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Ausgabe:

Januar/2009

Spalte:

71-72

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Nienhuis, David R.

Titel/Untertitel:

Not By Paul Alone. The Formation of the Catholic Epistle Collection and the Christian Canon.

Verlag:

Waco: Baylor University Press 2007. XVIII, 264 S. gr.8°. Lw. US$ 44,95. ISBN 978-1-932792-71-3.

Rezensent:

Theo K. Heckel

Das Buch geht auf eine 2004 an der Universität Aberdeen durch Francis Watson betreute Doktorarbeit zurück. N. fragt nach der theologischen Bedeutung des Jakobusbriefs in der Sammlung der »Katholischen Briefe«, d. h. Jak, 1/2Petr, 1–3Joh und Jud. Seiner These nach verfasste ein unbekannter Autor in der Mitte des 2. Jh.s im Osten, vielleicht in Jerusalem (238), den Jak, um mit ihm die Sammlung der Katholischen Briefe zu begründen, die dann später zum Kanon avancierte. Der Jak beabsichtigte, mehrere nicht paulinische, aber apostolische Autoritäten gegen eine einseitige In­terpretation des Corpus Paulinum zu sammeln (z. B. 5.13. 236–238).
Das Buch enthält nach einer Einführung drei Materialkapitel, eine Zusammenfassung und Anhänge mit Bibliographie (237–258) und Registern zu ausgewählten antiken und modernen Autoren.
N. diskutiert in der Einführung die Methoden, Fragerichtungen und Begriffe der einschlägigen neueren Forschung. Er unterscheidet zwischen einer Textsammlung und deren Anerkennung als Kanon. Methodisch ähnliche Überlegungen zu den Sammlungen der Paulusbriefe oder der Evangelien unterstützen diese Vorgehensweise. Mehrere einschlägige deutschsprachige Literaturtitel sind der Aufmerksamkeit N.s entgangen (etwa die Jak-Kommentare von H. Frankemölle und W. Popkes oder U. Schmid zu Markion, vgl. meinen Literaturbericht ThR 68 [2003], 286–312.441–459). Die weitreichenden Thesen David Trobischs zu einer Endredaktion des Neuen Testaments (vgl. A. Maurer, ThLZ 127 [2002], 56) weist N. für die Sammlung der Katholischen Briefe zurück, da die Sammlungen der Paulusbriefe und der Evangelien bereits im 2. Jh. vielfach be­nützt werden, während der Jak und der 2Petr überhaupt erst im 3. Jh. nachweisbar sind (19–22).
Im 1. Kapitel sammelt N. die Testimonien zu den einzelnen Katholischen Briefen und deren Zusammenstellungen von Irenäus bis ins 5. Jh. Die Angaben lassen die Sammlung der Katholischen Briefe erst im späten 3. Jh. im Osten erkennen, und erst im 4. und 5. Jh. fand die Sammlung breitere Anerkennung auch im Westen (85 f.). Vorher finden sich nur vereinzelte Benützungen des 1Petr, 1Joh und Jud. Die im Osten bereits im 4. Jh. vorgezogene Reihenfolge Apg, Katholische Briefe, Corpus Paulinum sammelt das apostolische Zeugnis der Frühzeit nach der Reihenfolge der Säulen, wie sie Gal 2,9 nennt. Solche Gedanken teile auch der Jak. In der westlichen Kirche dagegen rahmen meist Apg und Katholische Briefe das Corpus Paulinum, so von der Vulgata bis zum »Nestle«.
Die Sammlung der Katholischen Briefe antworte auf den Alleinvertretungsanspruch eines vermeintlich paulinischen Evangeliums, wie ihn Markion im 2. Jh. vertrat (160 u. ö.). Dagegen stelle die Sammlung heraus, dass die ersten Zeugen grundsätzlich in ihrer Lehre übereinstimmten. Unter Verweis auf 1Kor 15,11 betont be­reits Tertullian, dass die Apostel, die zu den Unbeschnittenen gesandt wurden, in allen wesentlichen Lehren mit den Aposteln übereinstimmen, die zu den Beschnittenen gesandt wurden. Die Sammlung der Katholischen Briefe erinnere an das jüdische Erbe der Christenheit in einer Zeit, als Markioniten und andere sich von diesem Erbe lösen wollten (89, vgl. 236).
Im 2. Kapitel sammelt N. die Traditionen über Jakobus. Dazu stellt er Positionen für und gegen die Authentizität des Jak zusammen. Für beide Positionen gibt es beachtliche Argumente. N. arbeitet heraus, dass Jakobus in heterodoxen Kreisen des 2. Jh.s besondere Autorität genoss. N. verweist etwa auf EvThom log. 12 (138–140) und andere Schriften aus dem Fund von Nag Hammadi (142–148). Jakobus wird im 1. Jh. als Gemeindeleiter Jerusalems geachtet. Im 2. Jh. achten ihn viele Christen darüber hinaus als den Stellvertreter seines Bruders und Bischof über den Bischöfen. Keine der Quellen aus dieser Zeit stützt sich auf den nach ihm benannten Brief oder polemisiert gegen dieses Schreiben. Es bleibt unbekannt, während etwa apokryphe Paulus-Schriften das Corpus Paulinum verwenden (149 f.).
Im 3. Kapitel zeichnet N. die intertextuellen Bezüge des Jak zu anderen frühchristlichen Schriften nach. Jak hänge literarisch vom Röm (113–117.215–224), in mehreren Einzelheiten auch von anderen Briefen des Corpus Paulinum, dem 1Joh und dem 1Petr, ab. Da Jak sogar die Themenabfolge des 1Petr übernehme (225), sei dieser Brief für ihn besonders bedeutsam. Diese Beobachtungen geben für N. den Ausschlag gegen die Authentizität des Jak. 1Petr wie Jak vereinnahme die Geschichte Israels für das Christentum (172). Die bleibende Erwählung Israels stehe für beide Briefe außerhalb ihres Problemhorizonts. Diese Israelvergessenheit wäre für Jakobus den Ge­rechten im 1. Jh. undenkbar. Ich halte diese Erwägung für sehr be­denkens­wert. Die intertextuellen Netze zu den anderen Briefen der Katholischen Briefe dagegen sind m. E. recht grobmaschig geknüpft. Solche Netze können die ihnen aufgebürdete Last kaum halten.
Das Buch argumentiert behutsam, ausgewogen und klar. Einige Akzentfehler und lateinische für griechische Typen (5.114) sind versehentlich stehen geblieben. Ein Verweis auf den dritten Band von Zahns Kanonsgeschichte (75) bezieht sich auf seinen zweiten und erinnert schmerzlich daran, dass der große Erlanger den an­gekündigten dritten Band nicht schrieb. Die hier durch N. rekonstruierte Theologie des Jak will das Erbe der Säulenapostel für das junge Christentum erhalten. Selbst wenn der Jak originär auf den Bruder Jesu zurückgeht, wie es insbesondere K.-W. Niebuhr vertritt (vgl. ThLZ 129 [2004], 1019–1044), gehört die Sammlung der Katholischen Briefe und deren Verbindung mit dem Corpus Paulinum zu den überaus bedeutsamen Vorgaben der Alten Kirche. Eine Theologie des Neuen Testaments, die sich nicht in einen Katalog neutestamentlicher Theologien flüchtet, wird sich mit dieser spannungsreichen Zusammenstellung und dazu mit dem Buch N.s befassen müssen.