und reformierte Konfessionalisierung unterschieden sich hinsichtlich ihrer gesellschaftsgeschichtlichen Funktion also nicht!" (191). Auf der Basis eines mit Hilfe der Drei-Stände-Lehre gesellschaftstheoretisch ausgeformten Konsenses zwischen Landesherrn, ständischen Herrschaftsträgern und Geistlichkeit entwickelte sich eine "lutherisch geprägte Kultur" (193). Am Beispiel Basels zur Zeit des Antistes Sulzer zeigt Guggisberg, daß gerade ein ´lutheranisierender´ Kurs (199-201) Freiräume für konfessionsübergreifende Impulse des Humanismus bieten konnte. Eine eigenständige Sozialethik kenne das Luthertum nicht, so die These von Honecker (316 ff.). Die Drei-Stände-Lehre stelle eine "Lebensanschauung des Luthertums" (327) dar. Die sozialen Ordnungsvorstellungen des Luthertums beruhten weithin "nur auf Konvention und der fraglosen Übernahme eines Lebensstils und einer Kultur" (334). Gerade der Verzicht auf eine religiöse Teleologisierung der sozialen Ordnung freilich habe das Luthertum dazu bewegt, sich dem geschichtlichen und sozialen Wandel gegenüber produktiv zu verhalten.

Ein konfessionskulturelles Spezifikum des Luthertums dürfte in der breiten, bis in ´volkstümliche´ Medien abstrahlenden Bezugnahme auf Luther zu sehen sein. Kolb charakterisiert die wichtigsten "Lutherbiographien des 16. Jahrhunderts" (Rabus, Spangenberg, Mathesius, Selnecker) und erweist die heilsgeschichtliche Deutung der Person Luthers, die ihn als einzigartiges Werkzeug Gottes sah, als dominanten, in Auseinandersetzung mit Calvinisten und Katholiken betonten Zug. Kolbs These, die Rolle von Luthers Schriften als norma normata sei nach der Veröffentlichung des Konkordienbuches auf die Bekenntnisschriften übergegangen (213; 216), dürfte von Wallmanns Beobachtungen zur Rolle der Bekenntnisschriften im Luthertum her zu problematisieren sein(13). Eine mit der Bedeutung Luthers im Luthertum vergleichbare Autorität einer menschlichen Person und eine ähnliche Präsenz seiner Schriften in Gestalt gedruckter Ausgaben, Sammlungen, Florilegien usw. durch Jahrhunderte hindurch hat es in keinem der anderen Konfessionstypen gegeben, auch wenn ein spezifisches theologisches Wirksamwerden des "Symbols" Luther (228; 230) im einzelnen zum Teil schwer faßbar ist (vgl. S. 220 ff. instruktiv zur Rolle der Exegese; vgl. bes. 228 ff.).

Zentrale Grundprobleme lutherischer Konfessionalisierung werden in dem Tagungsband anhand der Biographien einzelner Theologen exemplarisch bearbeitet. Die mittels einer historischen Textedition der CA unternommenen Versuche des Rostocker Theologen David Chytraeus (R. Keller, 235 ff.) verdeutlichen die um eine eindeutige Textfassung bemühte Sicherung der Bekenntnisgrundlage; instruktiv ist das von Keller aufgewiesene Bewußtsein des Chytraeus, sowohl Luther als auch Melanchthon auf der Basis der CA theologisch zu integrieren. Dabei wird die für das Luthertum zentrale Frage nach seiner Haltung zu den beiden großen Lehrern der ersten Generation deutlich.

Am Beispiel des Frankfurter Stadtpfarrers, Theologieprofessors und kurbrandenburgischen Generalsuperintendenten Andreas Musculus wird der weite Spannungsbogen im Tätigkeitsprofil der theologischen Führungselite des Luthertums anschaulich (Koch, 250 ff.). Als theologischer Publizist (u. a. der durch ihn geschaffenen, spezifisch lutherischen Gattung der Teufelsbücher, seiner wirkungsvollen Gebetbücher und anderer Trostliteratur), Universitätslehrer und Kirchenorganisator, dessen kirchlich-praktische und theologische Bemühungen auf Fragen der Ethik, der Kirchenzucht, der Abendmahlsgestaltung und der Christusfrömmigkeit zentriert waren, spiegelt seine Biographie exemplarisch die komplexen, in apokalyptischem Horizont reflektierten theologiegeschichtlichen und kirchenreformerischen Probleme lutherischer Konfessionalisierung. Die Integration von Frömmigkeit, akademischer Theologie und kirchenreformerischem Handeln erscheint in der Perspektive Kochs als Charakteristikum lutherischer Konfessionalisierung überhaupt.

Eben diese Integrationsleistung scheint in der Arndtschen ´Frömmigkeitstheologie´, die Schneider (274 ff.) untersucht und hinsichtlich maßgeblicher theologischer Grundentscheidungen für in einem konfessionstheologisch distinkten Sinne nicht lutherisch hält (296; vgl. zum Problem auch Sommer, 300 ff.), mit der Polarisierung von Lehre und Leben aufgelöst zu sein. Die traditionsgeschichtliche Analyse Arndtscher Quellen, seine Esoterik, die Einbindung in paracelsisch-theosophisch-spiritualistische Kreise, verdeutlichen, daß Arndt, entgegen seinem Selbstverständnis, die Basis lutherisch-orthodoxer Theologie verlassen hat.

Die Umstrittenheit Arndts und seine mannigfache Beanspruchung bzw. Rezeption in einander kritisch oder feindlich gegenüberstehenden theologischen Milieus dürfte in ihrer Konsequenz "entkonfessionalisierend" (298) gewirkt haben. Unbeschadet der "Heterodoxie" der von Arndt rezipierten oder im Prozeß seiner Rezeption verkirchlichten Traditionen stellt Sommer heraus, daß er in seinem kirchenleitenden Amt als Generalsuperintendent in Braunschweig-Lüneburg (1601-1621) in "völlige[r] Übereinstimmung" (304) mit dem Landesherrn agierte, eine "straffere kirchlich-staatliche Dienstaufsicht" (305) durchzusetzen versuchte und die "notwendige Übereinstimmung zwischen Lehre und Leben der Pfarrer" (ebd.) einschärfte. Gegenüber patronatsrechtlich begründeten Eigenständigkeitsbestrebungen des niederen Adels trat er als entschiedener Anwalt des landesherrlichen Episkopats auf (305 ff.). Arndts Frömmigkeit sei "in ihrem Ansatz" "kirchliche Frömmigkeit" (307), die "Reformation des Lebens" im Sinne Arndts eine Parallelerscheinung der reformierten Konfessionalisierung (309 f.).

