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Ausgabe:

Dezember/2008

Spalte:

1333–1335

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Chibici-Revneanu, Nicole

Titel/Untertitel:

Die Herrlichkeit des Verherrlichten. Das Verständnis der Herrlichkeit im Johannesevangelium.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2007. XII, 747 S. gr.8° = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2. Reihe, 231. Kart. EUR 99,00. ISBN 978-3-16-149296-9.

Rezensent:

Jutta Leonhardt-Balzer

Die Studie ist die geringfügig überarbeitete Version einer von Christfried Böttrich betreuten Disser­tation von 2006 an der theologischen Fakultät der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, die den doxa-Begriff im Johannesevangelium bearbeitet. Nach einem forschungsgeschichtlichen Überblick und methodischen Vorüberlegungen (1. Teil) werden die johanneischen Belege für den Begriff untersucht (2. Teil) und ihre Besonderheiten herausgearbeitet, indem der Begriff in den Kontext antiker Vorstellungen eingeordnet (3. Teil) und seine theologischen Aspekte im Johannesevangelium dargestellt werden (4. Teil). Zum Schluss erörtert die Studie die Bedeutung der Ergebnisse für die Übersetzung des Begriffs (5. Teil) und endet so mit einer semantischen Note.
Der Blick auf die Forschungsgeschichte zeigt, dass es keine Mo­nographie ausschließlich zur doxa im Johannesevangelium gibt, obwohl die Bedeutung des Begriffs vielfach wahrgenommen worden ist. Bisherige Arbeiten zur doxa werden von der Vfn. neben den historischen besonders theologischen, perspektivischen, linguistischen/literaturwissenschaftlichen und kulturanthropologischen Ansätzen zugeordnet (4–33). Insbesondere der Gegensatz von theologischen Zugängen zur doxa als göttlichem Attribut und dem kultu­ranthropologischen »honor-shame-Modell«, das den Begriff doxa hauptsächlich vor dem Horizont antiker Vorstellungen von Ehre und Schande sieht, ist auch für die weitere Untersuchung grundlegend. Die Vfn. geht davon aus, dass der Begriff im Johannesevangelium bewusst in Bezug auf beide Nuancen angewendet wird (52). Auf Grund seines Vorkommens an bedeutenden Stellen schreibt sie ihm »Signalcharakter« zu (52 f.) – es bleibt jedoch hier offen, was er signalisiert.
Die exegetische Behandlung des Begriffs im 2. Teil orientiert sich grundlegend am literarischen Kontext des Evangeliums und dokumentiert seine Entwicklung im Lauf des Evangeliums. Bei aller Betonung der Mehrdimensionalität des Begriffs der doxa Jesu kommt die Vfn. zu dem Schluss, dass er nicht in eine Vielzahl von »Herrlichkeiten« zerfällt, sondern dass die verschiedenen Nuancen in der Herrlichkeit Gottes wurzeln (325). Dabei beschreibt sie den Unterschied zwischen der zeitunabhängigen doxa Jesu und dem Verb doxazein, das an die Stunde Jesu gebunden ist (326 f.). Darüber hinaus ist von der wahren doxa von Gott her die unrechtmäßige doxa durch die Menschen grundsätzlich unterschieden (328). Die Arbeit zeigt auf, wie diese beiden Nuancen, die profane und die offenbarungstheologische, vom Evangelisten bewusst gebraucht werden. Auch das Objekt der Verherrlichung definiert das johanneische Verständnis von doxa: Vor der »Stunde« wird allein Jesus durch Gott verherrlicht, erst mit der Stunde Jesu ist Gott zunehmend selbst Objekt der Verherrlichung und Jesus der Verherrlicher (331). Menschen können nur ehren, nicht verherrlichen, und selbst verehren können sie erst durch das Wirken des Geistes (332). Sie sind jedoch als Ort der Verherrlichung im Blick (333). Folgende theologische Themen werden von der Vfn. im Zusammenhang der doxa identifiziert: »Offenbarung«, »Beziehungsgeschehen«, »Stellung und Legitimation Jesu als Gesandtem Gottes«, »Wundertätigkeit Jesu«, Konkurrenz zwischen wahrer, christologisch interpretierter, und unrechtmäßig beanspruchter Herrlichkeit, falsche Vorstellungen davon, was Herrlichkeit ist und woher sie kommt, die »Konstitution einer Gemeinschaft« und die Passion Christi als Geschehen, das gängigen Ehrvorstellungen widerspricht (333 f.).
