Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Januar/2009

Spalte:

79-80

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Jordan von Quedlinburg

Titel/Untertitel:

Opus postillarum et sermonum de Evangeliis dominicalibus (De nativitate domini). Opus Ior (Sermones selecti de filiatione divina). Hrsg. v. N. Bray. M. e. Einleitung v. L. Sturlese.

Verlag:

Hamburg: Meiner 2008. XXXVI, 164 S. gr.8° = Corpus philosophorum Teutonicorum medii aevi, 7/3. Lw. EUR 72,00. ISBN 978-3-7873-1758-5.

Rezensent:

Karl-Hermann Kandler

Die Reihe, in der dieser Quellenband erscheint, erschließt weithin unbekannte Schriften deutscher Denker des Mittelalters. Wer kennt heute noch Jordan von Quedlinburg? Zu seiner Zeit war Jordan ein durchaus bekannter Mann, ein Prediger aus dem Orden der Augustiner-Eremiten, ein jüngerer Zeitgenosse Meister Eckharts (um 1300 bis um 1370/80). Er lehrte in Erfurt und Magdeburg, war wiederholt sächsischer Provinzial, aber auch Visitator der fran­zösischen Ordensprovinz, kurzum ein bedeutender Mann seines Ordens und dazu »Autor des erfolgreichsten Predigthandbuchs des 14. Jahrhunderts«. Nikolaus von Kues bemerkt einmal in einer Predigt: »Sieh bei Eckhart nach, den Jordan in der Predigt zu diesem Festtag ohne Verfasserangabe wiedergibt«. Als er dies niederschrieb, war Jordan wesentlich bekannter als Eckhart, der durch seine Verurteilung ja eine persona non grata war. »Die fast 300 erhaltenen Voll- und Teilhandschriften von Jordans Opus postillarum ... stellten einen unerreichbaren Maßstab für alle seine Zeitgenossen dar« (VII). Sein Werk umfasste – nach heutigem Druckformat – etwa 3000 Seiten. Es stellt eine systematische Hilfe für die Vorbereitung der Sonntagspredigten dar, war also keine reine Predigtsammlung, sondern eher eine Meditationshilfe für das Kirchenjahr. Jordan kommentierte zuerst den Text und bot dann exemplarisch Predigten an. Meditationshilfen waren also schon damals begehrt. Noch weitere Sammlungen hat er herausgegeben, darunter auch Sermones de tempore, die Opus Ior genannt werden, doch diese Sammlung hatte offenbar weniger Erfolg; hier liegen nur sechs Handschriften vor.
Schon Joseph Koch hatte nachgewiesen, dass Jordan abhängig war von Meister Eckhart. Jeremiah Hackett hat sich intensiv mit Jordans Werk befasst und Zitate von Albert von Padua und aus Eriugenas Homilie nachgewiesen. In der Sammlung Opus Ior entdeckte Sturlese eine Kritik Jordans an der Visio-beatifica-Lehre des Dietrich von Freiberg; so war Jordan einbezogen in die Debatte um den Intellekt. Es sind die Predigten L–LII und LXXXI f., die sich zur Visio-beatifica-Lehre äußern; sie hat Bray in diesem Band mit abgedruckt. Aus der erstgenannten Sammlung wurde nur der in sich geschlossene Teil, der das Weihnachtsevangelium Joh 1 zum Ge­genstand hat, ediert. Er trägt einen Sondertitel: »Expositio Evangelii in summa missa diei nativitatis Domini«. Eine Auslegung trägt sogar den Titel »secundum intentionem Platonis« (89).
Die Herausgeberin macht durch ihre Quellenanalyse deutlich, dass Jordan neben Werken von Eckhart und Albert von Padua auch solche von Bonaventura, Heinrich von Gent, Thomas von Aquin und Dietrich von Freiberg benutzt hat. Damit »bildet der Quellenkommentar von Nadia Bray einen soliden und unersetzbaren Ausgangspunkt für jede künftige Forschung« zu Jordan und den Denkern, mit denen er sich befasst hat (XI). Einen konkreten Einblick in Jordans Arbeitsweise gibt eine Synopse, die den Text von Sermo LXVIII den ihm zu Grunde liegenden verschiedenen Quellen ge­genüberstellt. Sie ist der Edition beigefügt. Eine weitere Synopse stellt Eckharts Johanneskommentar und Jordans Predigt LXXII ge­genüber und macht so die Methode seiner Mosaikarbeit deutlich.
Jordan bezeichnet die Bestimmung des intellectus agens, wie sie Dietrich vorgenommen hatte, als »unpassend, falsch und irrig« u.a. deshalb, weil er »den tätigen Intellekt als eine gesonderte Einsicht gemäß der Meinung gewisser Philosophen [hier sind wohl arabische Philosophen wie Avicenna und Averroes gemeint – K.] bestimmt. Dann besteht die Wahrheit des Gedankens (imago) nicht in uns, was freilich geschehen muss, wie gesagt wurde« (Sermo L: 118, Z. 200 ff.). An anderer Stelle (Sermo LXXXI: 140 f., Z. 102 ff.) tritt er (unter Berufung auf Thomas von Aquin) Dietrich in der Frage, ob die Gnade dem möglichen oder dem tätigen Intellekt zugeordnet wird, entgegen. Da Dietrich sich in der Intellekt-Lehre deutlich positioniert hatte, wird die weitere Forschung hier ein gutes Betätigungsfeld haben. Mit der Edition der Jordan-Texte ist dazu die Voraussetzung geschaffen.
Der Editorin sei ein herzlicher Dank für ihre Arbeit gesagt. Doch muss leider kritisch vermerkt werden, dass das Namenregister ziemlich durcheinander geraten ist. Einmal fehlen Angaben, ein andermal sind falsche Seiten angegeben (u. a. bei Ambrosius, Bernhard, Jeremia). Ansonsten ist die Edition zu loben, die Nachweise der Zitate stellen für die weitere Forschung eine wichtige Voraussetzung dar.