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Ausgabe:

Januar/2009

Spalte:

38-40

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Grohmann, Marianne

Titel/Untertitel:

Fruchtbarkeit und Geburt in den Psalmen.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2007. XII, 370 S. gr.8° = Forschungen zum Alten Testament, 53. Lw. EUR 89,00. ISBN 978-3-16-149326-3.

Rezensent:

Kathrin Liess

Die an der Wiener Universität entstandene Habilitationsschrift widmet sich der Frage, in welchen Bildern in den Psalmen von Geburt und Fruchtbarkeit gesprochen wird. Mit dieser Fragestellung reiht sie sich ein in das zunehmende Interesse der gegenwärtigen Psalmenexegese an anthropologischen Themen sowie an der Bildsprache (vgl. z. B. P. Riede, Im Netz des Jägers. Studien zur Feindmetaphorik der Individualpsalmen, 2000; D. Bester, Körperbilder in den Psalmen. Studien zu Psalm 22 und verwandten Texten, 2007) und knüpft zugleich an altorientalische Forschungen zum Thema »Geburt« an (vgl. M. Stol, Birth in Babylonia and the Bible, 2000).
Bemerkenswert ist der innovative methodische Zugang zu den Psalmentexten, den G. in der Einleitung (1–26) in »Hermeneutischen Vorüberlegungen« (3 ff.) darlegt. Sie will historisch-kritische und literaturwissenschaftlich-ästhetische Exegese verbinden und legt dabei den Schwerpunkt auf eine rezeptionsorientierte Psalmenlektüre. In Aufnahme von Ansätzen der Rezeptionsästhetik, Intertextualitätskonzepten sowie metapherntheoretischen Überlegungen von P. Ricœur und R. Zimmermann legt G. ihrer Psalmenauslegung den Ansatz einer rezeptionsorientierten Intertex­tualität zu Grunde mit dem Ziel, unterschiedliche Facetten und Bedeutungsaspekte der Geburtsbilder zusammenzutragen: »Es geht nicht darum, die einzig richtige Bedeutung eines Sprachbildes in ihrem ursprünglichen Kontext herauszufinden – was nie möglich sein wird –, sondern gerade die Vielstimmigkeit von unterschiedlichen Auslegungsmöglichkeiten als Chance zu sehen, un­ter­schied­liche Seiten von Sprachbildern zu beleuchten« (20). Diesem Ansatz – und dem bisherigen Forschungsinteresse von G. (vgl. ihre Dissertation »Aneignung der Schrift. Wege einer christlichen Re­zeption jüdischer Bibelhermeneutik«, 2000) – entsprechend liegt bei der Betrachtung der Rezeptionsgeschichte der jeweiligen Texte der Schwerpunkt auf jüdischer Bibelexegese, denn sie praktiziere, »was (post)moderne Intertextualitätskonzepte formulieren« (5). Die christliche Wirkungsgeschichte wird demgegenüber nur knapp behandelt.
Den hermeneutischen Vorüberlegungen folgt in zwei Haupt­kapiteln eine sorgfältige sprachliche Analyse ausgewählter Psalmen(-verse) zum Thema Geburt und Fruchtbarkeit nach folgenden »Methodischen Leitlinien« (24 ff.): syntaktische Analyse (formale Struktur), semantische Analyse (Bedeutungs- und Sinnspektrum einzelner Geburtsbilder), Analyse der Sprachbilder in ihrem Kontext (Psalter, Hebräische Bibel, altorientalische Umwelt), Untersuchung der »metaphorischen Interaktion« (Beschreibung der vielfältigen Bedeutungsmöglichkeiten von Sprachbildern in ihrem je­weiligen Kontext) und pragmatische Analyse (Wirkpotential von Sprachbildern; Beispiele der Rezeption von Sprachbildern in jü­discher und christlicher Auslegungstradition).
Unter der Überschrift »Geburt zwischen Anthropologie und Theologie« widmet sich Kapitel 2 (27–150) den Geburtsbildern als einem »Bereich, in dem Mensch und Gott intensiv in Beziehung treten, wo also Anthropologie und Theologie aufeinander treffen« (2). Dies gilt besonders für das Thema »Geburt und Menschenschöpfung« (Ps 139,13–16) (27–50), das den Beginn der Gottesbeziehung im Mutterleib beschreibt (transzendentale Dimension des alttestamentlichen Menschenbildes). Es folgen zwei Abschnitte, die die Geburtsmotivik in Bezug auf Gott untersuchen und die weibliche Seite im Gottesbild überzeugend herausarbeiten: »Gott als Hebamme« (Ps 22) (50–69) und »Geburt aus Gott« (Ps 2,7; 90,2 sowie der textlich schwierige Ps 110,3) (70–117). Damit wendet sich G. der lange verdrängten und auf Grund ihres Anthropomorphismus als anstößig empfundenen Vorstellung vom gebärenden Gott zu. Weibliche Züge im Gottesbild thematisiert auch der folgende Abschnitt »Geburt als Aspekt der Körpersprache der Psalmen« (117–131), der die Begriffe für Körperteile, die am Geburtsvorgang beteiligt sind, analysiert. Besonders positiv hervorzuheben ist hier die Beschreibung des Zusammenhangs von ræḥæm (Gebärmutter) und raḥamīm (Erbarmen), die zeigt, dass Erbarmen »nicht nur eine elterlich-fürsorgliche Eigenschaft Gottes, sondern ein Aspekt der weiblichen Seite Gottes« ist (130). Eine Zusammenstellung dessen, was sich aus den Psalmen über die »Realia« zu Zeugung/Empfängnis, Schwangerschaft und Geburt ergibt (132–142), sowie ein Überblick über das Thema »Geboren-Werden in eine Ge­nerationenfolge« (142–150), das besonders die soziale Dimension der alttestamentlichen Geburtsthematik deutlich macht, schließen diesen Teil ab.