Zwei Beiträge des Bandes sind dem Verhältnis des Luthertums zu den sozialen und gesellschaftlichen Wirklichkeiten ihrer Zeit gewidmet: Rublack analysiert in einer wegweisenden Studie zur lutherischen Regelpredigt anhand der in ihrer Bedeutung konfessionsspezifischen Literaturgattung der Predigtpostillen, daß eine Hinwendung zu den "langdauernde[n] Grundgegebenheiten" der "alteuropäischen Gesellschaft" und eine Akkommodation der neuen Lehre an die sozialen Herausforderungen der Zeit zu bemerken sei (344 f.).

Die "Einprägungsarbeit" lutherischer Prediger (346) zielte auf intensive lebensweltliche Vermittlung theologisch normativer Gehalte zu verschiedenen Lebensbereichen (Ehe, Nahrungssorge, Lebenslauf, Erziehung, Geschlechterverhältnisse). Gegenüber der Vorstellung, im Luthertum lasse sich eine Internalisierung der Verhaltenssteuerung diagnostizieren, meldet Rublack zu Recht Bedenken an (399). ´Modernisierend´ habe das Luthertum nicht aus eigenem inneren Antrieb, sondern in Verbindung mit frühneuzeitlichen sozialen Differenzierungsprozessen gewirkt (381 f.). Durch beigefügte bibliographische Hinweise zur Postillenliteratur vom 15. bis 18. Jh. (vgl. 383 ff.) hat Rublack wichtige Voraussetzungen für eine gesamthafte Auswertung der lutherischen Postillenliteratur geschaffen, die einerseits durch das parallele Studium zeitgenössischer Homiletik, andererseits durch die theologiegeschichtlich unterscheidende Perspektivierung auf Trost- und normative Steuerungsfunktionen hin zu erweitern wäre.

Brecht untersucht das Problemfeld Kirchenzucht im Hinblick auf das spannungsreiche Verhältnis von Pfarramt und Gesellschaft. Die notorische Wirkungslosigkeit lutherischer Predigt in bezug auf die Durchsetzung christlichen Lebens in der Volks- und Staatskirche reicht bis in Luthers eigene Tätigkeit zurück (vgl. 401 ff.). Als wichtigste Theologengruppe, die sich mit wechselndem Erfolg und rückhaltlosem persönlichen Einsatz für die Verbesserung der Kirchenzucht einsetzte, stellt Brecht überzeugend die Gnesiolutheraner heraus. Die Konflikte mit den weltlichen Obrigkeiten über Recht und Grenze der Kirchenzucht verdeutlichen, daß ein auf Sozialdisziplinierung focussiertes Deutungskonzept der lutherischen Kirchenbuße ebensowenig gerecht wird wie eine Interpretation der protestantischen Geistlichkeit als ´Staatsagenten´(14).

Wenig Spezifisches bietet ein Beitrag Voglers zu Gebetbüchern in der lutherischen Orthodoxie (1550-1700), der überdies das klassische Werk von Althaus d.Ä. übergeht. Aus der Tatsache, daß "fast ausschließlich Pfarrer und Theologen" (425) die Verfasser der neueren Literaturgattung sind, zu folgern, sie seien "manchmal etwas weltfremd" (ebd.), überrascht um so mehr, als Vogler selbst zu dem Ergebnis kommt, die Gebete seien "den Gegebenheiten und Interessen der Leser gut angepaßt" (434). Um ein tieferes Verständnis für die religiöse Integrationsleistung konfessionell lutherischer Frömmigkeit zu gewinnen, dürfte ein subtilerer methodischer Zugriff als die Auflistung konventioneller Gebetsthemen (vgl. 426 ff.) erforderlich sein!

Gesangbücher können als in ihrer herausragenden Bedeutung konfessionsspezifisches Integral der kulturellen Lebenswelt des Luthertums gelten. Veit untersucht das Phänomen lutherischer Gesangbücher unter Aufnahme methodischer Ansätze der Kulturanthropologie. Die ­ jedenfalls intendierten ­ Benutzer umspannten alle sozialen Schichten; die typographische Ausstattung trug vielfältigen Verwendungskontexten Rechnung (437ff.).

Den Gesangbüchern waren zumeist andere Textgruppen (Katechismus, Gebete, Perikopen etc.) beigegeben. Benutzungshinweise auf Gesangbücher in Leichenpredigten bezeugen ihre zentrale Bedeutung im Kontext häuslicher Fömmigkeit; Nachlaßinventare verdeutlichen, daß Gesangbücher als herausgehobene Erbstücke galten.

Am Beispiel der Dresdener Jubiläumsfeiern von 1617 arbeitet Robinson-Hammerstein die durchaus spannungsvolle Beziehung zwischen dem auf anticalvinistische konfessionelle Polarisierung abzielenden konzeptionellen Gesamtprogramm des Oberhofpredigers Matthias Hoë von Hoënegg und dem von "dogmatische[r] Enge" (476) freien Beitrag der lutherischen Kirchenmusiker heraus. Die wortorientierte, als genuines Medium der Wortverkündigung konzipierte und darin konfessionell lutherische kirchenmusikalische Arbeit Heinrich Schützens (vgl. 566) nahm konfessionsfremde Formelemente auf; "die Offenheit für die Form" im Konzept der Kirchenmusik ist als "das lutherische Wesensmerkmal schlechthin" (488) anzusprechen. Dadurch waren die Möglichkeiten einer konfessionspolitisch-funktionalen Reduktion der Musik begrenzt. In dieser Grundtendenz dürfte sich die Musik größere Freiräume erhalten haben als etwa die bildende Kunst im Luthertum der zweiten Hälfte des 16. Jh.s, in der Koepplin eine zunehmende Lehrhaftigkeit bemerkt, die in ihrer Konsequenz die Eigenständigkeit der Bildsprache begrenzte und sich der Wortbezogenheit lutherischer Frömmigkeit und Theologie unter- bzw. einordnete.

