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Ausgabe:

Januar/2009

Spalte:

58-61

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Böttrich, Christfried, u. Jens Herzer [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Josephus und das Neue Testament. Wechselseitige Wahrnehmungen. II. Internationales Symposium zum Corpus Judaeo-Hellenisticum 25.–28. Mai 2006, Greifswald. Unter Mitarbeit v. T. Reiprich.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2007. XVIII, 615 S. m. Abb. gr.8° = Wis­sen- schaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 209. Lw. EUR 129,00. ISBN 978-3-16-149368-3.

Rezensent:

David du Toit

Vom 25. bis 28. Mai 2006 fand in Greifswald das 2. Symposium zum Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti (CJHNT) zum Thema »Das Neue Testament und Josephus: Wechselseitige Wahrnehmungen« statt. Die Tagungsleitung konnte für das Symposium hervorragende Josephuskenner wie J. Barclay, Ch. Begg, S. Mason und A. Whealey sowie Experten zu Spezialfragen wie z. B. J. Price (Zerstörung des 2. Tempels), D. Schwartz (Pharisäer), B. Kühnel (Europäische Kunstgeschichte) und E. Hansack (Slavische Josephus-Überlieferung) gewinnen. Der interdisziplinären Konzeption des CJHNT entsprechend war das Fach Neues Testament durch eine Reihe ausgewiesener Kenner des Verhältnisses des frühen Christentums zum (hellenistischen) Judentum vertreten (z. B. K.-W. Niebuhr, R. Deines, Ch. Böttrich, J. Zangenberg, J. Herzer u.a.), darunter auch Ch. Gerber, F. Siegert und M. Vogel, die zu­gleich anerkannte Josephus-Experten sind. Eine solch renom­mierte Runde macht neugierig auf die Ergebnisse, die nun von Ch. Bött­rich und J. Herzer hier veröffentlicht wurden.
In dem Band sind, neben einer Einleitung durch die Herausgeber, die in die Fragestellung der Tagung einführt (3–11), 21 Aufsätze und vier Kurzbeiträge gesammelt. Den Kern des Buches bilden sieben Aufsatzpaare (Teil II/1: 71–428), die in derselben Reihenfolge als Paarvorträge beim Symposium gehalten wurden und jeweils ein Thema aus der Perspektive der Josephus- und Neues Testament-Forschung beleuchten. Dazu kommen zwei Aufsätze durch S. Mason und K.-W. Niebuhr als Standortbestimmungen (Teil I: 15–70), ferner fünf Einzelbeiträge (Teil II/2: 429–518) sowie drei kleinere Beiträge, die aus der gemeinsamen Textlektüre beim Symposium resultierten (Teil III: 519–546). Abgeschlossen wird der Band mit einem Autorenverzeichnis und umfangreichen Stellen-, Autoren-, Sach- und Namenregis­tern und einem griechischen Wortregister (546–615).
Zu den einzelnen Beiträgen: Im ersten Beitrag (15–48) bietet Steve­ Mason einen sehr klaren problemgeschichtlichen Überblick über die Geschichte einer unkritischen Verwendung von Josephus als zeitgeschichtlicher Quelle in der Bibelforschung, die er anhand von Pontius Pilatus illustriert. Mason zeigt, dass neuere Einsichten in die Erzähltechniken des Josephus erfordern, dass die Rekonstruktion historischer Ereignisse auf Grund der Werke des Josephus nur auf Grund vor- und umsichtiger Interpretation des Josephus gelingen kann und dass eine verlässliche Rekonstruktion in jenen Fällen, wo keine anderen Darstellungen vorliegen, sogar unmöglich sein dürfte. Er regt an, Josephus als zeitgleichen Vergleichstext der neutestamentlichen Schriften künftig in erster Linie eher für heuristische Zwecke hinsichtlich philologischer Fragen, der Gattungsproblematik, der Theologie bzw. Ideologie und der Rhetorik der jeweiligen Schriften heranzuziehen. K.-W. Nie­buhr erörtert in seinem Beitrag (49–70) methodische und sachliche Grundfragen, die mit der Fragestellung der wechselseitigen Wahrnehmung gegeben sind, und illustriert dies anhand der Thematik von Tod und Leben in den beiden Textgruppen. Auf diese Standortbestimmungen folgen die sieben Aufsatzpaare:
