Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Dezember/2008

Spalte:

1406–1408

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Beros, Daniel Carlos

Titel/Untertitel:

Heimat für Heimatlose. Die Sprache des Glaubens und die Suche nach Bodenständigkeit bei russlanddeutschen Migranten in der La Plata-Region zwischen 1925 und 1955.

Verlag:

Neuendettelsau: Erlanger Verlag für Mission und Ökumene 2007. 383 S. 8° = Missionswissenschaftliche Forschungen. Neue Folge, 22. Kart. EUR 30,00. ISBN 978-3-87214-352-5.

Rezensent:

Hans-Jürgen Prien

Beros hat am interdenominationellen Instituto Superior Evangélico de Estudios Teológicos (ISEDET) in Buenos Aires studiert. Sein dortiger theologischer Lehrer Alejandro Zorzin machte ihn auf das Potential des publizistischen Werkes Jakob Riffels als Quelle zur Erforschung einer Laientheologie der evangelischen Deutschen aus Russland am Rio de La Plata aufmerksam. Von ihm hat er gelernt, im Sinne der Befreiungstheologie Theologie als ›zweiten Akt‹ zu begreifen. B. hat diese Arbeit unter Anleitung von Hermann Brandt in Erlangen geschrieben und dort im Sommersemester 2004 als Dissertation vorgelegt.
Der 1893 in einer Wolgakolonie geborene Riffel hat als eine Ausnahme unter seinen Landsleuten 1915 das Abitur in Moskau bestanden und dort das Medizinstudium aufgenommen. 1918 wanderte er nach Deutschland aus und studierte in Marburg Theologie, um Pfarrer zu werden. Nach seinem Examen kam er 1923 als Überbringer einer Kollekte des Vereins der Wolgadeutschen für die hungernden wolgadeutschen Einwanderer in Argentinien in Buenos Aires an. Nach Erkundung der Lage seiner Landsleute nahm er 1924 das Angebot der Deutschen Evangelischen La-Plata Synode (DELPS) für die Pfarrstelle in der überwiegend aus Wolgadeutschen bestehenden Gemeinde Lucas González (Provinz Entre Ríos) an. Bis zu seinem Tode 1958 wirkte er als Pfarrer und Publizist unter seinen Landsleuten. Seine publizistische Tätigkeit bildet die Quellengrundlage der Dissertation, zunächst die Russlanddeutsche Ecke, eine kleine Beilage des Evangelischen Gemeindeblattes der DELPS (1925–29), dann die von ihm selbst herausgegebenen Zeitschriften Der Russlanddeutsche (RD 1929–45) und Der Landbote (1946–71).
Das Proprium der Arbeit besteht darin, dass B. nicht Veröffentlichungen und Korrespondenzen von Pfarrern auswertet, sondern die Stimmen der russlanddeutschen ›Laien‹, die Riffel zu Gehör ge­bracht hat.
B.s Untersuchung gliedert sich in fünf Teile. Im einleitenden historiographischen Teil schildert er die Entstehung und Entwick­lung der Kolonien deutscher Auswanderer im Wolgaraum nach dem Siebenjährigen Krieg, Schulwesen und kirchliches Leben. Die Veränderung der Rechtslage unter Zar Alexander II. ab 1861 (Zentralisierung der Verwaltung, 1874 Wehrpflicht auch für die Wolgadeutschen mit Ausnahme der Mennoniten) löste eine Transmigrationswelle nach Amerika aus, zunächst in die USA, dann nach Brasilien und Argentinien. Sie verstärkte sich durch wirtschaftliche Probleme und schließlich durch die Oktoberrevolution von 1917. Für die Zielsuche war entscheidend, ob die Migranten landwirtschaftlichen Besitz erwerben konnten. Ende 1877 kamen die ersten Wolgadeutschen nach Argentinien, die Land erwerben konnten. Da die Großgrundbesitzer später den Landerwerb für die Nachgewanderten verhinderten, sollten die Wolgadeutschen als Pächter ausbeutet werden, obgleich sie zur Verbesserung der ›Rasse‹ geschätzt wurden. B. schildert die Phasen der Einwanderung, die Gründung von Kolonien, Leben und Selbstverständnis der Einwanderer. Im 2. Teil schildert er die Tätigkeit Riffels und das thematische Spektrum der zunehmenden Leserbeiträge, wobei ein