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Ausgabe:

Dezember/2008

Spalte:

1338–1340

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Huber, Konrad

Titel/Untertitel:

Einer Gleich Einem Menschensohn. Die Chris­tusvision in Offb 1,9–20 und Offb 14,14–20 und die Christologie der Johannesoffenbarung.

Verlag:

Münster: Aschendorff 2007. 361 S. gr.8°. Lw. EUR 49,00. ISBN 978-3-402-04799-6.

Rezensent:

Martin Karrer

Die Christologie der Apk bestimmte einst wesentliche Teile der christlichen Ikonographie (den Pantokrator etc.). Zeitweise wurde sie aber auch geringgeschätzt, weil ihre Bildlichkeit die Erwartungen christologischer Lehre nicht erfüllte (so im frühen Protestantismus). Ein Konsens über ihre Bewertung setzte sich auch in der neueren Forschung nicht durch, die nach Vorarbeiten seit Büchsel (1907) mit der bedeutenden Dissertation des vor Kurzem verstorbenen Traugott Holtz begann (Die Christologie der Apk, 1962/ 21971). Zu groß sind die Spannungen zwischen angelologischen und ho­heitlichen Zügen in den Christusbildern von Apk 1 und Apk 14, was H. in einem langen Forschungsbericht herausstellt (16–73). Die anzuzeigende Studie (eine Habilitationsschrift an der Katholisch-Theologischen Privatuniversität Linz) führt über den Dissens dankenswert einen wichtigen Schritt hinaus.
Entscheidend dafür ist der Ansatz, die Christologie der Apk als Teil »eidetischer« (bildlicher) Theologie zu lesen, die Maßstäben begrifflicher Abstraktion einen gewissen Widerstand leistet, dafür jedoch wesentliche andere Stärken hat, etwa eine Beteiligung der Rezipienten zulässt (zu den Eigenheiten der Textsorte Visionsschilderung gehören seit den alttestamentlichen Propheten Appelle wie das ἰδού, »siehe«, das die Apk durchzieht; 4–8). Mit dem Begriff »eidetische Theologie« (1) folgt die Studie K. Backhaus (Theologie als Vision, SBS 191, 2001, besonders 40–43); die Sache ist freilich spätes­tens vorbereitet, seit Luther in der Apk eine Theologie »on wort oder auslegung/mit blossen Bilden und Figuren« ausmachte (WA.DB 7, 408; Luther ist also vielschichtiger, als H. vermittelt, vgl. 2).
In vielen Visionen der Apk erscheint Christus im Verbund mit anderen Gestalten. Doch einige Visionen gelten speziell nur seinem Bild. Sie konzentrieren sich auf den Menschensohn-Gleichen (1,9–20; 14,14–20), das Lamm (ἀρνίον; 5,6–10) und den Reiter (19,11–21: 9). H. wählt für seine Untersuchung das erste dieser Motive. Vom Beispiel aus versucht er mithin, das Gesamtbild der Christologie zu er­reichen. Entsprechend widmet er Apk 1,9–20 (74–217; mit Ausblick auf die Sendschreiben) und 14,14–20 (218–269) umfangreiche Einzelauslegungen, um den Blickwinkel dann von dort aus im Schlussteil der Studie auf den Rahmen der Christusvisionen zu erweitern (270–308).
Die Einzelauslegungen bündeln den jeweiligen Forschungsstand akkurat (und mit einigen Längen; z. B. enthält die eingehende Nachzeichnung von Apk 1,9 [81–103] nur wenige Passagen zur Christologie). Trotzdem bleiben einige Details wenig beachtet, die für künftige Forschung wichtig sein könnten.
So deutet H. (123; vgl. 226) die Unterschiede zwischen A und α-Text an, führt sie aber nicht voll aus: A liest in 1,13 ομοιωμα υιω ανθρωπου (»Gleichbild zu einem Menschensohn«) und bereitet so den Solözismus ομοιον υιον αν­θρωπου (akkusativische Assimilation zu ομοιος, dt. in etwa »Menschensohngleicher«; BDR § 182,6) in 14,14 vor; α dagegen bietet schon in 1,13 den Solözismus. p47 zu 14,14 (der einzig erhaltene Papyrus zu den Menschensohnstellen) vermeidet den Solözismus ganz. Theologisch hat der Solözismus guten Sinn; der erscheinende Christus ist ihm zufolge schon in der sprachlichen Benennung einzigartig und unverwechselbar. Allerdings kann α gerade deswegen 1,13 an den Solözismus angepasst haben. Der A-Text, der in der Apk oft besser ist als α, verdient in 1,13 Beachtung (zumal viele Handschriften ihn unterstützen); der Papyrus dagegen scheint eine grammatische Normalisierung zu versuchen (ομοιον υιω ανθρωπου).