Das Problem einer intensivierten Endzeiterwartung im konfessionellen Luthertum zwischen dem letzten Drittel des 16. Jh.s und dem Ende des Dreißigjährigen Krieges ist das Thema eines Beitrages von H. Lehmann. Träger des durch Schwächesymptome (551) gekennzeichneten lutherischen Endzeitbewußtseins sei das "fromme Bürgertum" (548) gewesen, dessen Verunsicherung das Bedürfnis nach persönlichem Trost gesteigert habe. Erst die pietistische "Hoffnung besserer Zeiten" (553) habe die Zeitzeichen im Sinne einer von Gott eröffneten geschichtlichen Perspektive zu deuten vermocht.

Die überaus kontroverse Diskussion der Lehmannschen Thesen (vgl. 555) signalisiert einen weitergehenden Klärungsbedarf insbesondere zum Verhältnis der zeitgenössischen Amtsgeistlichkeit zum Endzeitbewußtsein, zur sozialgeschichtlichen Breitenwirkung des Phänomens und dem konfessionsspezifischen Charakter intensivierter apokalyptischer Erwartung.

I. 3. Die römisch-katholische Konfessionalisierung

Die dritte Tagung zur katholischen Konfessionalisierung weist eine in der Anlage mit dem Tagungsband zum Luthertum vergleichbare, die Ausstrahlung der tridentinischen Reformimpulse auf verschiedene geographische und soziale Kontexte und kulturelle Lebensbereiche berücksichtigende Gesamtperspektive auf. Die geographische Perspektive ist allerdings weiträumiger angelegt und bezieht außer deutschen Territorien Regionen Süd- und Westeuropas in stärkerem Maße ein. Zwei Grundsatzreferate der beiden Hgg. Schilling und Reinhard (1 ff.; 419 ff.) rahmen den Band und sollen weiter unten rekapituliert werden.

Für die Konstitution der römisch-katholischen Kirche als Konfessionskirche war das Konzil von Trient, das in drei Beiträgen behandelt wird, von wegweisender Bedeutung. Am Beispiel des Rechtfertigungsdekrets des Trienter Konzils verdeutlicht Ganzer, daß dessen maßgebliche, gegenüber der theologischen Vielfalt des späteren Mittelalters verengende Zielsetzung in der "theologischen Abgrenzung" gegenüber der Reformation bestanden habe. Die insbesondere von einzelnen augustinisch geprägten Theologen (Pole, Contarini, Seripando) intendierte unvoreingenommene Auseinandersetzung mit der Lehre der Reformation sei aufgrund angstvoller (53; 69) Abgrenzungs- und Konfessionalisierungsbestrebungen unterblieben. Die Restauration scholastischer Denkformen in Trient (68) habe eine humanistisch geprägte, augustinianische Gnadentheologie ausgegrenzt und eine theologie- und frömmigkeitsgeschichtliche "Modernisierung" (68) blockiert. Obschon sich Seripando in bezug auf das Rechtfertigungsdekret nicht durchsetzen konnte, wirkte er in Richtung auf eine vertiefte Auseinandersetzung mit Luthers "Grundgedanken" (65).

Auch wenn durch die Reformation wesentliche Differenzen über das Verständnis der Kirche aufgebrochen waren, bildete die Ekklesiologie im Unterschied zu den Konzilien des 15. und frühen 16. Jh.s in Trient kein eigenes Thema. Das Konzil selbst freilich, so die instruktive These Wendebourgs, war als "organisatorischer Ausdruck und als Instrument praktischer Konsequenzen" (71) ein maßgeblicher Beitrag zur ekklesiologischen Thematik. Insbesondere in der strittigen Zentralfrage nach der Bischofsresidenz und dem Verhältnis von bischöflicher und päpstlicher Amtsgewalt drangen ekklesiologische Fragen von höchster Brisanz in die Konzilsdebatte ein. Im Unterschied zu dem reformatorischen Verständnis der Kirche als ein "offenes", von einem institutionell nicht vermittelbaren Gegenüber zur Schrift geprägten "System" (28) habe sich die römisch-katholische Kirche im Tridentinum als ein "geschlossenes System" dargestellt, "derart, daß ihr eigenes Leben im Laufe der Geschichte Übermittler und Norm seiner selbst ist" (82). Zusammenfassend formuliert Wendebourg: "Mit der Abgrenzung Roms gegen die Reformation trat die westliche Christenheit in mehrere Konfessionen auseinander, entstand die römisch-katholische Konfessionskirche" (85). In Trient definierte sich die römisch-katholische Konfessionskirche als ein sich "seiner selbst gewisses Faktum" (86).

Nach Koch ist hingegen von einer "Interdependenz" (99) zwischen der Selbstbesinnung der tridentinischen Kirche und einer Institutionalisierungstendenz der sich verkirchlichenden Reformation auszugehen. Die Schmalkaldischen Artikel förderten die Konfessionalisierungstendenz sowohl gegenüber Rom als auch im Protestantismus selbst, eine Entwicklung, die ­ in engem Konnex mit der reichspolitischen Situation ­ sich in den nach 1560 entstehenden Corpora doctrinae bis hin zur Konkordienformel fortsetzte. Die in der zweiten Hälfte des 16. Jh.s ausgebaute und kontroverstheologisch eingebrachte kirchengeschichtliche Selbstvergewisserung der Protestanten hielt zugleich die Erinnerung an gemeinsame historische Grundlagen lebendig.