antikommunistischer Ton und verstärkt ab 1933 die NS-Volkstumspflege mit der Verbindung von Glauben und Deutschtum an Gewicht zunehmen. Da Heimat für die Bauern eng mit Landbesitz verbunden ist, gibt es Stimmen, die auf sicheren Landbesitz in den ehemaligen deutschen Kolonien nach deren Rückgabe hoffen. Auch antisemitische Stimmen lassen sich vernehmen. Der RD legitimierte bis Kriegsende die NS-Ideologie. Im ab Februar 1946 erscheinenden Landboten standen natürlich andere Themen auf der Tagesordnung, wobei eine Annäherung an den Peronismus unverkennbar ist. Der Begriff Heimat wurde nun verstärkt mit Argentinien verbunden. Die Pächter wanderten zunehmend in die Städte ab und assimilierten sich auch sprachlich.
In Kapitel 3 (245–296) folgt der theologisch-hermeneutische Teil, in dem B. vier verschiedene Paradigmen von Heimat untersucht: die verlorene Heimat; das Gelobte Land; die deutsche Heimat – die argentinische Heimat; die himmlische Heimat. Anschließend wen­det er sich der Grammatik (ein Begriff, der nicht recht überzeugt) der verschiedenen Diskurse (= Paradigmen) von Heimat zu, um deren theologische Relevanz zu eruieren. In Kapitel 4 versucht B., die Sinnreserve der Paradigmen zu erschließen. Er fasst abschließend die Sprache des Glaubens der evangelischen Russlanddeutschen am La Plata in zehn Punkten zusammen. Es folgen in Kapi-tel 5 Abschließende Überlegungen und ein wichtiger Quellenanhang (336–372).
Insgesamt hat B. einen weiterführenden geschichtlich-theologischen Ansatz zum Verständnis einer evangelischen Bevölkerungsgruppe mit einem doppelten Migrationshintergrund entwickelt, wenngleich seine Terminologie die Lektüre zum Teil erschwert.
Die nachstehenden kritischen Anmerkungen mindern den Wert der Ar­beit nicht grundsätzlich:
Wenn man schreibt, Zar Paul I. herrschte, dann kann man nicht seine Lebensdaten angeben, 1754–1801 (34), sondern die Zeit auf dem Thron (1796–1801), genauso bei Zarin Elisabeths Regierung nicht 1709–1761 (26), sondern 1741–1762, und bei Alexander II. nicht 1818–1881 (44), sondern 1855–1881. Der Krieg von 1870/71 war kein Preußisch-Französischer (135, Anm. 132), sondern ein Deutsch-Französischer Krieg. Man kann ab 1945 nicht von einer alliierten Zone in Deutschland sprechen, sondern höchstens von den Besatzungszonen der Westallierten, wenn nicht klar ist, welche in der Quelle gemeint ist (220).
Abkürzungen sollten wenigstens bei erstmaliger Benutzung aufgelöst werden, so dass der Leser nicht ständig im Abkürzungsverzeichnis nachschlagen muss.
B.s Deutschkenntnisse sind nicht so profund, dass er die Arbeit selbst auf Deutsch abfassen konnte, weshalb er von einer Übersetzungsmannschaft spricht, die ihm die deutsche Fassung erstellt hat. Sie ist also für einige Fehler verantwortlich, wenn etwa von Landsmännern, statt von Landsleuten die Rede ist (99) oder von der Inbetriebnahme der argentinischen Pampa (50), womit die Gründung landwirtschaftlicher Betriebe in der Pampa gemeint ist. In den Provinzen kam es nicht zu Waffenaufständen (52), sondern zu bewaffneten Aufständen. Man sollte nicht von einem Fakt für das Stocken der Einwanderung sprechen (58), sondern von einer Ursache. Der Lehrer F. Hofmann war nicht scheinbar, sondern anscheinend der Leiter einer Gruppe des Deutschen Volksbundes für Ar­gentinien (109). Herr Schotthauer klagte nicht gegen, sondern über die Verschlimmerung der Arbeitsbedingungen (110). Eine Veröffent­lichung hat nicht einen geprägt, sondern einen ausgeprägt antikommunistischen Ton (121). Die beiden ersten Paradigmen (287, Anm. 98) gibt es nicht, sondern nur die ersten beiden. Wortungeheuer wie nichtsdestotrotz oder schluss­endlich sollten auch vermieden werden.