1. Das erste Paar behandelt das Testimonium Flavianum: A. Whealey (73–116) stellt in einer umfangreichen Abhandlung die interessante Hypothese auf, dass das Testimonium Flavianum (Ant XVIII 63 f.) durch Euseb von Caesarea gefälscht wurde. Sie belegt dies mit einer detaillierten vergleichenden Analyse der relevanten Texte bei Euseb und Josephus. F.-W. Horn untersucht das Testimonium aus neutestamentlicher Sicht und kommt mit sorgfältigen und abgewogenen Argumenten zu ganz anderen Ergebnissen: Das Testimonium sei zweifelsfrei ein nicht-christliches Zeugnis, das mit christlichen Zusätzen eusebianischer Prägung versehen wurde.
2. Das zweite Paar hat die Pharisäer zum Thema. D. Schwartz argumentiert (137–146) auf Grund eines Vergleiches von Bell I 648–650 und Ant XVII 149–151, dass man hier die Entwicklung von Josephus zu einem Diaspora-Juden erkennen kann und dass er im späteren Werk Pharisäer als Exemplare jenes Typus von Juden darstellt, die er in Rom in der Diaspora kennenlernte, die sich hinsichtlich ihrer Identität in der Diaspora weniger an Land und Herkunft, sondern vielmehr am Gesetz orientierten. Obwohl diese Darstellung anachro­nistisch ist, hat Josephus damit doch die Essenz pharisäischer Religiosität getroffen. R. Deines (147–180) fragt danach, wie neutestamentliche Autoren und Josephus das Verhältnis zwischen den Pharisäern und anderen Angehörigen der jüdischen Gesellschaft darstellen. Seine Hypothese lautet, dass sich die gesellschaftlichen Interessen der Pharisäer in erster Linie an den breiten Volksschichten orientierten: Sie wollten auf deren religiöses (nicht politisches!) Verhalten Einfluss nehmen und zielten auf die Akzeptanz ihres Anliegens durch die Mehrheit des Volkes. Deines belegt seine These mit überzeugenden Argumenten anhand der Pharisäer-Darstellungen in Q, Mk und in Josephus’ Bellum.
3. Das nächste Paar beschäftigt sich mit der Zerstörung des Tempels. In einem sehr lesenswerten Aufsatz (181–194) analysiert J. Price die theologische Beurteilung der Tempelzerstörung durch Josephus, während M. Konradt die Deutung der Zerstörung Jerusalems und des Tempels im Matthäusevangelium untersucht (195–232). Dabei versucht er m. E. mit guten Argumenten plausibel zu machen, dass das im Mt konstruierte Bild von Jerusalem und seiner Zerstörung entscheidend durch intertextuelle Bezüge zum Jeremia-Buch geprägt ist. Konradt schließt seinen Beitrag, indem er die Deutungen der Tempelzerstörung von Matthäus und Josephus vergleicht.
4. Das vierte Paar behandelt die intertextuellen Bezüge bei Josephus und im Neuen Testament zu den alttestamentlichen Jesaja-Erzählungen bzw. dem Jesajabuch. Ch. Begg (233–243) untersucht die spärlichen Jesaja-Erzählungen bei Josephus und zeigt, dass dieser Jesaja vor allem als verlässlichen Propheten künftiger Entwicklungen im Bereich des Tempelkults präsentiert, ferner, dass Josephus sich weder auf die im Neuen Testament verwendeten Jesaja-Texte noch auf jene Jesaja-Texte bezieht, die in den Schriften des Judentums des Zweiten Tempels eine zentrale Rolle spielen (Jes 6; 10 f. und die Gottesknechtslieder). F. Wilk (245–264) bietet eine sehr nützliche Systematisierung der neutestamentlichen Jesaja-Bezüge, indem er die Bezüge analysiert und in fünf Themengruppen einteilt.