Die vom Trienter Konzil beschlossene Bestätigung seiner Dekrete durch den römischen Papst und die sich an das Konzil anschließende Kodifizierungsarbeit habe eine papalistische Zentralisierungstendenz und eine Rom-zentrierte liturgische Uniformierungstendenz (Breviarium, Missale, Rituale Romanum) befördert. Zentralisierung und Uniformierung markieren nach Maron ­ anknüpfend an profilierte Thesen Reinhards(15) ­ einen ´Modernisierungsschub´ der römischen Konfessionskirche, die er allerdings, gegenläufig zur komparativ-gesellschaftsgeschichtlichen Tendenz der Modernisierungskategorie bei Reinhard, von der antimodernisierenden Bejahung ökumenischer Vielfalt im Luthertum (zur CA: 123) abhebt. In der Diskussion zu Marons Beitrag ist mit Recht darauf hingewiesen worden, daß der Grad der von Rom faktisch erreichten ´Modernisierung´ nicht überschätzt werden sollte (vgl. 124).

Prosperi schildert am Beispiel Italiens, wie sich die seit 1542 wiederbelebte Inquisition des Beichtinstituts zu bemächtigen suchte und Trient unter Rückgriff auf Innozenz III. die Beichtpflicht einschärfte und auch Ärzte in die systematisierte religiöse Verhaltenskontrolle einzubeziehen verstand. Die Akkomodation der Inquisitionstribunale an das Beichttribunal leistete freilich einer Strategie der Laien Vorschub, die durch spontanes Erscheinen (131) vor der Inquisition gegen die Auferlegung geringfügiger Bußleistungen die Absolution erreichten und in bezug auf schwere Sünden auf Ablaßangebote setzten.

Monter zeichnet den unterschiedlichen Erfolg der spanischen Inquisition gegenüber Lutheranos einerseits und Moriscos, zwangskonvertierten Mohammedanern, andererseits nach. Während die Beseitigung des vereinzelt auftretenden Protestantismus in wenigen Jahren vollständig und nachhaltig geglückt war, führte die seit 1565 mit brutaler Härte versuchte Ausrottung moslemischer Kultur zu keinem vollständigen Sieg der tridentinischen Konfessionalisierung. Trotz intensivierter Bemühung um ländliche Katechisierung und schonungsloser Härte des Vorgehens war die Kenntnis des Koran und islamischer Kulturprägungen auch Generationen nach äußerlich erreichter Christianisierung der Morisken nicht wirksam auszurotten.

Ein wesentliches Moment katholischer Konfessionalisierung waren bekanntermaßen die neugegründeten Orden und Kongregationen, insbesondere die Kapuziner, Jesuiten und Ursulinen (vgl. Bireley, 145 ff.). Predigt, Seelsorge, systematische Bemühungen um den Religionsunterricht im besonderen und das Bildungswesen im allgemeinen, sowie spezifische Verfassungsstrukturen und eine besondere Papstbindung machten die Orden zu einem Motor der "Christianisierung" (145; 151; 156) ohne ­ wie Bireley hervorhebt ­ nur als Agenten einer tridentinischen Konfessionalisierung aufzutreten.

An Hand der jesuitischen Chinamission weist Po-Chia Hsia auf den dialektischen Zusammenhang zwischen europäischem Konfessionskonflikt und überseeischer Mission hin. Die Bekehrungsstrategie der Jesuiten vermittelte in Asien ein durchweg einheitlich-utopisches Bild des unter dem Papst versammelten Europa; die Konfessionsdifferenzen im Abendland spielten keine Rolle. Die Missionserfolge in Übersee stimulierten das konfessionelle Selbstbewußtsein des Katholizismus.

Am Beispiel der Literaturpolitikdes bayerischen Kurfürsten MaximilianI. zeigt Breuer, daß antiprotestantische Buchzensur, Konfiskationsmaßnahmen und die gezielte Förderung konfessionell-katholischer Literaturproduktion zusammengehörten. Zahlreiche Übersetzungen romanisch-katholischer Literaturwerke trugen zu einem konfessionell spezifischen Gepräge katholischer Frömmigkeitsliteratur ebenso bei wie die Homogenität der weithin jesuitisch geprägten Autoren und die sprachliche Abgrenzung vom Lutherdeutsch in der oberdeutschen Mund- und Schreibart. Im Freiheitspathos konfessionell katholischer Poeten ist ein Widerstreben gegen die kurfürstlich geförderte Subordination der Poesie unter die Zwecke des Konfessionsstaates greifbar.

Die reichskirchenrechtliche Koexistenzregelung des Augsburger Religionsfriedens bildet die Basis der konfessionellen Durchdringung aller Lebensbereiche im Katholizismus, gehört aber für die Katholiken auf die Seite der "Verlustbilanz", da sie die Anerkennung der Protestanten und die Preisgabe kanonistischer Rechtspositionen bedeutete. Von besonderer Bedeutung für die rechtsgeschichtliche Entwicklung wurde nach Heckel freilich die Differenz im Bekenntnisverständnis (219). Als System rechtlicher Koexistenzsicherung verhinderte das Reichskirchensystem eine weitergehende Konfessionalisierung, leistete entkonfessionalisierenden und säkularisierenden Tendenzen Vorschub (220) und sicherte gerade in seiner politisch-juristischen Deutung der Confessio Augustana die politische Existenzfähigkeit der protestantischen Konfessionalisierung (227).

Am Beispiel des Hochstifts Würzburg unter Julius Echter skizziert Willoweit die an Bestrebungen zum spätmittelalterlichen Kirchenregiment anknüpfende religionspolitische Territorialisierung, die parallel zum weltlichen Fürstenstaat Bayern die staatlichen Mittel zum Zweck der Kirchenreform einsetzte und auf eine dauerhafte Transformation der Gesellschaft im Sinne "christlicher Prägung und katholischer Konfessionalität" (240) ausgerichtet war. Bemerkenswert scheint insbesondere Willoweits religiöse Motive der Territorialherren zentral einbeziehende Charakterisierung der Konfessionalisierung als "Verteidigungsstrategie" gegen gesellschaftliche Auflösungstendenzen (241).

