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Ausgabe:

Dezember/2008

Spalte:

1380–1382

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Pope, Robert

Titel/Untertitel:

Salvation in Celluloid. Theology, Imagination and Film.

Verlag:

London-New York: T & T Clark 2007. XII, 208 S. gr.8°. Geb. US$ 144,00. ISBN 978-0-567-03206-5.

Rezensent:

Inge Kirsner

Ein biblisches Zitat von der Verlässlichkeit der Freundes- und Bruderliebe (Spr 17,17) bildet den Auftakt zu einem Buch, das aus Film­analyseseminaren mit Theologiestudierenden an der Universität von Wales (Bangor) erwachsen ist. Entsprechend dicht und praxisnah ist es geschrieben.
Robert Pope macht deutlich, dass die Debatten über Filminterpretationen zu den spannendsten Dingen der zeitgenössischen theologischen Szene gehören. Die Feststellung, dass die Massen ihre religiösen und spirituellen Bedürfnisse eher im Kino als in der Kirche befriedigen, und der Einspruch, dass die Massen selbst das aber nicht so sehen würden, führen mitten hinein in die erste zentrale Frage des Buches. Ist die Kultur selbst religiös grundiert oder betreibt sie lediglich der Religion analoge Dinge?
Die meisten Kulturtheologien werden (das scheint in England nicht anders zu sein als im deutschsprachigen Raum) mit Paul Tillich bestritten, den P. als säkularisierten Theologen bezeichnet. Die Gefahr hierbei ist: Die Kultur selbst wird vergöttlicht und Theologie wird in Anthropologie aufgelöst, wie Feuerbach es formulierte. P. zieht jedoch eine Sicht der Theologie vor, deren Hauptfrage die nach Gott ist; und dass eine solche Theologie, die im Sinne Karl Barths Theologie und Kultur trennt und so beide zu ihrem Eigenrecht kommen lässt, sich durchaus auch und gerade für den Film interessieren kann und muss, das demonstriert P. auf eindrucksvolle Weise.
Zwar ist, nach Barth, das Evangelium in der Welt nicht zu Hause, und so wird jeder Form von Kultur mit einer grundsätzlichen Skepsis begegnet; den Schlüssel jedoch für ein Aufgeschlossensein gegenüber der Kultur bildet das fleischgewordene Wort, Jesus Christus. Das Wort ist sowohl an die Kirche wie an die Kultur gerichtet: Gott ist zwar bezüglich der Welt und ihren Hervorbringungen der Ganz Andere, aber er ist auch ganz eins mit der Welt in Jesus Christus, dem inkarnierten Wort. Die Christologie wird also entscheidend für das Verständnis von Kultur. Weder Kirche noch Kultur sind Offenbarungen Gottes; diese gehören Gott in seinem Wort allein. Doch Kultur kann zum Zeichen für das Wort, für die Verheißung werden. Worte der säkularen Welt werden zur Analogie von Gnade, zum unbeabsichtigten Zeugnis. So wird die Kultur weder vergöttlicht noch säkularisiert; Menschliches und Gött­liches werden nicht miteinander vermischt, sondern aufeinander bezogen.
Hier argumentiert Barth ähnlich wie Augustinus, der zwischen dem Genuss und dem Gebrauch der Dinge unterscheidet (frui und uti). »Frui« bedeutet, die Dinge um ihrer selbst willen zu lieben; »uti« heißt, sie zu gebrauchen für etwas anderes als das, was sie wollen bzw. ›beabsichtigen‹. Sucht man also in Kulturprodukten ständig nach Analogien und tieferen Bedeutungen (wie dies geschehen kann, wenn die Religion als allgemeiner Seinsgrund betrachtet wird), so kann das bedeuten, dass die Kunst eher benutzt als genossen wird. – »If it is enjoyed, then music can remain as music, play can remain as play, art can remain as art, and film can remain as film and still have a theological significance in as much as it recognizes itself to be creaturely activity, no more and no less« (17).
So steht dem theologischen Filmgenuss nichts mehr im Wege. Im Folgenden stellt P. verschiedene Annäherungen an die Analyse vor; zentral ist zu Beginn seine beispielhafte Auseinandersetzung mit den Werken Robert Jewetts, der Paulus öfter ins Kino geschickt hat (Saint Paul at the Movies. The Apostle’s Dialogue with American Culture, Louisville 1993; Saint Paul Returns to the Movies. Triumph over Shame, Grand Rapids-Cambridge 1999).
Jewett stellt Zitate aus Paulusbriefen ausgewählten Filmen ge­genüber und erschließt beide wechselseitig (so »Und täglich grüßt das Murmeltier« von 1993 mit Gal 6,7–10). Film wird hier (ausschließlich) als Text betrachtet, wendet P. ein, wenn auch ein solcher Zugang durchaus Neues für beide Seiten bringe. Doch hat der Film eine ganz andere Dynamik als ein geschriebener Text: Er nimmt den Zuschauenden mit auf eine Reise, die ein Fest ist für Augen und Ohren. »Imagination« wählt P. als Begriff für die Veranschaulichung dessen, was auf dieser Reise vor sich geht. Es ist eine ganz eigene Konstruktion der Wirklichkeit, die Immanuel Kant philosophisch bereits vorgedacht hat (und, um P. zu ergänzen, längst vor ihm auch Platon mit seinem Höhlengleichnis).
Wie diese Kraft der Vorstellung und Ein-Bildung wirkt, macht P. u. a. an dem Film »Die Rückkehr des Martin Guerre« von 1982 deutlich, in dem bis zum Ende damit gespielt wird, ob der Heimkehrende wirklich derjenige ist, der er zu sein vorgibt. Beide, Theo­logie und Film, sind »imaginative Reisen«, und mit beidem reisen wir unter P.s kundiger Leitung durch ganz unterschiedliche Filmwelten, von »Pinocchio« (USA 1940) bis »Passion Christi« (USA 2004). Wir treffen den »Cinematic Christ« (auch »Jesus incognito« genannt) und erfahren, wie andere vor ihm, schließlich die Erlösung im Kino.
Zu wünschen wäre diesem Buch eine Übersetzung ins Deutsche; dies wäre ein wichtiger Schritt zu einer stärkeren gegensei­tigen Wahrnehmung der englisch- und deutschsprachigen Filmtheologie-Forschung, von der beide Seiten nur profitierten könnten.