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Ausgabe:

Dezember/2008

Spalte:

1358–1359

Kategorie:

Kirchengeschichte: 20. Jahrhundert, Zeitgeschichte

Autor/Hrsg.:

Bucher, Rainer

Titel/Untertitel:

Hitlers Theologie.

Verlag:

Würzburg: Echter 2008. 228 S. 8°. Geb. EUR 16,80. ISBN 978-3-429-02985-2.

Rezensent:

Martin Hailer

Das Buch entstand auf der Basis einer praktisch-theologischen Habilitationsschrift »Kirchenbildung in der Moderne. Eine Untersuchung zu den Konstitutionsbedingungen der deutschen katholischen Kirche im 20. Jahrhundert« (Stuttgart 1998), sein Vf. lehrt Pastoraltheologie in Graz. Es wendet sich an Interessierte auch außerhalb der Theologie und stellt so – von seinem Gegenstand ganz abgesehen – ein Stück öffentlicher Theologie dar.
Der Vf. klärt zunächst Methoden- und Begriffsfragen und ver­ortet seine Untersuchung zugleich in zeit- und mentalitätsgeschichtlichen Untersuchungen: Es geht weder um Vermutungen über persönliche Glaubensüberzeugungen Hitlers (»Hitlers Religion«) noch um eine umfassende Darstellung der immer wieder beobachteten (pseudo-)religiösen Selbstinszenierung des Nationalsozialismus. Gegenstand ist vielmehr »das, was Hitler gesagt und geschrieben hat« (28). Diese expliziten Äußerungen lassen, so die These des Bu­ches, eine beschreibbare Theologie erkennen, die Hitlers eigentlicher Motivationshintergrund sei. Hitler erscheint damit als eine der Geschichte machenden Gestalten, »die Goethe ›dämonisch‹ nannte« (124).
Zunächst grenzt der Vf. Hitlers Theologie von der in seinem Umfeld propagierten völkischen Religiosität ab und zeigt, dass Hitler an ihr Rückwärtsgewandtheit und Moderne-Inkompatibilität kritisierte (59–73). Im Hauptteil des Buches werden sodann drei leitende Begriffe der Hitlerschen Theologie entwickelt, zu­nächst der in Forschung und Feuilleton viel diskutierte Vorsehungsbegriff, dann »Gott« und »Glaube«. »Vorsehung« zeigt sich als zentrale geschichtstheologische Legitimationskategorie. Hitler reichert den Begriff im Lauf der Zeit immer weiter an, bis er ihn umstandslos auf den Weg der Partei und seinen eigenen bezieht. Damit funktioniert er auch als Immunisierung gegen jede Kritik. Auch in den Niederlagen wird er nicht revidiert, sondern lässt diese als Prüfung oder gerechte Strafe erscheinen. Der christliche Providenzbegriff ist hier zur gnadenlosen Totallegitimation verkommen.
Hinter »Vorsehung«, so der Vf., steht ein diffuser Gottesbegriff (85). »Gott« ist zunächst die zentrale Appellationsinstanz, wie das aus vielen Invokationen in den bekannten Hitlerreden auch vertraut ist. Er ist aber zugleich der Urheber einer Ordnung, die es zu bewahren bzw. wiederherzustellen gilt. Sie besteht wesentlich aus der fundamentalen Ungleichheit der Völker und Rassen (93 u. ö.). So zeigt sich einerseits der Begriff »deutsches Volk« als god-term dieser Theologie und andererseits, dass Hitlers zum Holocaust führender Rassismus im Kern theologisch begründet ist. Die widerlichen Sätze vom Juden als Ebendbild des Teufels (zit. 115) und andere zeigen sich so nicht als bloße rhetorische Figur, sondern als in einer an­tiuniversalis­tischen und gnadenlosen Theologie be­gründet. Der Glaubensbegriff schließlich ist funktional eher nachgeordnet und hat in dieser Theologie wesentlich die Aufgabe, dem Einzelnen Sinn zu geben und ihn in die Volksgemeinschaft zu führen.
Im Ganzen zeigt sich, so der Vf., Hitlers Theologie als spezifische Kombination aus Partikularität und Universalität. Sie ist religiös partikular, weil Gott die Letztgültigkeit des deutschen Volkes ga­rantiert, politisch aber ist sie universal, weil es ja der monothe­is­tisch gedachte Gott ist, der den weltweiten Hegemonieanspruch des deutschen Volkes in der Schöpfung festlegte.
In einem Abschnitt zu Karl Adam, Joseph Lortz und Michael Schmaus werden Überlegungen zu den bedenklichen NS-Nähen dieser drei Theologen angestellt (125–144), dann schließt die Un­tersuchung mit einer Gesamtbetrachtung. Der Vf. argumentiert einerseits, dass Hitlers Projekt nicht als antimodern, sondern als spezifisch modern zu verstehen sei (147–155), und stellt abschließend eine Liste von »Versuchungen« auf, die dies Projekt bediente und die zugleich Versuchungen aller Zeiten sind, die Sehnsüchte nach Gemeinschaft, nach Kränkungslinderung, nach heroischem Leben und nach einer theologischen Totalperspektive (157–170). Hitlers Gott erlöste von diesen Sehnsüchten nur um den Preis des massenhaften Todes anderer und des eigenen Untergangs.
Das Buch ist gut lesbar geschrieben und verweist zugleich durch einen ausführlichen wissenschaftlichen Apparat im Anhang (175–228) auf viele Diskussionslagen. Von manchen möglichen Impulsen seien hier nur zwei benannt:
1. Es ist völlig richtig, von Theologie, Gott und Glaube so zu sprechen, wie der Vf. es tut: Der für Hitler höchst reale Gott fand mannigfachen Glauben und seine Liturgien waren Krieg und Holocaust. Jenseits schneller Exkulpationen, wie sie in den Nachkriegsjahren mitunter zu hören waren – ›man habe nichts tun können, da ja das Dämonische am Werke gewesen sei‹ –, ist die theologisch wohlbedachte Rede von widergöttlichen Mächten schlicht sachhaltig, wozu hier ein eindringliches Beispiel vorgelegt wurde.
2. Das Buch ist gänzlich aus der Perspektive katholischer Theologie geschrieben und zumindest auch als ein Exerzitium für sie zu verstehen: Die kritischen Analysen zu NS-nahen katholischen Theologen gehören dazu wie die Kritik an der neuzeitlichen Demokratieunfähigkeit der katholischen Kirche, die sich erst durch das II. Va­tikanum änderte. Ein Plädoyer für die Unhintergehbarkeit dieses Konzils ist es nicht nur dort, wo das explizit geschrieben steht (155 u. ö.).