Das 3. Kapitel »Ambivalenzen der Fruchtbarkeit« (151–305) be­leuchtet das Spannungsfeld zwischen der hohen Bewertung der Fruchtbarkeit als Inbegriff von Segen und ihren Schattenseiten, Unfruchtbarkeit und Fehlgeburt. Die Ambivalenz der Fruchtbarkeit zeigt sich bereits im ersten Abschnitt »Zur Bedeutung von Fruchtbarkeit« (151–186), die einerseits als Segen (reiche Nachkommenschaft), andererseits als Thema der Feindpolemik (Ausrottung der Nachkommenschaft u. a.) betrachtet wird (Ps 21,11; 37,25–28; 72,16; 105,24; 107,33–38; 127,3–5; 128,3). In den Kontext der Feindpolemik gehört auch das Bild vom »Gebären von Unheil« (Ps 7,15), dem ein eigener Abschnitt gewidmet ist (186–210). Weitere Aspekte der Ambivalenz der Fruchtbarkeit zeigen sich nach G. in der Bedeutung der Wehen zwischen Erschütterung und Stärke (Ps 29,8–9; 48,6–7) (210–227) sowie in den Themen Fehlgeburt (Ps 35,12; 58,4.9; 144,14; 22,20–32) (227–271) und Unfruchtbarkeit (Ps 113,9) (271–305). Diese beiden letzten Abschnitte bilden besondere Schwerpunkte des Kapitels und werden um Ausblicke auf die Themen Fehlgeburt und Unfruchtbarkeit in der Hebräischen Bibel und der altorientalischen Umwelt ergänzt.
Das abschließende Kapitel 4 »Auswertung« (307–331) bietet zu­sam­menfassende Überlegungen zu »Fruchtbarkeit und Geburt zwischen Erfahrung und Bildersprache«, fragt nach den Funktionen der Rede von Fruchtbarkeit in den Psalmen sowie den Implikationen für die alttestamentliche Anthropologie und Theologie. Dabei verweist G. im Hinblick auf die Anthropologie besonders auf die Mehrdimensionalität des alttestamentlichen Menschenbildes, denn in den Geburtsaussagen verschränken sich die körperliche, personale, soziale und transzendentale Dimension (316); im Hinblick auf die Theologie betont sie die weiblichen Züge im Gottesbild, die sich aus den Geburtsaussagen ergeben. Diese Relativierung der Geschlechtergrenzen zeige sich jedoch nicht nur im Gottesbild, sondern auch auf anthropologischer Ebene, indem Männer Subjekte von Geburtsaussagen sein können. Einen aktuellen Bezug bilden die Überlegungen zur Bedeutung von alttestamentlichen Geburtstexten in der gegenwärtigen Bioethik-Diskussion (321–331). Stellen-, Namen- und Sachregister schließen den Band ab.
Mit ihrer Monographie hat G. einen wichtigen Beitrag zur Psalmenforschung und zur Anthropologie des Alten Testaments vorgelegt. Sie hat das Thema Geburt und Fruchtbarkeit breit gefächert behandelt, indem sie eine Vielzahl von Psalmen(-versen) analysiert und so die verschiedenen Aspekte des Themas überzeugend erarbeitet. Durch ihren methodischen Zugang mit dem Schwerpunkt auf der rezeptionsorientierten Intertextualität gelingt G. ein neuer Blick auf so manche Texte, ohne dass sie die Fragestellungen der historisch-kritischen Exegese gänzlich aus dem Blick verliert – wenn auch diese historischen Fragestellungen zum Teil ausführlicher hätten thematisiert werden können (so sind z. B. die einleitenden Bemerkungen zu Datierung, Gattung etc. zum Teil sehr knapp). Indem G. die Offenheit der Psalmensprache berücksichtigt, ergeben sich neue Facetten und Bedeutungsaspekte, und ihre »Spurensuche« (306) nach Bildern von Geburt und Fruchtbarkeit, die die Vielschichtigkeit der hebräischen Wurzeln ernst nimmt, deckt zum Teil durch Übersetzungen und bisherige Auslegungen verdeckte Geburtsbilder auf. Zugleich beinhaltet diese Offenheit aber auch ein methodisches Problem: Wo liegt die Grenze zur Beliebigkeit von Deutungen und Assoziationen? (So bleibt m. E. z. B. die Interpretation von Ps 22,30 als Gotteslob von Fehlgeburten problematisch.) G. ist sich dessen aber immer bewusst und formuliert entsprechend vorsichtig.
Weiterführend sind die Implikationen der Psalmentexte zu Geburt und Fruchtbarkeit für die alttestamentliche Anthropologie und Theologie (Mehrdimensionalität des alttestamentlichen Menschenbildes; Relativierung der Ge­schlechtergrenzen; weib­liche Züge im Gottesbild), die einen wichtigen Ertrag dieser lesenswerten Studie bilden.