Am Beispiel der in ihren historischen Ausgangsbedingungen im frühen 16. Jh. und hinsichtlich ihrer Beeinflussung durch die Reformation durchweg gegensätzlichen Territorien Elsaß und Lothringen zeigt Chátellier (384 ff. ), daß die Umsetzung des Tridentinums durch die weltlichen und geistlichen Obrigkeiten in die kirchliche Alltagswirklichkeit parallel verlief. Der tridentinische Katholizismus ´implantierte sich´, getragen vom Jesuitenorden, reformwilligen Bischöfen und weltlichen Territorialherren, "auf die gleiche Weise im Elsaß (wo die Katholiken und Evangelischen sich das Land teilten) und in Lothringen (wo die Katholiken in der Mehrheit waren)" (392) und wirkte gestaltend auf die Volksfrömmigkeit ein. Auch ein Vergleich zwischen den konfessionellen Etablierungsprozessen in Bayern und Mailand (Turchini, 394 ff. ) weist hinsichtlich staatlicher Normsetzung in kirchlichen Angelegenheiten, der Disziplinierung der Geistlichkeit, des administrativen Ausbaus der Diözesanverwaltungen und der Kontroll- bzw. Visitations- und Inspektionsverfahren ­ bei allen Unterschieden insbesondere hinsichtlich der staatlichen Lenkung ­ weitgehend schlagende Übereinstimmungen auf. Einer Phase der Eliminierung doktrinaler und sittlicher Mängel folgte ein pluraler, in seinen konkreten Wirkungen freilich schwer bestimmbarer Prozeß der "Christianisierung" (403). Daß die katholische Konfessionalisierung nicht immer mit "Tridentinisation" (Chaix, zit. von Schilling, 7, Anm. 17) identisch ist, wurde an einzelnen Fallbeispielen insbesondere in den Diskussionen angesprochen.

Bei seinem Versuch einer Typisierung der konfessionellen Entwicklung in katholischen Territorien stellt Ziegler die innere politische Struktur der Territorialverfassung, die geographische Lage, die Beziehung von Territorium und Diözesen und die spezifische Papstbindung einer Region als strukturierende Kriterien einer konfessionellen Typologie heraus. Ein früher Typus "katholischer Konfessionalisierung" (zur Ablehnung dieses Begriffs durch Ziegler [siehe 417]) sei in den politisch und administrativ kompakten Großstaaten, die in starker Nähe zum Papsttum standen, in denen eine weitgehende territoriale Überschneidung mit den Bistumsstrukturen vorhanden war und in denen die Jesuiten eine zentrale Rolle spielten, gegeben. Ein phasenverschoben späterer Typus sei durch "Kleinheit der Territorien" und lockeren Staatsaufbau, "relativ geringe oder belastete Kontakte zum Papst" (412) und geringe Aktivität der Jesuiten charakterisiert. Ziegler verbindet mit seinem Typisierungsversuch eine prinzipielle Ablehnung des komparatistisch angelegten Konfessionalisierungsparadigmas (417), die ihr Kernmotiv in einem konfessionell katholischen, die weithin ungebrochene Kontinuität der römisch-tridentinischen mit der mittelalterlichen Kirche betonenden Kirchenbegriff hat (vgl. die Diskussion, 418, und dazu die Replik Reinhards, 437 f.).

Das Zeitalter der Konfessionalisierung und die in ihm vollzogene Formierung konkurrierender Kirchentümer hat Konversionen hervorgebracht. Mennecke-Haustein untersucht die ersten Theologenkonversionen zur katholischen Konfessionskirche und sieht in dem ­ wie sie meint ­ schulbildend wirkenden Friedrich Staphylus den ersten Fall eines mit theologischem Positionswechsel verbundenen kirchlichen Lagerwechsels. Die anregende These, die "Unzufriedenheit der Protestanten mit der Zerfahrenheit und Zerstrittenheit ihrer Kirche" (255) habe den "aufnahmebereiten Boden" insbesondere für die römisch-katholische Argumentation mit der Tradition und ihrem Selbstverständnis als historisches Kontinuum gebildet, dürfte in Hinblick auf die in sich vielfältigen theologischen Milieus des zeitgenössischen Protestantismus zu prüfen sein.

Das Verhältnis von Volksfrömmigkeit und katholischer Konfessionalisierung ist nach der vorwiegend auf Frankreich konzentrierten Analyse Venards als zutiefst dialektisch und historisch bewegt zu bestimmen. Die Amtskirche kommt volksfrommem Kultbedürfnis im Kontext der Marien-, Hostien- und Reliquienverehrung weitgehend entgegen. Die nicht im Sinne einer Dichotomisierung von Elite- und Laienfrömmigkeit sachgemäß zu erfassende (vgl. 448) kultzentrierte Frömmigkeit wurde zu einem integrierenden Identitätsmoment dezidiert antireformatorischer katholischer Konfessionalität.

Im Rahmen der am Beispiel Kölns untersuchten Ursula-Gesellschaft (Conrad, 277 ff.) wird deutlich, daß der sich konfessionalisierende Katholizismus Kräfte einer geistlichen Frauenbewegung mit einem ´weltgeistlich-klerikalen´ Selbstverständnis trotz Spannungen zu integrieren verstand. Die Ablehnung der Klausur nach jesuitischem Vorbild ermöglichte ­ vor allem im Kontext des Fürsorge- und Unterrichtswesens ­ ein ausstrahlendes weibliches Wirken in die Gesellschaft hinein.

Instruktiv für die mentalen Bedingungen in der lutherischen und der römischen Konfession dürfte eine Studie Middlefords (296 ff.) über den Selbstmord sein. Die altbekannte These, der Freitod sei ein Konfessionsmerkmal des Luthertums, wird aufgrund unzureichender statistischer Angaben relativiert. Bemerkenswert ist allerdings, daß das Selbstmord-Problem in der theologischen Literatur der Lutheraner ­ im Unterschied zur katholischen Literatur ­ thematisiert und daß der Selbstmord als solcher in der theologischen Lehre nicht per se mit einer ewigen Verdammnis verbunden wurde. Schwermut wurde als Bestandteil lutherischen Identitätsbewußtseins integriert und theologisch bearbeitet, während sie im Katholizismus ausgegrenzt oder perhorresziert wurde.

