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Ausgabe:

Oktober/1996

Spalte:

992 f

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Leys, Ad

Titel/Untertitel:

Ecclesiological Impacts of the Principle of Subsidiarity

Verlag:

Kampen: Uitgeverij Kok 1995. XVII, 239 S. gr. 8o = KTC, 28. Kart. DM 44,90. ISBN 90-390-0513-3

Rezensent:

Wolfgang Beinert

Subsidarität ist zu einem Lieblingswort nicht nur der Theologen, sondern auch der (europäischen) Politiker geworden, dessen Inhalt der Landsmann Leys, der ehemalige Ministerpräsident Lubbers, mit der Formel umriß: "Brüssel nur, wenn es unbedingt nötig ist". Das gilt nach dem Autor der hier anzuzeigenden Dissertation (Nijmwegen, bei Knut Walf), mutatis mutandis, so gleicherweise knapp beschrieben, auch für die römisch-katholische Kirche: Rom nur, wenn es denn sein muß. Das mag revolutionär anmuten ­ und in der Tat, als Pius XII. das Subsidiaritätsprinzip erstmals für die Kirche reklamierte, da griff er einen Terminus auf, der nur aus der Freiheitsgeschichte der abendländischen Neuzeit heraus verstanden werden kann. Zusammen mit dem ihm eng verwandten Prinzip der Solidarität ist es Ausfluß einer organologischen Sicht der Gesellschaft. Im ersten Teil zeigt der Vf. die philosophischen und soziologischen Quellen des Grundsatzes und dessen Übernahme in die kirchliche Soziallehre erst durch Bischof Ketteler, dann durch die Päpste auf (1-85).

Der umfangreichere Teil 2, welcher den Rest des Buches ausschließlich einer niederländischen Zusammenfassung und der Bibliographie (leider fehlen Register) füllt, analysiert dann die ekklesiologischen Implikationen, die sich aus der Forderung Pius XII. ergeben. Der unmittelbare Anlaß der Untersuchung ist die Bischofssynode von 1985, die eben dies von der Theologie erbeten hatte. Die Praxisbedeutung liegt auf der Hand: Die Neubesinnung des Vaticanum II auf die Kirche hatte zum einen die seit dem Vorgängerkonzil ungelöste Frage nach dem Verhältnis zwischen Primat und Episkopat, aber auch zwischen Universalkirche und Ortskirchen neu aufgeworfen, zum anderen aber eine Lösung dadurch unmöglich gemacht, daß zwei miteinander kaum harmonisierbare ekklesiologische Konzeptionen nebeneinander unvermittelt Raum in den Texten gefunden hatten. Ist die Kirche eine prinzipiell allen anderen ähnliche Gesellschaft, dann gilt ohne weiteres auch die Subsidiarität der Teile, ist sie dagegen eine prinzipiell unvergleichbare Gemeinschaft, dann kann diese nicht zur Struktur gehören.

Der Vf. untersucht in akribischer Arbeit alle einschlägigen Texte seit dem Konzil, vor allem zieht er auch die weniger bekannten "Principia" für die Codex Revision von 1967 heran. Das Resultat: Es klafft ein unübersehbarer Widerspruch zwischen der Theorie, die sich per se zur Geltung des Prinzips bekennt, und der Praxis der Kirchenleitung, die sich wenig darum kümmert ­ am leichtesten zu ersehen aus dem nun tatsächlich geltenden Kirchenrecht. Demgegenüber insistiert der Vf. nachdrücklich darauf, daß das offizielle und oft wiederholte Bekenntnis zu einer Theologie der Communio auch die Anerkennung von Solidarität und Subsidiarität in der Gemeinschaft der Glaubenden einschließt. Als Heilsgemeinschaft des inkarnierten Gottes hat sie im Vollzug ihrer Menschlichkeit alle sozialethischen Grundsätze zu übernehmen, die für menschliche Gruppierungen gelten und die im Personverständnis verwurzelt sind, wie es im Christentum entwickelt worden ist. Die Antwort auf die Bischofssynode von 1985 lautet demnach: "Als eine wirklich menschliche Gemeinschaft muß die Kirche den Forderungen entsprechen, die die Kirche selber gegenüber menschlichen Gemeinschaften erhebt ­ und eine davon ist das Subsidiaritätsprinzip. Das Prinzip verlangt Achtung und Schutz des persönlichen Glaubens, der Eigenentwicklung des Gläubigen; ohne eine solche personale Verwirklichung des Glaubens ist die Kirche in Gefahr, eine bloße Institution zu werden" (194). Das Buch ist eine sachliche und nüchterne, material- und kenntnisreiche Studie zu einem außerordentlich bedeutungsvollen Thema ­ nicht nur für die römisch-katholische Glaubensgemeinschaft. Es verdient aufmerksame Kenntnisnahme.