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Ausgabe:

Januar/2009

Spalte:

25-27

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Hünermann, Peter, u. Joachim Schmiedl [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Der Weg Europas und die öffentliche Aufgabe der Theologien.

Verlag:

Berlin: LIT 2007. IV, 304 S. gr.8° = Theologie Ost – West, 8. Kart. EUR 29,90. ISBN 978-3-8258-0489-3.

Rezensent:

Alexander Heit

Der Band mündet in eine Erklärung des Europäischen Forums für den wissenschaftlichen Dialog der Religionen, in der Theologen der christlichen Kirchen, Islamwissenschaftler und jüdische Religionsgelehrte ihre Absicht bekunden, den europäischen Einigungsprozess in seiner sozialen Dimension begleiten zu wollen. Grundsätzlich geht der Band also von einer zunehmenden Bedeutung der kulturellen und religiösen Dimension für die europäische Integration aus. Insbesondere müsse das Verhältnis der Religionsgemeinschaften zueinander geklärt werden, wenn diese gelingen soll. Zudem sei es von Nöten, das komplexe Geflecht von Staat, Religion und Gesellschaft auf europäischer Ebene zu regeln. Für beides sei die europäische Gesellschaft auf den Diskurs mit den Religionen in ihrer wissenschaftlich reflektierten Form angewiesen, wie sie sich in den Theologien präsentiere. Denn, so einer der Herausgeber – Peter Hünermann – in seiner Einführung zum Band, Theologien haben als ratio fidei die Funktion, den Glauben kommunikationsfähig zu machen. Erst in reflektierter Form könnten die Wahrheitsgeltungsansprüche des Glaubens in einen geordneten und friedlichen gesellschaftsbildenden Diskurs eingetragen werden.
Die 21 Beiträge zwischen der Einleitung und der erwähnten Erklärung sind also in der Absicht zusammengestellt, die Rolle der wissenschaftlichen Theologien für den Einigungsprozess auszuloten. Das geschieht durch die Ordnung der Beiträge unter drei größere Themenkreise: 1. Modelle staatlicher Ordnungen für die Religion und ihre Theologien; 2. Die Religionen und ihre Theologien im gegenwärtigen Feld der europäischen Gesellschaft; 3. Theologien – Wissenschaften – Weisheit. Die Einordnung der einzelnen Beiträge in diese drei Themenkreise ist nicht in jedem Fall un­mittelbar einleuchtend. Zuweilen hat man den Eindruck, einzelne Aufsätze wären besser an anderer Stelle platziert. Auch lässt sich insgesamt keine strenge Systematik bei der Themenwahl ausmachen. Letzteres wäre für einen Band, der im Wesentlichen auf eine Tagung zu einer derart komplexen Materie zurückgeht, vielleicht auch zu viel verlangt. Den Leser erwarten also zum Teil ungeordnete Schlaglichter aus unterschiedlicher Perspektive. Im Folgenden wird lediglich eine exemplarische Auswahl von Aufsätzen erwähnt.
Den Auftakt zum ersten Themenkreis macht ein Beitrag von M. Weninger, politischer Berater des EU-Kommissionspräsidenten, der das christliche Erbe Europas als Faktum festhält, das im Verlauf seiner Geschichte um Einflüsse anderer Religionen und geistiger Bewegungen angereichert worden ist. Religionsgemeinschaften seien vor diesem Hintergrund für den Einigungsprozess Europas gewichtige Akteure. Der systematische Theologe H. Rolfes wendet diese grundsätzliche Einsicht religionspolitisch und wirft die Frage auf, ob Europa sich nicht ein Religionsrecht geben sollte, das dasjenige der Mitgliedsstaaten bündelt und übersteigt. Gesamteuropäische Religionspolitik würde zugleich die institutionelle Re­präsentanz der Religionen auf europäischer Ebene nötig machen. Sollte diese Idee in Zukunft realisiert werden, würde eine neue Dimension des gegenseitigen Umgangs erreicht werden, wie sich am Beitrag des Philosophen W. M. Schröder ablesen lässt. Er macht darauf aufmerksam, dass es bis anhin keine religionsrechtliche Kompetenz auf EU-Ebene gibt. Für diese Enthaltsamkeit der EU gäbe es doppelten Grund: zum einen die bisherige Konzentration des europäischen Projekts auf die ökonomische Integration, zum anderen die Achtung vor den derzeit geltenden nationalen Recht s­traditionen. Schröders Beitrag zielt denn auch nicht auf die Re­duktion von Vielheit auf Einheit in Sachen Religionsrecht. Er meint allerdings, zumindest die Kompatibilität des vielfältigen europäischen Religionsrechts rechtlich festzuschreiben, wäre wün­schenswert. Genau dies wäre durch die religionspolitischen Absichten des nicht angenommenen europäischen Verfassungsvertrags auch realisiert worden. Ein Substitut des Verfassungsvertrags mit ähnlichen Absichten in religionspolitischer Hinsicht müsse zudem im Interesse der Glaubensgemeinschaften liegen, weil der Verfassungsvertrag »wesentliche Statusverbesserungen der Religionsgemeinschaften gegenüber den EU-Institutionen« (120) vorgesehen hätte.
