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Ausgabe:

Januar/2009

Spalte:

31-33

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Osburn, Carroll D.

Titel/Untertitel:

The Text of the Apostolos in Epiphanius of Salamis.

Verlag:

Atlanta: Society of Biblical Literature 2004. XIV, 283 S. gr.8° = The New Testament in the Greek Fathers, 6. Kart. US$ 34,95. ISBN 1-58983-139-X.

Rezensent:

Oliver Weidermann

Um die in neutestamentlichen Handschriften überlieferten Lesarten räumlich und zeitlich einordnen zu können, ist eine genaue Kenntnis des Bibelgebrauchs durch (früh)christliche Theologen grundlegend. Für den Bischof und Häresiologen Epiphanius von Salamis († 403) hat dies Carroll D. Osburn, Mitherausgeber der Apos­telgeschichte in der Editio Critica Maior des Novum Testamentum Graecum, unternommen. Seine Untersuchung The Text of the Apostolos in Epiphanius of Salamis ist 2004 als Band 6 der Reihe The New Testament in the Greek Fathers (hrsg. v. Michael W. Holmes) erschienen. Mit der Materie und dem zyprischen Bischof ist O. gleichermaßen vertraut: 1974 veröffentlichte er seine Dissertation über den Text der Paulusbriefe, wie er bei Epiphanius bezeugt ist. Nun er­weitert er den Rahmen seiner früheren Untersuchung um die Apostelgeschichte und die Katholischen Briefe. Die wenigen Zeugnisse der Johannesapokalypse im Werk des Epiphanius bleiben hingegen mangels Auswertbarkeit völlig zu Recht unberück­sichtigt (39).
O.s erneute Beschäftigung mit Epiphanius liefert reichen Er­trag: Für die einzelnen Schriftgruppen des Apostolos bietet Epi­phanius nicht wie allgemein angenommen durchgängig einen Byzantinischen Text, sondern hat auf jeweils unterschiedliche Textformen zurückgegriffen. Dass er zudem im Laufe seines Lebens verschiedene Bibeltexte verwendet habe, lässt sich nicht nachweisen. Die Belege der ersten zwölf Kapitel der Apostelgeschichte bei Epiphanius charakterisiert O. als Spätägyptischen Text (entspricht hauptsächlich den späten Zeugen des Alexandrinischen Texts bzw. der Kategorie 1 nach K. u. B. Aland, Text des Neuen Testaments, 19892), ebenso die der Paulusbriefe. Für Anspielungen und Zitate der Kapitel 13–28 der Apostelgeschichte stellt O. eine größere Nähe zum Text der Familie 1739 fest. Insgesamt bezeugt Epiphanius für diese Teile des Apostolos also (spät)ägyptischen Text, wie er für den östlichen Mittelmeerraum des 4. Jh.s üblich sei. Lediglich in den Katholischen Briefen findet sich Byzantinischer Text.
Soweit die Zusammenfassung der Ergebnisse in Kapitel 7; voraus gehen sechs Kapitel straffer und konzentrierter Untersuchung: Nach den üblichen Einleitungsfragen zu Epiphanius und seinem Umgang mit der Schrift in Kapitel 1 folgt in Kapitel 2 (23–168) der größte Abschnitt des Buches: Zunächst beschreibt O. kurz die neutestamentlichen Textformen zur Zeit des Epiphanius und stellt methodische Überlegungen über die textgeschichtliche Auswertbarkeit patristischen Bibelgebrauchs an, bevor er eine Übersicht über die von ihm ausgewerteten Teststellen bietet (Apg: 34; Kath: 10; PlsBr: 127). Zog O. in seiner erwähnten Dissertation noch 319 Teststellen in den Paulinen zur Auswertung heran, so reduziert er in der vorliegenden Untersuchung deren Zahl auf 127, indem er grundsätzlich nur Stellen berücksichtigt, an denen eine Lesart von mindestens drei Handschriften seiner Vergleichsgruppen (s. u. zu Kapitel 4–6) bezeugt ist. Die Präsentation des Materials folgt der von Michael Mees, Die Zitate aus dem Neuen Testament bei Clemens von Alexandrien, 1970, grundgelegten (O., 37) und der Publikationsreihe eigentümlichen Weise: Die in Frage kommenden Stellen des Epiphaniustexts werden in der Reihenfolge der neutestamentlichen Schriften mit Variantenapparat und Kommentar geboten. – Eine kurze Darstellung und Bewertung verschiedener Theorien zur Kategorisierung der Textzeugen und ihrer Beziehungen untereinander folgt in Kapitel 3 unter der Überschrift »Methodology of Textual Analysis«.
