Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Dezember/2008

Spalte:

1361–1363

Kategorie:

Kirchengeschichte: 20. Jahrhundert, Zeitgeschichte

Autor/Hrsg.:

Kösters, Christoph, u. Wolfgang Tischner [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Katholische Kirche in SBZ und DDR.

Verlag:

Paderborn-München-Wien-Zürich: Schöningh 2006. 415 S. m. Ktn. u. 16 Tafeln m. Abb. 8°. Kart. EUR 29,90. ISBN 3-506-71347-7.

Rezensent:

Harald Schultze

Der Band bietet einen Gesamtüberblick über Leben und Handeln der katholischen Kirche in der Zeit der DDR; Christoph Kösters hatte bereits 2001 (im gleichen Verlag) einen Sammelband über die »Caritas in der SBZ/DDR 1945–1989« veröffentlicht. Die einzelnen Autorinnen und Autoren haben zu ihren Themen jeweils schon publiziert. Mit einer umfangreichen Bibliographie, einem kleinen Foto-Teil und dem Personenregister ist zugleich der Zugang zur inzwischen umfangreichen zeitgeschichtlichen Literatur gewährleistet.
Ein solcher Versuch muss naturgemäß Schwerpunkte setzen. Hauptakzent ist zunächst das Handeln der Berliner Bischöfe. Den Auftakt bildet Wolfgang Tischners Beitrag »Die Kirchenpolitik unter Konrad Kardinal Preysing (1945–1950)« (17–61). Christoph Kösters behandelt Bischof Wilhelm Weskamm (1951–1956; 63–99); von dem inzwischen verstorbenen Klaus Wittstadt ist ein Aufsatz über Julius Kardinal Döpfner (101–146) nachgedruckt worden. Ruth Jung überschreibt ihre Studie über Alfred Bengsch (1961–1979) als eine »Politik der Skepsis« (147–192). Der biographische Zugang gibt Profil, macht die unterschiedliche Strategie des Handelns dieser vier Bischöfe verständlich. Das Verhältnis zur Regierung der DDR, zur Fuldaer Bischofskonferenz und zum Vatikan steht jeweils im Vordergrund. Freilich treten damit die Aufgabenstellungen und Handlungsmöglichkeiten in den anderen Diözesen und Jurisdiktionsbezirken der DDR in den Hintergrund. Im­merhin wird in einem weiteren Teil versucht, die Situation der Bistümer Meißen und Erfurt näher zu beleuchten. Beiträge von Clemens Brodkorb zur mitteldeutschen Diasporaseelsorge (195–218), zum Bistum Meißen (Birgit Mitzscherlich, 273–302), zu den »katholischen Milieus« der Sorben und des Eichsfelds (Henry Krause und Dietmar Klenke, 303–374) zeigen, wie in stabil katholisch geprägten Regionen die Vorgaben des DDR-Staates unterlaufen und abgepuffert wurden. Ein Beitrag zur Caritas (Silvia Kroll, 251–272) bleibt blass, während es Christine Bartlitz gelingt, zur Öffentlichkeitsarbeit der katholischen Kirche in der Ära Ulbricht differenzierend die Handlungsmöglichkeiten und -erfolge zu schildern (219–250). Die Rolle der Rundfunkarbeit (katholische Morgenfeiern), der katholischen Wochenzeitungen (»St. Hedwigsblatt« und »Tag des Herrn«) wird ebenso charakterisiert wie die Auseinandersetzungen des Benno-Verlages mit der Zensur. Interessant ist die Einbeziehung der westdeutschen »Gegenöffentlichkeit«, deren Rundfunk- und Fernsehpräsenz für die DDR-Gesellschaft von hoher Bedeutung war.
Bei der Lektüre dieses Buches zeigt sich, wie offensichtlich katholische und protestantische Zeitgeschichtsarbeit nebeneinander läuft – ohne methodisch und inhaltlich wirklich Kontakt aufzunehmen. Gerade weil die katholische Kirche als die wesentlich kleinere Kirche viel seltener in der Öffentlichkeit stand als die EKD mit ihren östlichen Gliedkirchen und später der Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR, müsste das eigenständige Handeln der katholischen Kirche deutlicher herausgestellt werden. Wegen des Bezugs auf den gleichen Partner – den aggressiv-atheistischen SED-Staat – muss es