Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Januar/2009

Spalte:

21-23

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Frey, Rebecca Joyce

Titel/Untertitel:

Fundamentalism. Foreword by P. L. Berger.

Verlag:

New York: Infobase 2007. VI, 394 S. gr.8° = Global Issues. Geb. US$ 45,00. ISBN 978-0-8160-6767-1.

Rezensent:

Jens Schlamelcher

Das Buch »Fundamentalism« von Rebecca Joyce Frey ist als Einführungswerk in die Fundamentalismusthematik konzipiert und richtet sich in erster Linie an amerikanische Undergraduate-Studierende. Es zeichnet sich durch eine leicht verständliche Sprache, zahlreiche Beispiele und den generellen Verzicht auf Vorwissen von Seiten des Lesers aus. Das Buch besteht entsprechend dem Aufbau der Reihe »Global Issues – Facts on File« aus drei Hauptteilen, wobei der erste eine Einführung in das Thema und selektive Fallstudien, der zweite Quellenmaterial über fundamentalistische Bewegungen und der dritte Hinweise für die wissenschaftliche Erforschung fundamentalistischer Bewegungen sowie eine Zusammenstellung von Daten und Fakten über wichtige Personen und Organisationen umfasst. Das groß angekündigte, aber sehr kurze und wenig inhaltsreiche Vorwort ist von dem renommierten amerikanischen Religionssoziologen Peter L. Berger verfasst.
F. beginnt ihre systematische Einleitung standardgemäß mit einer Problematisierung der vorwissenschaftlichen Herkunft und der pejorativen Aufladung des Fundamentalismus-Begriffs. Doch insgesamt tendiert ihre Darstellung eher dazu, Stereotype über Fundamentalismen zu stützen, anstatt sie zu hinterfragen. Dies tut sie zum einen durch eine unkritische Übertragung des Fundamentalismusbegriffs auf verschiedene religiöse Bewegungen, wie dies gerade für den öffentlichen Diskurs über Fundamentalismus typisch ist. So werden die Mormonen wie auch heutige Muslime undifferenziert dem Fundamentalismus zugerechnet; beispielsweise deutet sie den Schleier als fundamentalistisches Symbol, ohne ihn im Kontext postmoderner Identitätspolitik zu diskutieren. Zum anderen greift F. zur Veranschaulichung bestimmter Sachverhalte häufig auf Beispiele zurück, die die Gewaltbereitschaft von Fundamentalisten hervorheben. Wenn auch einige (nicht alle!) mit dem Fundamentalismus-Begriff markierte Bewegungen Gewaltbereitschaft zeitigen, so hätte man sich über den Zusammenhang zwischen Fundamentalismus und Gewalt einige systematische Überlegungen gewünscht (zu erinnern sei hier an die Studien von Martin Juergensmeyer), welche F. in diesem Buch jedoch nicht präsentiert.
Aus religionswissenschaftlicher Perspektive vermisst man einerseits eine klare Abgrenzung zur Objektsprache religiöser Akteure. So erwähnt sie im historisch-empirischen Teil, wie sich Evangelikale in den USA von den Fundamentalisten (hier im objektsprachlichen Sinn gemeint) abgrenzten. Aus metasprachlicher Pers­pektive bleibt dann die Frage offen, ob man Evangelikale, z. B. auf Grundlage der von F. verwendeten Kriteriologie (unter anderem von Martin Riesebrodt wurde allerdings eine meiner Ansicht nach bessere Klassifikation in die Diskussion eingebracht), als fundamentalistisch bezeichnen kann. Zum anderen lässt F. wenig Distanz zu einem massenmedial getragenen öffentlichen Diskurs erkennen, wenn sie an einer Stelle Studierenden rät, sich bei der vertiefenden Beschäftigung mit fundamentalistischen Bewegungen zunächst auf Zeitungslektüre zu beschränken und erst bei einer mehrmonatigen Bearbeitungsdauer auf wissenschaftliche Artikel zurückzugreifen. Weder sensibilisiert sie für eine Perspektiveninkongruenz zwischen Sozialwissenschaft und dem öffentlichen Diskurs noch problematisiert sie Letzteren. In theoretischer wie empirischer Hinsicht setzt F. keine neuen Akzente für die Fundamentalismuserforschung, und auch ein Überblick über theoretische Ansätze, wie man ihn für ein Einführungswerk erwarten könnte, ist nicht vorhanden.