Die lebensweltlichen Steuerungsansprüche der Konfessionen wirkten sich im Bereich der Ehe- und Familienkonzeptionen unmittelbar aus. Obschon das Tridentinum gegen die Reformation die mittelalterliche Lehre vom Ehesakrament bekräftigte, scheinen sich die konkreten normativen Verhaltensvorgaben hinsichtlich des Eheverständnisses in beiden von spätmittelalterlichen und humanistischen Traditionen geprägten Konfessionen zu entsprechen, so die These Smolinskys (311 ff.). Dies gelte ebenso für das patriarchalische Ordnungssystem der Ehe, die geschlechtsspezifischen Rollenmuster und die Begrenzung geistiger Interessen von Frauen. Die Spannung zwischen "biblisch-theologische[r] Wertschätzung der Ehe" und ihrer gleichzeitigen Abwertung gegenüber Zölibat und Jungfräulichkeit freilich (327) muß als konfessionsspezifisch gelten und stellt so etwas "wie die Quadratur des Kreises" (327) dar.

R. A. Müller untersucht die gegenüber protestantischen Texten signifikant unterrepräsentierten katholischen Fürstenspiegel zwischen 1550 und 1650. Die Ursache für den quantitativen Rückstand der Katholiken in dieser Hinsicht dürfte wesentlich darin ihren Grund finden, daß die Mehrzahl der weltlichen Territorien im Reich protestantisch war (344). Kenntnis der Bibel und Unterordnung unter klerikale Ausleger, Bereitschaft zum kämpferischen Einsatz gegen die Ketzerei, Verpflichtung auf die katholische Lehre und Treue gegenüber dem Papsttum sowie, besonders in Bayern konfessionspolitisch akzentuiert, die Bindung an Maria können als wesentliche konfessionsspezifische Inhalte katholischer Fürstenspiegel gelten.

War der dominierende Kontext protestantischer Universitätsneugründungen oder -reorganisationen der weltliche Fürstenstaat, so waren es im katholischen Bereich die geistlichen Territorien, die besondere Anstrengungen unternahmen (vgl. Dickerhof, 348 ff.). Der durch die Konfessionalisierung dynamisierte Funktionsgewinn der Bildungsinstitutionen wirkte sich insbesondere auf den Ausbau des sukzessive jesuitisch dominierten Gymnasial- bzw. Kollegiensystems aus. Eine mittelbare Folge dieser Entwicklung sieht Dickerhof in der "Reklerikalisierung oder Vermönchung" (360) des Bildungswesens, die Laien nur mehr "Nischen" in medizinischen und juristischen Fakultäten ließen (360). Im "Modus Parisiensis" des Calvin und Ignatius gleichermaßen prägenden Collège Montaigu sei eine funktionalisierte, rationalisierte und disziplinierte artistische Bildungsform ausgebildet worden, die konfessionelle Spezifika reformierter und katholischer Bildungsinstitutionen vorgeprägt habe.

Ähnlich dem in bezug auf das Luthertum erhebbaren Befund ist auch im katholischen Bereich nur von einer bedingten Konfessionalisierung (vgl. Dankwart, 371 ff.) der Musik zu sprechen, so daß ­ trotz der Normierungsversuche des Trienter Konzils ­ die Grenzen zu protestantischer und profaner Musik fließend geblieben sind.

Fussnoten:

Die prägenden Eigentümlichkeiten katholischer Konfessionalisierung (vgl. dazu Reinhard, Was ist katholische Konfessionalisierung, 337 ff.) sind hinsichtlich ihrer wirksamen theologiegeschichtlichen Motive einerseits in einer expliziten Bindung der Glaubenslehre an die hierarchisch verfaßte Institution, andererseits in einer ­ bei aller faktischen Selektivität hinsichtlich der Aktualisierung einzelner Traditionselemente ­ prinzipiell bejahten Traditionalität zu sehen. Charakteristisch für den katholischen Konfessionalisierungsprozeß dürfte des weiteren die Anbindung an vorhandene Institutionen sein, im Unterschied zum Protestantismus, der die Institutionen der Konfessionalisierung allererst schaffen mußte. Die im Katholizismus aufrechterhaltene und durch professionalisierte Ausbildungsstrategien ausgebaute und ­ trotz aller Abhängigkeiten der Kirche vom Staat ­ als Superioritätsanspruch aufrechterhaltene bzw. vertiefte Dichotomie von Klerus und Laien, die Orden und ordensartigen Frauengemeinschaften als Träger konfessioneller Identität und als Agenten katholischer Expansion, sind als sozialgeschichtlich außerordentlich wirksame konfessionsspezifische Erscheinung anzusprechen. Die in der lateinischen Kultsprache konservierte "Romanitá" des Katholizismus und die mit Latinität, Ordenswesen und der auf der Basis der Kolonialpolitik katholischer Staaten betriebenen Mission eng verbundene Internationalität der Kirchenorganisation können als spezifische Momente der (früh)neuzeitlichen römisch-katholischen Konfessionskirche gewertet werden. Ähnliches kann für die elastische Integrationskraft des katholischen Konfessionssystems gegenüber ´Volksfrömmigkeit´ und werkfrommem Brauchtum gelten. Der von Reinhard betonte "konservative" (450; vgl. 419 f.) Grundzug katholischer Konfessionalisierung ist aufs Ganze gesehen, unbeschadet dessen, daß sie, wie die lutherische und die reformierte Konfession auch, nicht-intendierte Modernisierungseffekte hervorbrachte (421 ff.), durch das "Einschmelzen von unvermeidlichen Innovationen in ein gegebenes System" (420) zu charakterisieren, "und zwar deswegen, weil die katholische Kirche aus der Not, die ´alte Kirche´ zu sein, eine Tugend zu machen und ihre einmaligen institutionellen Reserven auszuspielen" wußte.

