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Ausgabe:

Dezember/2008

Spalte:

1375–1377

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Kranz, Gisbert

Titel/Untertitel:

Christliches in der Weltliteratur. Ein neuer Zugang zu großen Romanen und Erzählungen.

Verlag:

Augsburg: Sankt Ulrich Verlag 2007. 199 S. 8°. Geb. EUR 18,90. ISBN 978-3-86744-008-0.

Rezensent:

Andreas Mauz

Dieses Buch erfordert in hohem Maß, dass man von ihm nicht verlangt, was es nicht leisten will. Es handelt sich um eine populärwissenschaftliche Anstiftung zur Lektüre »christlich inspirierter« Prosa (Klappentext), nicht um Forschungsliteratur im engeren Sinn. Doch selbst wenn man diesem Profil Rechnung trägt, hinterlässt der Band einen zwiespältigen Eindruck.
Zunächst ist wichtig zu wissen, wer hier als Animator auftritt. Der Aachener Germanist K. gehört zu einem Kreis älterer katho­lischer Wissenschaftler, die sich bereits früh für die heute prosperierende Erforschung des Verhältnisses von Religion und Literatur engagiert haben. Sein Name verbindet sich insbesondere mit Begriff und Sache der »christlichen Literatur«, als deren Apologet er in den heftigen Debatten der 60er und 70er Jahre hervorgetreten ist (K. ist u. a. auch der Verfasser des Lexikons der christlichen Weltliteratur, Freiburg i. Br. 1978). Gerade vor diesem Hintergrund ist von Interesse, wie »Literatur« und »Christentum« im vorliegenden Fall ge­koppelt werden. Nicht von »christlicher Literatur« ist die Rede, sondern von »Christlichem in der Weltliteratur« oder von der Weise, wie »in verschiedenen Jahrhunderten christliches Leben in der Literatur verarbeitet wird« (Vorwort, 9). Diese Formulierungen zeugen von einer Zurückhaltung, bestimmte Werke allzu direkt mit dem Label »christlich« zu versehen – eine Zuschreibung, deren Probleme in den genannten Debatten klar benannt wurden. Was aber ist »christ­lich inspirierte« Literatur bzw. »Christliches« in der Literatur?
Das Problem einer überzeugenden Entfaltung dieser Einheitsbestimmung tritt – gemäßigt – auch hier auf. K. hat sich entschieden, dass diese Frage im gegebenen Kontext nicht eigens zu erörtern ist. Abgesehen von dieser implikationsreichen schwächeren Formulierung verdienen aber auch die anderen titelgebenden Begriffe einige Aufmerksamkeit. Die Verbindung des Christlichen mit dem hehren – und Wielandschen bzw. Goetheschen – Begriff der »Weltliteratur« bleibt ebenfalls unthematisiert. Implizit verweist er auf die Internationalität der dargestellten Literatur, darüber hinaus aber vor allem auf ihren Status: Es handelt sich um »große« Werke. Die Spannung, welche Auswahl K. unter diesen Voraussetzungen konkret vorlegt, wird durch den Untertitel, der einen »neuen Zugang« verspricht, noch verstärkt. Worin dieser Zugang näherhin besteht, bleibt in der Folge allerdings offen; weder wird er benannt noch ist er zu erkennen. Ausdrücklich mitgeteilt wird jedoch, wie die Auswahl zu Stande kam. Der Verlag – im konservativ-katholischen Milieu angesiedelt – hat K. gebeten, »ein Büchlein mit Empfehlungen« (9) zu schreiben. Und subjektiv ist die Komposition denn auch geworden, nachdem K. »die Literatur, die mich mein Leben lang beschäftigt hat, im Geist passieren« ließ (ebd.).
Der Band verweist in alphabetischer Folge auf 40 Autorinnen und Autoren, von denen meist ein, manchmal zwei Werke vorgestellt werden. Der Schwerpunkt liegt erwartungsgemäß auf der deutschen Literatur (14 Autoren), die restlichen Porträts verteilen sich auf die romanische, angelsächsische, skandinavische und russische »Weltliteratur«; mit Endos Der Vulkan (1959) ist auch ein asiatischer Beitrag vertreten. Die überragende Mehrheit der Werke datiert zwischen 1850 und 1960; der älteste Text ist Cervantes’ Quixote (1605–15), der jüngste Percys Thanatos-Syndrom (1987). Und – gleichfalls erwartungsgemäß – meint »christlich« hier konkret vor allem katholisch (rund 30 Autoren). Die Frauenquote liegt mit sieben Autorinnen eher hoch.