5. Das nächste Aufsatzpaar hat Galiläa zum Thema. J. Zangenberg (265–294) behandelt das Verhältnis von Josephus und der Archäologie als Quellen historischer Erkenntnisse über Galiläa. Wie S. Mason betont er, dass ein unkritischer Gebrauch der Aussagen des Josephus über Galiläa oder ein naives Vertrauen in seine tatsächliche oder angebliche Augenzeugenschaft nicht an­gebracht ist, da die neuere Forschung zeigt, dass die geographischen Darstellungen des Josephus gänzlich von Darstellungskonventionen antiker Historiographie bestimmt sind. In einem weiteren Gang zeigt Zangenberg an drei Fragestellungen die Interdependenzen zwischen Archäologie und Josephus-Forschung auf. Ch. Böttrich (295–333) wiederum lässt – nach einigen Schlaglichtern auf Aspekte der Forschungsgeschichte über Galiläa – die neu­tes­tamentlichen Aussagen zu Galiläa unter vier Rubriken (»Zuordnungen«, »Wertungen«, »Schauplätze«, »Ereignisse«) Revue passieren und zeigt, wie Josephus jeweils dazu beitragen kann, die neutestamentliche Perspektive zu erweitern.
6. Das sechste Aufsatzpaar beschäftigt sich mit dem Thema Antijudaismus bzw. Judenfeindlichkeit. Ch. Gerber interpretiert in ihrem Aufsatz (335–363) den Titusbrief vor dem Hintergrund von Josephus’ Apologie gegen Antijudaismus in Contra Apionem und zeigt überzeugend, dass der Autor sich stereotyper judenfeindlicher Polemik bedient, um seine Leser und Leserinnen von einer judenchristlichen Version des Christentums fernzuhalten. Ihr zu­folge stoßen wir hier auf eine Wurzel christlichen Antijudaismus. In seinem Aufsatz (365–385) argumentiert J. Barclay u. a. auf Grund der in Contra Apionem zitierten Beispiele judenfeindlicher Polemik, dass man zwei vorchrist­liche kulturelle Paradigmen unterscheiden kann, in deren Rahmen Judenfeindlichkeit in der Antike zum Ausdruck kam, ein ägyptisches und ein hel­lenistisches, deren Charakteristika er beschreibt. Anhand von 1Thess 2,14–16 identifiziert er eine neue Spielart antiker Judenfeindschaft, die zwar Elemente des hellenistischen Paradigmas aufnimmt, aber eine neue kulturelle Logik darstellt, die Judenfeindschaft generiert.
7. Das letzte Paar ist ein »odd couple«, denn ein gemeinsames Thema ist nicht ersichtlich. In einem Beitrag (387–399), der im Vergleich zu den anderen völlig aus dem Rahmen fällt, versucht F. Siegert sich an einem kritischen Dialog mit Josephus über dessen in Contra Apionem durchgeführte Apologie zu Gunsten des Judentums. In seinem Beitrag (401–428) begründet K. Backhaus mit guten Argumenten die These, dass Lukas in der Apg das Vergangenheitsbild des Christentums kanonisiert, indem er das entstehende Christentum in die biblisch-jüdische Urgeschichte einzeichnet und es als die geschichtliche Größe darstellt, die dazu berufen ist, diese Urgeschichte zu wahren. In den vier Einzelbeiträgen beschäftigt sich J. Herzer (429–450) mit sozialgeschichtlichen Aspekten des Pilatusbildes bei Josephus und im Neuen Testament, K.-H. Ostmeyer (451–468) fragt in einer vergleichenden Studie nach der literarischen Funktion von Genealogien in Josephus’ Vita und den Synoptischen Evangelien, während B. Kühnel (469–494) in einem interessanten und zu Illustrationszwecken mit vielen Abbildungen versehenen Aufsatz die christliche Bildexegese des Josephus in Mittelalter beschreibt. In einem informativen Aufsatz beschreibt E. Hansack (495–512) die charakteristischen Merkmale der slavischen Josephus-Überlieferung und erläutert ihre Entstehungsgeschichte. Es folgen noch vier Kurzbeiträge (513–546) zu einer Version von Mt 2,16 in der slavischen Josephus-Überlieferung (A. Alekseev), zur Darstellung der Philosophenschulen bei Josephus (M. Weissenberger), zu Josephus’ Präsentation des jüdischen Glaubens in Contra Apionem (D. Hansen) und zu Sterbeszenen bei Josephus und im Neuen Testament (M. Vogel).
Herausgebern und Verlag ist für diesen sehr informativen und drucktechnisch tadellosen Band zu danken. Das Buch ist allen, die sich mit Fragen neutestamentlicher Zeitgeschichte und/oder mit Flavius Josephus beschäftigen, herzlichst als Lektüre zu empfehlen.