lohnen, Vergleiche zu ziehen, Parallelität und Differenz aufzuzeigen. Deutlich wird, wie die außenpolitische Absicherung der katholischen Kirche durch die unmittelbaren Verbindungen zum Vatikan bestimmte Rücksichtnahmen der DDR- Regierung nötig machte. Kontrastreich ist insbesondere die Stellung des katholischen Bischofs von Berlin, der auch nach dem Mauerbau den Zugang zum Westberliner Teil seiner Diözese wahrnehmen konnte – und seinerseits pragmatische Rücksichten zu nehmen hatte: »die Einheit des Bistums Berlin zum Preis politischer Loyalität und Abstinenz« (157). Im Abstand der Jahrzehnte wird es auch möglich zu beschreiben, wie unterschiedlich sich die Berliner Bischöfe bemühten, die Integration der Kirche in der DDR-Gesellschaft zu fördern: Bischof Weskamm wird in seiner vorsichtigeren Haltung mit dem deutlichen Schwerpunkt einer geistlichen Konzeption für die Diaspora-Seelsorge gewürdigt (196–201).
Dass in dem Jahrzehnt relativer Stabilität der DDR zwischen 1970 und 1980 die Berliner Ordinarienkonferenz auf eine Neugliederung der deutschen Bistümer – und d. h.: auf die Verselbständigung der Administrationsbezirke in der DDR – drängte und schon fast ans Ziel kam, wird knapp gestreift (174 f.); auch hier spielte die Frage nach dem Status von Westberlin eine wesentliche Rolle. R. Jung geht auf das Drängen katholischer intellektueller Zirkel auf eine ökumenische Öffnung und eine Veränderung der gesellschaftspolitischen Orientierung kurz ein (181–187). Spannungen, die hier zwischen Basis und Hierarchie entstanden, werden analysiert. Trotzdem ist es bedauerlich, dass der aufwändige Prozess der Vorbereitung und Durchführung der Dresdner Pastoralsynode (1973–1975) nur kurz erwähnt, die »Ökumenische Versammlung für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung« (1987–1989) nicht mehr behandelt wird.
Von besonderem Gewicht ist der einleitende Abschnitt von Christoph Kösters und Wolfgang Tischner »Die katholische Kirche in der DDR-Gesellschaft: Ergebnisse, Thesen und Perspektiven« (13–34). So konservativ sich die katholische Kirche nach außen darstellte, so stark war sie doch in die DDR-Gesellschaft verflochten und machte daher eine deutliche Entwicklung durch. »Zum einen agierten Katholiken nie ausschließlich als Mitglieder ihrer Kirche, sondern auch als Einwohner der DDR ... Zum anderen wurden die christlichen Kirchen selbst – zumindest partiell – Transmissionsriemen gesellschaftlicher Veränderungen und ... ein tragendes Element einer kulturellen Gegenwelt« (15). Wie übrigens auch die protestantische Kirche eine Verkirchlichung ihrer Bildungs- und Jugendarbeit konstatiert hat, sprechen die Autoren von der Herausbildung eines »verkirchlichten« Katholizismus (20). Das Verhalten der katholischen Gemeindeglieder zur DDR wird dann auch korrelativ nicht nur als »loyale Distanz« (Martin Höllen, 1997), sondern als »distanzierte Teilhabe« (Christine Bartlitz, 248) charakterisiert. Zu weit greifen die Autoren freilich mit der These, dass die katholische Kirche »im Unterschied zu den protestantischen Kirchen« in ihrem Handeln von den Staatsorganen »nicht entscheidend beeinflusst werden« konnte (23). Wie vergleichbar die Arbeitsbedingungen waren, wird an der Abberufung von Kardinal Döpfner 1961 und an den Positionen von Kardinal Bengsch erkennbar. Auch das Schweigen einer Kirche zu politischen Prozessen ist ein Handeln.
Mit diesem Buch ist eine gute Übersicht über die Geschichte der katholischen Kirche im Osten Deutschlands von 1945 bis 1989 gegeben. Es lohnt den Dialog, weil hier der Ertrag umfangreicher zeitgeschichtlicher Forschung gebündelt wird.