Die traditionsgeschichtliche Untersuchung des Begriffs zeigt, dass der Wortgebrauch des Johannesevangeliums grundsätzlich im Zusammenhang des jüdisch-christlichen Denkens steht (508). Von dem profangriechischen Gebrauch aus werden nur die Bedeutungen »Ruhm« und »Ehre«, nicht die der »Meinung«, übernommen. Die theologischen Themen, die in der Exegese identifiziert worden sind – »Personalität und Beziehungsfähigkeit« Gottes, seine Offenbarung und sein Geschichtswirken, doxa im Kult (insbesondere im Gebet) und in der eschatologischen Erwartung Israels –, werden zu ihren Wurzeln in der jüdisch-christlichen Tradition zurückverfolgt (497). Die Untersuchung zeigt, dass die Mehrdeutigkeit des Begriffs, von profaner »Ehre« und »Ruhm« bis zu göttlicher doxa, bewusst übernommen wird, wobei jedoch das Besondere im johanneischen Gebrauch in der christologischen Interpretation und Engführung liegt. Die relationale Bedeutung des Be­griffs spielt dabei eine große Rolle: Gott ist Geber der doxa. Im Gegensatz zu dem zeitgenössischen jüdischen Verständnis wird die Vorstellung, dass Menschen Gott doxa geben, eher zurückgewiesen, und dementsprechend sind Bedeutungsnuancen, die sich mit menschlicher doxa beschäftigen, weniger relevant. Doxazein lässt Vater und Sohn zur Einheit werden (499), und in der gegenseitigen Verherrlichung liegt der Grund des Begriffs im Johannesevangelium.
Die Untersuchung der theologischen Aspekte der doxa im Jo­hannesevangelium (Teil 4) weist auf, wie die von der Vfn. in Teil 3 beschriebenen Themen in den in der Exegese bestimmten großen Themen im johanneischen Verständnis der doxa aufgenommen sind. Dabei erhält die Passion Jesu eine besondere Bedeutung in der Auslegung des Begriffs. In ihr laufen die verschiedenen Themen des johanneischen doxa-Gebrauchs zusammen.
Nach diesen ausführlichen Untersuchungen der verschiedenen Aspekte des Begriffs widmet sich die Vfn. im Schlussteil seiner Übersetzung. Da sie in Teil 2–4 ein – bei aller Mehrdeutigkeit – einheitliches Begriffsverständnis rekonstruiert hat, hält sie an der Notwendigkeit einer einheitlichen Terminologie fest. Nach einer ersten Problematisierung der herkömmlichen Übersetzungsvarianten – »Verherrlichung« und »Herrlichkeit« – sichtet sie andere Möglichkeiten und kehrt schließlich in einem »Schritt in eine an­dere Richtung« (638) zu dem schon von Schnackenburg empfohlenen Begriff »Herrlichkeit« zurück. Ihrer Meinung nach trifft er am ehesten das Kriterium der Relationalität des doxa-Begriffs und eignet sich für die Übersetzung aller Vorkommen des Begriffs. Gleichzeitig bietet er Anschaulichkeit, Bindung an den Ursprung der doxa– den »Herrn« – und eine lange Rezeptionsgeschichte in der jüdisch-christlichen Tradition (639).
Die einzige Kritik an dieser insgesamt sehr gelungenen Ab­handlung richtet sich auf diesen letzten Teil: Es ist nicht ersichtlich, weshalb die Rückkehr zum Begriff »Herrlichkeit« einen »Schritt in eine andere Richtung« darstellt. Die Vfn. ist zwar in ihrem Mut zu beglückwünschen, sich in Zeiten einer »Bibel in gerechter Sprache« aus sachlichen Gründen bewusst für dem Be­griff der »Herr-lichkeit« entschieden zu haben; andererseits ist es fraglich, ob der Begriff wirklich alle Nuancen des doxa-Begriffs umfasst, fehlen ihm doch die profanen Konnotationen, die gerade die Grundlage der von der Vfn. immer wieder hervorgehobenen Mehrdeutigkeit bilden. Indem sie bewusst diese Bedeutungen ausschließt (639 f.), trägt sie zwar zur Eindeutigkeit der Interpretation bei, gibt aber die im griechischen Begriff enthaltenen Ansätze zu den johanneischen Missverständnissen auf.
Diese Kritikpunkte sind jedoch nur Marginalien und sollen dem Verdienst des Buches in keiner Weise abträglich sein. Die Arbeit schließt eine Lücke in der Forschung und ist eine Bereicherung der johanneischen Forschung.