Sorgfältig durchschreitet H. die komplexen traditionsgeschichtlichen Hintergründe der Menschensohnvision (Dan, 1Hen, 4Esr; besonders 123–145). Die schwierige Frage, ob LXX Dan 7,13 den Menschensohn gegen MT mit dem Alten der Tage identifiziert (was eine in der Forschung merkwürdig unbekannte Gleichsetzung des Menschensohns mit Gott erlauben würde), hält er offen (133–135), erkennt allerdings in der Rezeption der Apk eine – von ihm wiederum vorsichtig gebremste – Tendenz dorthin; denn spätestens mit den weißen Haaren V. 14 (Dan 7,9 LXX) übernimmt der Menschensohn ein Attribut des danielischen Alten der Tage (144.153 f.). Künftige Forschung wird der Septuaginta wahrscheinlich noch mehr Aufmerksamkeit widmen müssen (H. führt bei allen Anspielungen der Apk auf Schriften Israels dankenswert griechische und hebrä­ische Schriftfassungen auf, geht aber den Verschiebungen in der Regel wenig nach).
Die heikle Debatte, ob die Apk ihre Vision in Kapitel 1 vor dem Hintergrund der Angelologie (einer menschenartig erscheinenden Engelsgestalt) oder von vornherein in theophaner Steigerung entwirft, löst H. – seinen Entscheidungen bei Dan 7 entsprechend – auf mittlerem Weg: Zwar fänden sich angelologische Einflüsse, aber in der Tendenz sei die Theophanie wesentlicher (170–173). Würde er »Helios«, »Thanatos« und »Hades« in den V. 16 f. als personifizierte Mächte lesen, die von den Völkern göttlich verehrt werden, ergäbe sich eine noch stringentere theophane Linie (nun in Auseinander­setzung mit den Göttern der Völker). H. scheut vor diesem Schritt zurück (182 nach 169), vielleicht auf Kosten einer wichtigen Pointe der Apk.
Die Zusammenfassung verrät indirekt ein Interesse hinter diesem mittleren Weg: Christus gewinnt nach Ansicht H.s durch die theophanen Aspekte »gottgleiche(s) Wesen« (215), während die Bezeichnung Menschensohngleicher »seine menschliche Natur präsent hält« (215 f.). Die eidetische Christologie der Apk wird mit der späteren kirchlichen Lehre vermittelbar (ohne dass H. dies ausdrücklich thematisiert).
Die Funktionen des Menschensohngleichen in Kapitel 1 sammeln sich um Herrschaft und Gericht, während priesterliche As­pekte eine geringere Rolle spielen (besonders 150 f.215). Die Vision in Kapitel 14 vertieft die Gerichtsaspekte. Der Menschensohngleiche ragt dort aus einer Reihe von Engeln hervor (H. versteht ἄλλος ἄγγελος in 14,6.8.9.15.17.18 als stehenden Ausdruck, der den Menschensohn nicht einbeziehe; 237–243) und erscheint wiederum in der Hoheit von Dan 7; damit setzt sich H. von den in jüngerer Zeit beliebten angelomorphen Interpretationen des Kapitels in gut erwägbarer Weise ab. Was das Gericht angeht, trennt H. die Menschensohnvision mit dem Ernteaufruf/der Getreideernte (V. 14–16) von der Traubenernte (V. 17–20: 248–266). Erstere erlaubt die Assoziation einer heilvollen oder positiven und negativen Ernte (am Ende sogar durch die Sichel des Wortes, 269); Letztere ist ausschließlich hartes Gerichtsbild. Auf diese Weise schützt H. den Menschensohn vor einer Interpretation in zerstörend blutiger Gerichtschris­tologie.
Das bahnt die Schlussbeobachtungen an. H. verfolgt die Linien hoheitlicher Christologie, des Gerichts und der Soteriologie durch den gesamten Text der Apk (270–306). Auch Gericht und Kampf Christi zielen nach seiner Erörterung auf Rettung und Recht (300f.), und die Christologie des Wortes Gottes kulminiert in 19,13. »Allein mit seinem Wort ... tritt Christus der Welt entgegen und erringt ... den endgültigen Sieg«, heißt das (305); der kritische Leser fragt sich angesichts 19,17 f. unwillkürlich, ob der Gerichtschristologie nicht doch eine Spitze abgebrochen wird, damit die Gemeinde (Ziel der Apk nach 306–308) gut mit diesem Christus leben kann.
Die Studie wird durch ein umfangreiches Stellenregister er­schlossen (ein zusätzliches Sachregister wäre zu wünschen). Ihre Sensibilität für eidetische Christologie und die Sorgfalt ihrer Ein­zel­exegesen bereichert die Forschung sehr erfreulich. In vielen Einzelheiten, die sich am Ende auf das Gesamtbild auswirken, würde sich der Rezensent allerdings, wie angedeutet, mehr Kanten wünschen.