Fußnotentext:

(1) In Auseinandersetzung mit der Osiander-Interpretation des Holl-Schülers Hirsch und der in der Holl-Schule (vgl. Heinrich Assel, Der andere Aufbruch. Die Lutherrenaissance, [FSÖT 72], Göttingen 1994) programmatisch vollzogenen Verlagerung des Interesses der Reformationsforschung auf den jungen Luther und die Anfänge der Reformation, der eine Abwertung sowohl Melanchthons als auch der Orthodoxie sekundierte, führte Erich Roth den Begriff "Spätreformation" ein. Die Verwendung des Begriffs bei Roth zielte darauf, den Zusammenhang der theologischen Entwicklung in der zweiten Hälfte des 16. Jh.s mit der ,Reformation´ zu wahren. Vgl.: Erich Roth, Ein Braunschweiger Theologe des 16. Jahrhunderts. Mörlin und seine Rechtfertigungslehre. In: JGNKG 59, 1952, 59-81. In die neuere Forschung ist der Begriff mit ähnlichen Konnotationen, freilich erweitert um den Aspekt der internationalen Anschlußfähigkeit ­ da das durch von Ranke klassisch gewordene Schwellendatum 1555 "nur für eine Nation, und hier wiederum nur für eine Konfession, nämlich die lutherische, Entscheidungscharakter" (8) habe ­ von Barton eingeführt worden: "So scheint uns der Begriff Spätreformation durchaus geeignet, die grundlegende Einheit der reformatorischen Bewegung in beiden Jahrhunderthälften zu wahren und doch auf den Übergangscharakter dieser Epoche mit ihrem starken Gefälle zur Orthodoxie hin zu verweisen". Peter F. Barton, Um Luthers Erbe. Studien und Texte zur Spätreformation. Tilemann Heshusius (1527-1559), (UKG 6), Witten 1972, 9. Unter evangelischen Kirchenhistorikern hat das mit dem Begriff der "Spätreformation" verbundene periodologische Deutungskonzept positive Aufnahme gefunden. Ich verweise z. B. auf Inge Mager, Die Konkordienformel im Fürstentum Braunschweig-Wolfenbüttel, (SKGN 33), Göttingen 1993, passim; Rudolf Keller, Die Confessio Augustana im theologischen Wirken des Rostocker Professors David Chytraeus (1530-1600), (FKDG 60), Göttingen 1994, 12. Keller parallelisiert den Begriff der "Spätreformation" mit dem einer "Epoche der ´Konfessionalisierung im Luthertum´" (ebd.), hält demnach den kirchenhistorischen und den gesellschaftsgeschichtlichen Periodisierungsbegriff für austauschbar.
(2) Eine gründliche Analyse des höchst unklaren Begriffs "Reformorthodoxie" hat Johannes Wallmann vorgelegt: Pietismus und Orthodoxie. In: Geist und Geschichte der Reformation, Festschrift Hanns Rückert, Berlin 1966, 418-442; Nachdruck in: Martin Greschat [Hrsg.], Zur neueren Pietismusforschung, (WdF 140), Darmstadt 1977, 53-81. Die ­ gegenläufig zur Intention bei Hans Leube ­ üblich gewordenen Begriffskonnotationen im Sinne einer partikularen Reformgesinnung innerhalb der Orthodoxie dürften wesentlich durch die Verwendung des Begriffs bei Winfried Zeller, (Theologie und Frömmigkeit, [MThSt 8], Bd. 1, Marburg 1971, 107 f.) und Friedrich-Wilhelm Kantzenbach, (Orthodoxie und Pietismus, [EvEnz 11/12], Gütersloh 1966, 63 ff.) oder Werner Elert (Morphologie des Luthertums, Bd. 1, München 19582, 402) gefördert worden sein und wirken bis zu Martin Brecht (in: Ders. [Hrsg.], Geschichte des Pietismus, Bd. 1, Der Pietismus vom 17. bis zum frühen 18. Jahrhundert, Göttingen 1993, 166 f.) nach. In der Studie von Udo Sträter, Meditation und Kirchenreform in der lutherischen Kirche des 17. Jahrhunderts, (BHTh 91), Tübingen 1995, ist jeder Versuch, mit dem Paradigma ,Reformorthodoxie´ zu laborieren, zugunsten einer den frömmigkeits- und theologiegeschichtlichen Gesamtzusammenhang des 17. Jh.s berücksichtigenden Perspektive aufgegeben.
(3) Vgl. etwa Christoph Markschies, Arbeitsbuch Kirchengeschichte, (UTB 1857), Tübingen 1995, 13 f.; 45. Markschies wendet sich gegen den Troeltschschen Begriff der "altprotestantische[n] Orthodoxie" "wegen seines wenig freundlichen Beigeschmacks" (14). Ohne freilich gegenüber dem Begriff der "Orthodoxie" nervös zu reagieren, ist diese Terminologie in gewissem Sinne vorbereitet bei Georg Hoffmann, Protestantischer Barock. Erwägungen zur geschichtlich-theologischen Einordnung der lutherischen Orthodoxie. In: KuD 36, 1990, 156-178. Mit Hilfe des Begriffs "Zeitalter des Barock" hat Johannes Wallmann Orthodoxie und Pietismus terminologisch zu verbinden versucht, wobei vorausgesetzt ist, daß "die Orthodoxie dem konfessionellen Zeitalter zugehört, der Pietismus dagegen der Neuzeit". In: Theologie und Frömmigkeit im Zeitalter des Barock, Gesammelte Aufsätze, Tübingen 1995, V. Zur Begriffsgeschichte von "Orthodoxie" und der Bedeutung derselben für die Fragen der Periodennomenklatur instruktiv: Theodor Mahlmann, Art. Orthodoxie, orthodox. In: Joachim Ritter/Karlfried Gründer [Hrsg.], Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 6, 1380-1385; vgl. auch den Artikel Orthodoxie, I: Lutherische Orthodoxie (Markus Matthias). In: TRE 25, 1995, 464-485, bes. 464-468. Auch hinsichtlich der Nomenklatur instruktiv: Jörg Baur/Walter Sparn, Art. Lutherische Orthodoxie. In: EKL3, Bd. 3, Göttingen 1992, 953-959.