In einer Hinsicht ist durchaus zu begrüßen, dass K. die Versprechen des Titels nur bedingt einlöst. Nicht wenige der präsentierten Texte würden gängigerweise kaum als »groß« oder »Weltliteratur« bezeichnet. Der Vorzug des Bandes liegt gerade in der teilweise exzentrischen Auswahl, die an wenig bekannte Autoren erinnert (Sigrid Undsets Kristin Lavranstochter (1920–22); Dorothy Sawyers Aufruhr in Oxford (1935); Silvio Pellicos Meine Gefängnisse (1832) bzw. an wenig bekannte Texte bekannter Autoren; im Fall Berna­nos’ wird nicht etwa auf Das Tagebuch eines Landpfarrers verwiesen, sondern auf Die Freude (1928); nicht C. S. Lewis’ Die Chroniken von Narnja kommen zum Zuge, sondern Du selbst bist die Antwort (1956). Wer dagegen an einer Darstellung unstrittiger »Klassiker« – insbesondere evangelischer Provenienz – interessiert ist oder an Titeln neueren Datums, wird enttäuscht: kein Gerhardt, Klopstock, Klepper, Marti, Handke, Lodge, Patrick Roth, Updike …
Die einzelnen Porträts bestehen jeweils aus einem knappen biographischen Abriss, einem Hinweis auf die Hauptwerke des Autors und einer im Schnitt dreiseitigen Skizze des betreffenden Romans. Ist diese Anlage als solche ganz plausibel, so fällt deren Realisierung unterschiedlich überzeugend aus, und dies teilweise aus gutem Grund: Wie wäre ein Werk wie von Doderers hochkomplexe 900-seitige Strudlhofstiege (1951) auf eineinhalb Seiten befriedigend darzustellen, wie Solschenizyns zweibändige Krebsstation (1971) auf einer einzigen? Etwas irritierend wirkt ferner die Stillage bzw.– mehr noch – die stilistische Uneinheitlichkeit der Beiträge. Während K. grundsätzlich einen emphatisch-hohen und, bemühend regelmäßig, superlativischen Ton pflegt – »Unter den deutschen Dichtern des 19. Jahrhunderts stand keiner derart weit vorn in der Vorhut des geistigen Kampfes wie die Droste« (53), »noch immer liest alle Welt das Werk [Manzonis Die Verlobten] mit Ergriffenheit« (125), »Mauriacs bester Roman« (129) –, verfällt er bei der Darstellung von Tolkiens Blatt vom Tüftler (1945) unvermittelt in einen erzählenden Duktus: »Es war einmal ein kleiner Mann, der hieß Tüftler. …« (175). In manchen Fällen besteht der Beitrag nahezu vollständig aus Zitatmontagen (57 ff.). Bei den biographischen Abschnitten springen immer wieder irritierende Entscheidungen in der Art und Gewichtung der mitgeteilten Informationen ins Auge: Tolkiens Gattin starb 1971 (174), Dürrenmatt war von 1967–69 »Künstler« (57). Es fiele leichter, über diese Dinge hinwegzulesen, wenn gleichzeitig erwartbare Auskünfte geliefert würden. Weder wird deutlich, ob sich die vermerkten Jahreszahlen auf die Erstausgaben beziehen oder auf die deutsche Übersetzung, noch werden die zahlreichen Zitate nachgewiesen. Mag man Letzteres als überzogene Anforderung an den populären Charakter des Bandes empfinden, so wird man zumindest erwarten dürfen, dass aus dem Text hervorgeht, ob man es mit einer Äußerung des Autors oder der einer Figur zu tun hat. Da als »Romanverführer« (Rolf Vollmann) konzipiert, wäre schließlich ein Hinweis auf empfehlenswerte Ausgaben hilfreich gewesen – umso mehr, als manche der exotischeren Titel schlicht nicht lieferbar sind.
Die genannten Schwächen treten noch deutlicher hervor, legt man K.s Band neben eine Publikation, die kurz zuvor erschienen ist: Georg Langenhorsts (Hrsg.) Christliche Literatur für unsere Zeit. Fünfzig Leseempfehlungen (München 2007). Wer nach einem populärwissenschaftlichen Band zum Thema sucht, dem ist mit diesem Titel, der den Akzent deutlich stärker auf den zweiten Wortteil legt– populärwissenschaftlich –, sicher besser gedient. Das schließt allerdings nicht aus, dass auch der besprochene Band leistet, was sich sein Autor erhofft: dass jeder bei der Lektüre etwas finde, »was sie [oder ihn] packt und zum Lesen anstiftet« (10). Der Beitrag zu Werfels Die Vierzig Tage des Musa Dagh, 1933 (194–197) ist nur ein Beispiel einer Reihe von Skizzen, die sehr prägnant auf einen Text und seine Kontexte hinweisen.