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Ausgabe:

Januar/2009

Spalte:

66-68

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Miura, Yuzuru

Titel/Untertitel:

David in Luke-Acts. His Portrayal in the Light of Early Judaism.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2007. XX, 305 S. gr.8° = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2. Reihe, 232. Kart. EUR 59,00. ISBN 978-3-16-149253-2.

Rezensent:

Hans Klein

Die in Aberdeen bei Andrew Clarke im Jahr 2005 angenommene Doktordissertation geht von der Beobachtung von Fr. Bovon aus dem Jahre 1978 aus, dass es keine Untersuchung zur Person Davids in den lukanischen Schriften gibt. Diese Lücke zu schließen, hat sich der Vf. vorgenommen, und zwar, wie der Untertitel zeigt, vom Hintergrund des frühen Judentums her. Demzufolge unterteilt er seine Studie nach einer kürzeren Einleitung in zwei Hauptteile, wobei er im ersten die Sicht der Gestalt des David im Alten Testament und im frühen Judentum ins Auge fasst und sich dann im zweiten den Texten des Lukas (Evangelium und Apostelgeschichte) zuwendet.
Diese Einteilung lässt bereits erkennen, dass der Vf. die übrigen Texte des Neuen Testaments nicht ins Auge fasst. Das ist angesichts des Ausmaßes der Beschäftigung mit den Texten des Alten Testaments und des Judentums von der Themastellung her zwar verständlich, aber dennoch verwunderlich. Der Vf. will sich den Texten von der Redaktion her und im Sinne eines literary criticism nähern (11), ist also bestrebt, die lukanischen Texte im Lichte des frühen Judentums, nämlich der Bibel und der außerbiblischen Literatur auszulegen, wobei er mit »Bibel« den Text der Septuaginta meint (11). Man kann vermuten, dass dies darum geschieht, weil Lukas und seine Leser die LXX zur Hand hatten; aber auch in diesem Falle bleibt offen, warum er sich so einschränkt, wenn er die Qumran-Texte und die frühen Targumim zu Rate zieht. Der Vf. sieht Lukas offensichtlich in einer Tradition aus dem Judentum ins frühe Christentum, dass er auch in einer christlichen Tradition steht, wird ausgeklammert.
Der erste Teil (14–138) ist in sechs Kapitel untergliedert. Darin wendet sich der Vf. zunächst der Gestalt des David in den historischen Schriften, Samuel-Bücher, Chronik, Esra und Nehemia (14–29), den Prophetenbüchern (29–32) und den Psalmen (32–41) zu, bespricht dann die entsprechenden Texte in den Apokryphen und Pseudepigraphen (44–69), untersucht die diesbezüglichen Aussagen in den Qumrantexten (69–88) und bei den hellenistischen Schriftstellern Philo und Josephus (89–101) sowie in den Targumim und der frühen rabbinischen Literatur (102–117). Das sich ihm ergebende Bild fasst er in einem gesonderten Kapitel (118–138) zusammen, das die Darstellung der Person des David in vielfältigen Facetten erscheinen lässt: David als Auserwählter, als frommer, kriegerischer und gerechter König, als religiöse Autorität verglichen mit Mose und Salomo, als Sünder und Psalmdichter, als Modell für die Juden, als Prophet und endlich als Anzeiger des erwarteten Messias.
Der zweite Teil (140–242) hat drei Kapitel, in denen zunächst die Texte der Apostelgeschichte (140–198) und dann jene des Lukasevangeliums (199–233) näher betrachtet werden. Eine Zusammenfassung (234–242) ordnet die erarbeitete Darstellung des Lukas systematisch, wobei David als der ideale König, als religiöse Autorität, im Vergleich zu Mose und Salomo, als Psalmendichter, als Vorbild für die Juden, als Prophet und als Anzeiger des kommenden Messias gekennzeichnet wird. Das Modell am Abschluss des ersten Teiles wird somit auf die Darstellung des Lukas übertragen, von wo aus die lukanische Darstellung nochmals beleuchtet wird. Ab­schließend (241 f.) fasst der Vf. sein Ergebnis in sechs Thesen zusammen, die gleichzeitig die Forschung weiterführen wollen.
Es handelt sich zweifellos um eine fleißige Arbeit, die erstmals die vielfältigen Texte mit ihren ganz unterschiedlichen Ausrichtungen zusammenstellt und sich um ein einigermaßen kohärentes Bild bemüht. Es ist dem Vf. zu danken, dass er die Sicht Davids aus den Samuel- und den Chronikbüchern in einer relativ kurzen Darstellung zusammenfasst, dass er alle Texte des frühen Judentums, soweit sie erreichbar sind, heranzieht und damit ein Bild dieses großen Königs im Wandel der Geschichte aufzeigt. Dass es dabei zu Verkürzungen kommen muss, ist jedem Bibelausleger bewusst. Es ist immer schwer, Erzählungen systematisch zu ordnen, und bei solch einem Unternehmen fallen notgedrungen einige Einzelheiten heraus. Darum verwundert es nicht, dass sich der Vf. zur Darstellung Davids in den Samuelbüchern der drei Hymnen bedient, die er in 1Sam 2; 2Sam 22 und 23 findet und die er als Zusammenfassung der Darstellung des David ansieht. Inwieweit er dabei mit dem Hannalied (1Sam 2) die richtige Entscheidung getroffen hat, kann man fragen, es spricht immerhin in 2,10 vom »König« und vom »Horn des Gesalbten«. Und die Texte, die er auf S. 17 nebeneinanderstellt, haben eine gewisse sprachliche Verwandtschaft untereinander.