Sie bezieht sich hauptsächlich auf das ›Fundamentalism-Project‹, das zu Beginn der 1990er Jahre an der University of Chicago durchgeführt wurde und bisher die weltweit größte Studie über Fundamentalismus ist. Für eine Charakterisierung fundamentalistischer Bewegungen greift F. auf die dort aufgeführte Liste von Merkmalen zurück, welche Ideologie und Sozialgestalt von Fundamentalismen beschreiben (Concern about the Decline of Religion, Selective Emphasis, Dualistic Thinking, Absolutist Interpretation of Scripture or Tradition, Apocalyptic view of History, Belief in Election or Chosenness, Separation from the World, Charismatic Style of Leadership, Strict Behavioral Controls). Anhand von Beispielen versucht F. diese Merkmale zu verdeutlichen. Dabei tauchen jedoch einige Plausibilitätsprobleme auf: Inwiefern illustriert beispielsweise das Verbot des Tragens von Eheringen einer protestantischen Sekte in den USA eine dem Fundamentalismus zu Grunde liegende dualistische Weltsicht (14) oder das mormonische Blutopfer einen fundamentalistischen Literalismus (15)?
Der empirische Teil ist durch eine historische Herangehensweise charakterisiert, wobei F. regional spezifische Entstehungshintergründe für fundamentalistische Bewegungen hervorhebt und an­schließend zentriert um die Biographie einer oder mehrerer charismatischer Persönlichkeiten die Geschichte fundamentalistischer Bewegungen darstellt. Am ausführlichsten und besten ist der Abschnitt über Fundamentalismus in den USA gelungen, über den F. auch schon zuvor gearbeitet hat. Die anderen vier Fallstudien, welche die globale Dimension des Fundamentalismus veranschau lichen sollen (Ultratraditioneller Katholizismus, Hamas, Gush Emunim, Hindu-Nationalismus), sind relativ knapp gehalten. Ein Blick auf das Literaturverzeichnis verdeutlicht, dass F. sich fast ausschließlich auf das Fundamentalism Project bezieht und kaum andere wissenschaftliche Quellen heranzieht, obwohl gerade in der neueren Zeit zu allen von ihr thematisierten Bewegungen eine Vielzahl an Studien erschienen ist. Hinzu kommt eine Reihe von sachlichen Fehlern und Fehlinformationen in der Darstellung. Beispielsweise wird angegeben (92), Israel habe sich unter Ariel Sharon von sämtlichen Siedlungen zurückgezogen, was vermeintlich die Nachfolgeorganisationen von Gush Emunim zur Auflösung be­wegen könnte. Nicht erwähnt wird, dass sich die israelische Armee nur aus dem Gaza-Streifen zurückgezogen hat, während der Ausbau der Siedlungen im Westjordanland unvermindert weitergeht. Diese Ungenauigkeiten stören erheblich den Eindruck eines weltpolitisch auch nur mittelmäßig gebildeten Lesers.
Die an die Ausführungen über fundamentalistische Bewegungen anschließende Quellensammlung wäre an sich eine schöne Beilage für ein Einführungswerk. Doch bei zahlreichen der abgebildeten Dokumente bleibt die Frage offen, welche Relevanz diese für empirische Fundamentalismus-Studien haben. Ein großer Teil der Dokumente zum amerikanischen Fundamentalis­mus besteht aus Auszügen von Inaugurationsreden amerikanischer Präsidenten. Da Quellensammlungen bei begrenzter Seitenzahl immer selektiv sein müssen, hätte man sich durchaus mehr Nähe zum Thema gewünscht. Hilfreich hingegen für den Leser ohne viel Vorwissen sind ihre Kurzinformationen über wichtige Persönlichkeiten und fundamentalistische Organisationen.
Insgesamt ist »Fundamentalism« von F. ein Buch mit zahlreichen analytischen und inhaltlichen Schwächen, das entgegen seiner Versprechungen eher zur Stereotypisierung und wenig zur »Aufklärung« über das Thema beiträgt. Gerade für Personen, die sich über dieses Buch einführend mit der Fundamentalismus-Thematik beschäftigen, wird das aus Zeitungslektüre und Fernsehberichterstattung generierte »Wissen« tendenziell untermauert und selten hinterfragt.