(4) Exemplarisch etwa: Johann Anselm Steiger, Rhetorica sacra seu biblica. Johannes Matthäus Meyfart (1590-1642) und die Defizite der heutigen rhetorischen Homiletik. In: ZThK 92, 1995, 517-558; ders., Das Testament und das Glaubensbekenntnis des todkranken 21jährigen Johann Gerhard (1603): Kritische Edition und kommentiert. In: ARG 87, 1996, 201-254 (in Bezug auf die Poimenik).
(5) Heinz Schilling [Hrsg.], Die reformierte Konfessionalisierung in Deutschland ­ das Problem der "zweiten Reformation", (SVRG 195), Gütersloh 1986; Hans-Christoph Rublack [Hrsg.], Die lutherische Konfessionalisierung in Deutschland, (SVRG 197), Gütersloh 1992; Wolfgang Reinhard/Heinz Schilling [Hrsg.], Die katholische Konfessionalisierung, (SVRG 198), Gütersloh 1995. Von den drei Bänden ist der erste bereits vergriffen. Angesichts der beträchtlichen internationalen Resonanz auf die Konfessionalisierungsdiskussion und der wissenschaftlichen Bedeutung der Werke erschiene es mir sinnvoll, einen Paperbacknachdruck in Kassette zu einem studentenfreundlichen Preis herauszubringen. Zu dem Buch von Schmidt s. u. Anm. 10.
(6) Zum Begriff des "konfessionellen Zeitalters" vgl. die wissenschaftsgeschichtlich instruktiven Hinweise bei Harm Klueting, Das konfessionelle Zeitalter 1525-1648, (UTB 1556), Stuttgart 1989, bes. 13 ff.
(7) Vgl. Bernd Moeller, Der Verein für Reformationsgeschichte. Vergangenheit ­ Gegenwart ­ Zukunft. In: ARG 68, 1977, 284-301.
(8) Vgl. nur das auch in dieser Hinsicht für die Kirchengeschichtsschreibung der Neuzeit schon jetzt richtungsweisende Werk von Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866-1918, Bd. 1, München 31993; Bd. 2, München 21993. Vgl. aber etwa auch: Rudolf von Thadden, Weltliche Kirchengeschichte. Ausgewählte Aufsätze, Göttingen 1989; Hartmut Lehmann, Religion und Religiosität in der Neuzeit. Historische Beiträge, Göttingen 1996; Dieter Breuer [Hrsg.], Religion und Religiosität im Zeitalter des Barock, I u. II, Wiesbaden 1995 (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung, 25)
(9) Dies wird etwa gegenüber einer Äußerung wie der Paul Münchs deutlich: "Kirchengeschichte und noch mehr kirchliche Sozialgeschichte sind zu wichtig, als daß man sie ausschließlich der (gewiß legitimen) Perspektive der Kirchengeschichtsschreibung überlassen dürfte". Heinz Schilling, Reformierte Konfessionalisierung, 306. Münch setzt voraus, daß es die Perspektive der Kirchengeschichtswissenschaft gibt. Diese stellt sich aus der Binnenperspektive zunächst als Aufgabe.
(10) Heinrich Richard Schmidt, Konfessionalisierung im 16. Jahrhundert, (EDG 12), München 1992
(11) Vgl. nur Heinz Schilling, Konfessionskonflikt und Staatsbildung, (QFRG 48), Gütersloh 1981; ders., Aufbruch und Krise. Deutschland 1517-1648, Berlin u. a. 1988 (21994); ders., Die Konfessionalisierung im Reich. Religiöser und gesellschaftlicher Wandel in Deutschland zwischen 1555 und 1620. In: HZ 246, 1988, 1-45; ders., Luther, Loyola, Calvin und die europäische Neuzeit. In: ARG 85, 1995, 5-31. Zum letzten Stand der Konfessionalisierungsforschung vgl. die unten Anm. 16 genannte Literatur und das unten besprochene Buch von H. R. Schmidt, sowie von kirchenhistorischer Seite: Harry Oelke, Die Konfessionsbildung des 16. Jahrhunderts im Spiegel illustrierter Flugblätter, (AKG 57), Berlin, New York 1992.
(12) Ernst Walter Zeeden, Die Entstehung der Konfessionen, Wien 1965; ders., Das Zeitalter der Gegenreformation, Freiburg 1967; ders., Das Zeitalter der Glaubenskämpfe, (Gebhards Handbuch der Deutschen Geschichte 9), Stuttgart 1973 (dtv 4209); ders., Konfessionsbildung. Studien zur Reformation, Gegenreformation und katholischen Reform, Stuttgart 1985. Neben den Arbeiten Schillings wurde die gesellschaftsgeschichtliche Ausformung des Konfessionalisierungsparadigmas nachhaltig durch die Studien Wolfgang Reinhards gefördert, vgl.: Gegenreformation als Modernisierung? In: ARG 68, 1977, 226-252; ders., Konfession und Konfessionalisierung in Europa. In: Ders. [Hrsg.], Bekenntnis und Geschichte, München 1981, 165-189; ders., Zwang zur Konfessionalisierung? Prolegomena zu einer Theorie des konfessionellen Zeitalters. In: ZHF 10, 1983, 257-277.
(13) Johannes Wallmann, Die Rolle der Bekenntnisschriften im älteren Luthertum. Jetzt in: Ders., Theologie (wie oben Anm. 3), 46-60.
(14) Zu allen die Rolle der protestantischen Geistlichkeit in der frühen Neuzeit betreffenden Fragen jetzt grundlegend: Luise Schorn-Schütte, Evangelische Geistlichkeit in der Frühneuzeit. Deren Anteil an der Entfaltung frühmoderner Staatlichkeit und Gesellschaft. (QFRG 62) Gütersloh 1996 (Lit.).
(15) Vgl. Reinhard, Gegenreformation als Modernisierung?, wie Anm. 12.