Trotz solcher systematischer Tendenzen zeigt der Vf. den Wandel des Davidbildes im Laufe der Geschichte auf und erklärt auch, warum sich dieses Bild mit der Zeit ändern musste. Die systematische Darstellung freilich im letzten Kapitel des ersten Teiles macht dann doch auch deutlich, dass der Vf. die verschiedenen Bilder Davids eher zusammen sehen möchte. Der Gedanke eines sich notwendig wandelnden Davidbildes je nach den Bedürfnissen der jeweiligen Zeit, ist ihm nicht sehr wichtig. Darum kann er z. B. Jes 9; 11 und Mi 4 zusammen sehen und auf den davidischen Messias beziehen, wiewohl Jes 11 von dem König aus Isai spricht, die davidische Wurzel also beiseiteschiebt. Aber hier befindet sich der Vf. in der Auslegungsgeschichte der christlichen Tradition. Leider be­zieht er sich für die rabbinische Zeit weitgehend auf Ginzbergs Legends und stützt sich nicht auf die Originaltexte.
Solche systematische Einordnung von Texten zeigt sich auch bei der Auslegung der entsprechenden Stellen in den lukanischen Schriften. Der Vf. geht nur sehr begrenzt auf die jeweiligen Texte mit ihren Eigenarten innerhalb ihres Kontextes ein, konzentriert sich vielmehr auf die Elemente, die ihm von seiner Sicht des Alten Testaments und des frühen Judentums wichtig geworden sind. So sieht er im Magnifikat wie im Hannalied einen Text für den künftigen Davidsohn. Das mag man hinnehmen, sosehr andere Deutungen näherliegen. Wenn er aber meint, der Sturz der Mächtigen (Lk 1,51–54) setze davidischen Hintergrund voraus, weil mehrere Wörter mit solchen aus 1Sam 22 f. übereinstimmen, und nicht erkennt, dass hier ein Handeln Gottes im Zusammenhang mit der Geburt des Gottes- und Davidsohnes vorliegt und nicht eines des Davidsohnes selbst, macht das schon ein wenig nachdenklich. Fraglich wird dann, ob Lk und seine Leser tatsächlich die Feldrede (Lk 6,20–49) mit der Davidsohnschaft zusammen gesehen haben, wie das der Vf. auf S. 218 f. auslegt, weil sie den leidenden Gerechten zeichne. Der Hinweis auf einen unter Saul leidenden David (216 f.) reicht doch wohl nicht aus, um eine Parallele zu Jesus zu entdecken. Endlich ist der Vf. bestrebt, die Davidsohnschaft und das Herr-Sein Jesu zusammen, d. h. nebeneinander und somit gleichwertig zu sehen, und interpretiert dementsprechend den Text Lk 20,41–44, der doch wohl eindeutig das Herr-Sein Jesu über seine Davidsohnschaft stellt.
Der Vf. hat sich nicht genügend Rechenschaft darüber gegeben, dass Lk an Griechen schreibt, die die LXX, wenn überhaupt, nur teilweise kennen und nicht von jüdischen Voraussetzungen her zu denken gewohnt sind. Er hat das wohl im Ansatz begriffen und darum die LXX zum Angelpunkt seiner Untersuchungen gemacht, aber er hat nicht danach gefragt, was Lukas oder seine Leser davon wissen konnten. Und er hat sich nicht der Mühe unterzogen, zu fragen, in welcher Tradition Lukas selbst stand. Dass er Mk kannte, sagt der Vf. zwar (11), macht aber nicht ernst damit, dass die markinischen Texte seine Tradition waren. Dasselbe gilt auch zumindest für die Stephanusrede Apg 7, die Lukas wohl doch zum größten Teil aus der Tradition übernommen hat und die ein anderes Bild der israelitisch-jüdischen Tradition zeigt als die Reden des Petrus (Apg 2) und des Paulus (Apg 13). Auch die Tatsache, dass Ps 109 LXX in Lk 20 und in Apg 2 verschieden nuanciert herangezogen wird, hat den Vf. nicht bewogen, der Frage der christologischen Auslegung dieses Psalms im frühen Christentum nachzugehen. Natürlich kann man davon ausgehen, dass der Text in Lk 20 von Jesus und der in Apg 2 von Petrus stammt und dass sie zum Verständnis jüdische Texte heranziehen, aber Lk und seine Leser standen der jüdischen Tradition kaum so nahe, wie der Vf. postuliert (144).
Dies alles hängt auch damit zusammen, dass der Vf. die Ergebnisse der deutschen Bibelauslegung nicht kennt. Er führt zwar zuweilen einige deutsche Forscher an, ist aber mit deren methodischen Voraussetzungen und den daraus folgenden Erkenntnissen nicht vertraut. Das muss man ihm nicht vorwerfen. Er kommt aus einer anderen Schule. Problematisch ist für mich allerdings, dass er die Einzelheiten der biblischen Texte nicht genügend bedenkt und den Texten zu schnell systematische Einsichten überstülpt.
Auch die gewählte Methode hat ihre Schattenseiten. Der Vf. sagt sehr deutlich, dass es ihm um die synchrone Sicht und nicht um die diachrone geht. Aber ist eine solche Engführung möglich, wenn man zumindest die historischen Texte des Alten Testaments in einer Abfolge sehen muss und sich bei der Darstellung der frühjüdischen Zeit deutliche Veränderungen des David-Bildes ergeben? Eine diachrone Untersuchung derselben Texte hätte ein viel differenzierteres David-Bild ergeben. Dieses herauszustellen, bleibt einer künftigen Untersuchung vorbehalten, für welche diese Studie aber eine nicht zu vernachlässigende Vorarbeit geleistet hat.