In den Kapiteln 4–6 finden seine methodischen Überlegungen – er folgt in der Hauptsache Bart D. Ehrman, Didymus the Blind and the Text of the Gospels, 1986, (179 f.) – nun ihre Anwendung: Der Text des Epiphanius für die Apostelgeschichte, die Katholischen und schließlich die Paulinischen Briefe wird jeweils mit verschiedenen Textzeugen bzw. -gruppen korreliert und statistisch ausgewertet. Hierzu vergleicht O. den bei Epiphanius bezeugten Text mit ausgewählten Handschriften, die jeweils für den Byzantinischen Text, den sog. Westlichen Text (außer bei den Katholischen Briefen, für die bekanntermaßen kein Westlicher Text bezeugt ist) und den Ägyptischen Text repräsentativ sind. Letzteren differenziert O. zusätzlich als Alt- und Spätägyptischen Text. Die jeweiligen Übereinstimmungen werden auf S. 188–230 mit Hilfe von 52 bzw. 51 Tabellen (Tabelle Nr. 18 fehlt) statistisch ausgewertet.
An Kapitel 7 »Conclusion« (hier neben den eingangs genannten Ergebnissen weitere Schlussfolgerungen, z. B. auf S. 258, dass der Westliche Text bei griechischen Autoren kaum eine Rolle spielte; hier ist O. prononcierter als noch in seiner Dissertation) schließen sich zwei Appendizes an: Jeweils für den Nestle-Aland27 und das Greek New Testament4 listet O. Stellen auf, an denen im Blick auf Epiphanius als Textzeuge im Apparat Korrekturen (NA: 17 Stellen; GNT: 14) oder Ergänzungen (NA: 77; GNT: 4) gemacht werden sollten, bzw. Stellen, an denen er die Herausgeberentscheidungen der beiden Ausgaben bestätigt (NA: 46; GNT: 31).
Die Untersuchung wird straff und stringent geführt; dabei fällt manches jedoch etwas zu knapp aus: So fehlen ausführlichere Beobachtungen zur Arbeitsweise (Verwendung von Exzerpten, Be­schäftigung von Schreibern), zur Zitiergewohnheit und zu sprachlichen Vorlieben von Epiphanius selbst. Ebenso unbesprochen bleibt die Frage, wie zuverlässig die Epiphaniusschriften und die in ihnen tradierten Bibelzitate im Laufe der Jahrhunderte überliefert wurden. – Die Ergebnisse der Untersuchung basieren wie erwähnt auf einer 1986 durch B. D. Ehrman konkretisierten und seitdem be­währten Methode und sind durchweg erhellend. Dennoch möchte ich die Art der statistischen Auswertung noch etwas hinterfragen: Reichen die jeweils zum Vergleich für eine Textform herangezogenen Zeugen(gruppen) tatsächlich aus?
Beispielsweise gewinnt O. seine, wenn auch zurückhaltend formulierten, Schlüsse zum Text der Katholischen Briefe aus gerade einmal zehn Teststellen mit jeweils neun bzw. sieben Zeugen für den Ägyptischen und den Byzantinischen Text. So wie er für die Acta und Paulinen den Ägyptischen Text nach Alt- und Spätägyptisch differenziert, könnte für die Katholischen Briefe umgekehrt der Byzantinische Text differenzierter betrachtet werden, zumal O. hier für Epiphanius eine große Nähe feststellt. Für diese Differenzierung könnte bequem auf K. Wachtel, Der Byzantinische Text der Katholischen Briefe, 1995, zurückgegriffen werden. Dessen Arbeit hat nicht nur gezeigt, dass die von O. zum Vergleich herangezogenen Handschriften 01 und 02 in den Katholischen Briefen eine starke Tendenz zu Lesarten der Koine aufweisen (Wachtel, 193 f.), sondern wäre auch eine ausgezeichnete Hilfe, bequem weitere Vergleichszeugen zu identifizieren.
Und noch etwas grundsätzlicher gefragt: Wird die ausschließliche Zusammenschau zu Textgruppen den einzelnen Handschriften gerecht? Werden mit einem rein statistischen Verfahren die einzelnen Lesarten letztlich nicht doch nur gezählt, aber nicht in ihrer Unterschiedlichkeit gewichtet? Was ist mit den Stellen, an denen der Mehrheitstext nicht bearbeitet wurde, sondern den ursprünglichen Text bewahrt hat – und Epiphanius eben diesen Text bietet? Sollten diese Stellen, an denen die alternativen Lesarten keine Variante in der Überlieferung, sondern allein eine Sonderlesart darstellen, nicht besser unberücksichtigt bleiben, da sie für die Zuordnung zu einer Textform nicht aussagekräftig sind und so das Ergebnis verwässern?
Die wenigen Flüchtigkeitsfehler stören die Lektüre kaum, ein paar seien abschließend dennoch erwähnt: In der fortlaufenden Nummerierung der Tabellen ist Nr. 18 ausgefallen; als repräsentative Zeugen zu den Katholischen Briefen nennt O. auf S. 208 auch die Handschriften 81 und 1352, die zur Auswertung (Tabellen 19–21) jedoch gar nicht mit herangezogen werden (korrekt dagegen die Liste auf S. 39); 101, Anm. 300: Tippfehler im Harnack-Zitat; 211 f. zweimal Byantine statt Byzantine. Ein Register fehlt.