Der Beitrag des Innenministers der Bundesrepublik Deutschland, W. Schäuble, kann allerdings als Ausdruck der besonderen Wertschätzung der zum Teil divergierenden Rechts- und Polittraditionen gelesen werden. Er meint, »eine einheitliche, zentrale europäische Religionspolitik kann und sollte es auch deshalb nicht geben, weil Europa schon immer und heute mehr als jemals ein religiös plurales Gebilde ist.« (134) Die Bewältigung religiöser Pluralität müsse durch jeden Staat auf seine Weise geleistet werden. Im Fall Deutschlands stelle sich dabei u. a. die Frage, inwiefern es ge­linge, die Religionen als Katalysatoren für die Durchsetzung von gesellschaftlich integrativen Werten zu begreifen.
Wie diffizil die Herstellung eines integrativen europäischen Religionsrechts und einer darauf basierenden Religionspolitik sein dürfte, lässt sich auch an den Beiträgen der Dogmatiker E. Conway und A. Birmelé ablesen. Conway schildert die Situation der theologischen Fakultäten in Irland und England. Er kommt zum Schluss, dass vor allem Irland bereit ist, »in die Theologie zu investieren und sie als eine Sinnquelle im Kontext einer aktiven Zivilgesellschaft« (36) zu bewerten. Ganz disparat dazu verhält sich das französische Selbstverständnis, wie Birmelé es zeichnet. An seinem Beitrag lässt sich die Hochschätzung der Laizität in Frankreich ablesen, die bis in die Religionsgemeinschaften und Theologien hineinreicht.
Der zweite größere Themenkreis des Sammelbandes widmet sich der Selbstverortung der Religionen und Theologien in der gegenwärtigen europäischen Gesellschaft. Dabei kommen Theologen und Vertreter unterschiedlichster Religionsgemeinschaften zu Wort. Einige Beiträge haben analytisch beschreibenden Charakter. So zeichnen W. Homolka und H. Bomhoff die Genese wissenschaftlicher jüdischer Rabbinerausbildung im Kontext der europäischen Kultur nach. Und R. A. Siebenrock unterzieht das Zweite Vatikanum einer Analyse in Hinsicht auf seine Verarbeitung der notorisch pluralistischen Moderne. Einheit der katholischen Kirche müsse danach auf unterschiedlichen Feldern als Einheit von Pluralität begriffen werden. Siebenrocks Beitrag unterstellt also ein aggiornamento der katholischen Kirche an die Moderne. Andere Beiträge sind deutlich in der Absicht verfasst, eine bestimmte Religionsgemeinschaft, der die Autoren jeweils verbunden sind, entweder in den interreligiösen oder religionspolitischen Diskurs, wie er für Europa anzustreben sei, einzubinden.
Der dritte Teil des Buches ist wissenschaftstheoretischer Natur. Die Beiträge des theologischen Ethikers D. Mieth und des Philosophen K. Müller gehen der Frage nach, welche Art von Dialog die theologische Wissenschaft ihrem Selbstverständnis nach überhaupt zu betreiben vermag. Mieth beantwortet die Frage dialektisch, indem er einerseits auf die offenkundige und grundsätzliche Spannung zwischen (Natur-)Wissenschaften und (katholischer) Theologie hinweist, andererseits an die Wurzeln der säkularen Wissenschaften im christlichen Glauben erinnert. Mieth sieht die Wissenschaften in Sachen Weltanschauung zunehmend mit einem Hegemonialanspruch auftreten und fordert demgegenüber einen »offenen Diskurs über Weltbilder« (239), an dem auch die Theologie partizipieren solle. K. Müller unterstellt schon jedem Alltagsver­stehen der Wirklichkeit die Inanspruchnahme von weltanschaulichen Letztbegründungen, die in der Theologie explizit würden. Theo­logien müssten aus wissenschaftstheoretischen Gründen mit Wahrheitsgeltungsansprüchen auftreten, die allerdings wiederum dis­kursiv zu vermitteln seien. Sie dienen, so Müller, damit der Ausmittlung von Orientierungswissen.
Der Band bietet aufs Ganze gesehen eine Fülle von anregenden Beiträgen zur funktionalen Verortung der in Europa gegebenen Theologien aus unterschiedlichster Perspektive, und der Facettenreichtum des Themas scheint auf. Es fehlt dem Sammelband allerdings eine strenge Systematik, und nicht alle Beiträge sind wissenschaftlicher Natur, so dass er eher Denkanstöße evoziert, als einen geordneten Überblick über das Thema verschafft.