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Ausgabe:

Dezember/2008

Spalte:

1332–1333

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Vielhauer, Roman

Titel/Untertitel:

Das Werden des Buches Hosea. Eine redaktionsgeschichtliche Untersuchung.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 2007. IX, 272 S. gr.8° = Beihefte zur Zeitschrift für die alttes­tamentliche Wissenschaft, 349. Lw. EUR 68,00. ISBN 978-3-11- 018242-2.

Rezensent:

Eberhard Bons

Diese überarbeitete Version einer Dissertation, die von R. G. Kratz betreut und Anfang 2004 von der Theologischen Fakultät der Universität Göttingen angenommen wurde, erscheint mit drei Jahren Abstand. Später erschienene Sekundärliteratur wurde – so das Vorwort – nicht mehr eingearbeitet; zu nennen wäre hier besonders S. Rudnig-Zelt, Hoseastudien, Göttingen 2006.
Wenn der Vf. auch anerkennt, dass das masoretische Hoseabuch ein »planvoll arrangiertes Ganzes« (1) darstellt, plädiert er für eine redaktionskritische Analyse. Dieses Verfahren findet seit ca. 20 Jahren seine Befürworter, die – im Gegensatz zur lange herrschenden opinio communis – meist zu dem Ergebnis kommen, dass nur ein verschwindend geringer Anteil der Aussagen des Hoseabuches aus dem 8. Jh. v. Chr. stammt. Spuren der mündlichen Verkündigung des Propheten lassen sich daher kaum mehr erkennen. Vielmehr rechnet man mit einer mehrstufigen Genese des Buches, die womöglich erst in exilisch-nachexilischer Zeit zum Abschluss kam. Dabei ist jedoch umstritten, welchen Umfang die einzelnen Redaktionsstufen haben, aus welcher Zeit sie datieren und welche theologischen Strömungen in ihnen zum Ausdruck kommen. Um neue Hypothesen auf diesem Feld zu begründen, tritt der Vf. besonders mit Autoren in Diskussion, die eine ähnliche Methode gewählt haben, z. B. H. Pfeiffer, Das Heiligtum von Bethel im Spiegel des Hoseabuches, Göttingen 1999. Dennoch konsultiert er auch die üb­rige Sekundärliteratur in großem Umfang.
Die Monographie, die durch eine Bibliographie und ein Stellenregister ergänzt wird, besteht aus sieben Teilen ungleichen Um­fangs, die folgende Texte behandeln: Hos 11 (1–43), Hos 4,1–9,9 (45–126), Hos 1–3 (127–158), die Geschichtsrückblicke in Hos 9–13 (159–182), Hos 14,2–9.10 (183–205), ferner die Auslegung des Hoseabuches in den Qumrantexten (207–223). Ein Resümee (225–229) fasst die wichtigsten Ergebnisse zusammen. Offen bleibt, warum der Vf. Hos 4,4–19; 12–13 nur wenig Beachtung schenkt (Kapitel 12–13 be­handelt er auf drei Seiten) und warum er eine wirkungsgeschichtliche Thematik in seine redaktionsgeschichtliche Studie aufnimmt. Dass die Scheidung von Gerechten und Frevlern in Hos 14,10 in die aktualisierende Interpretation des Hoseabuches in Qumran einfließt (223), mag ja zutreffen, trägt aber zur Erklärung von dessen Qumranrezeption wenig bei, noch weniger zur Rekonstruktion seiner Entstehung. Wie aber stellt sich der Vf. letztere vor? Folgende Ergebnisse der detaillierten Analysen seien festgehalten:
1. Die ältesten Texte des Buches liegen in Hos 4,1–9,9 vor, besonders in Hos 5,1–2; 6,7–7,12*, wo sich noch Spuren mündlicher Verkündigung erhalten haben (113). Diese Texte kritisieren die gegen YHWH gerichtete Politik Ephraims. Unter dem Eindruck von Samarias Untergang entstanden, verstehen sie dieses Ereignis als Gericht, das YHWH selbst bewirkt hat. Durch die Verschriftung des Prophetenwortes erhält der nun »heimatlose« Gott eine Heimat in der Schrift (117.226). Angesichts der Expansion Assurs gegen Ende des 8. Jh.s v. Chr. wird die erste Redaktionsschicht um Hos 5,8–14; 8,7–10 erweitert: Das göttliche Gericht bedroht nun auch das Südreich Juda (92.119).
2. Sekundär gegenüber der Kritik an Israels/Judas Politik sind die ebenfalls Ende des 8. Jh.s v. Chr. verfassten kultkritischen Texte Hos 4,1–2.4*.11–14*; 5,6–7; 5,15–6,6*; 7,13–16; 8,1–3*.11 f.; 9,3–4a.6.7–9. Diese trennen den YHWH, der im Kult als Garant der politischen Ordnung verehrt wird, von einem kultunabhängigen YHWH, der Assur das Gericht an Israel vollziehen lässt (124). Schon hier fällt auf, dass die drei ältesten Schichten nur einen geringen zeitlichen Abstand voneinander aufweisen.
3. Die in sich mehrschichtigen Kapitel 1–3 sind im Hinblick auf die schon vorhandenen Redaktionen verfasst worden. Hos 2,4a. 7b.12 sagt die Scheidung YHWHs von seinem Land an (153). Wie die Grundschicht von Hos 11,1–5*, die Israel an Stelle des Königs als Gottessohn ansieht (40 f.), ist diejenige von Hos 2 in der Zeit nach 722 entstanden (156). Deuteronomistisches Material liegt in Hos 2,4b–5.10a.11–15 vor, wo die Untreue Israels gegenüber YHWH als Verstoß gegen das erste Gebot gedeutet wird. Zusätze wie Hos 4,12b.16–19; 5.3–4; 6.10b; 7,4; 9,1–2.5 liegen auf einer ähnlichen inhaltlichen Ebene. Zuletzt können Kapitel 1 und 3 als Elemente einer fiktiven prophetischen Biographie gelten, die deuteronomistischen Einfluss erkennen lassen (135.141).
4. Deuteronomistisch geprägt sind die Grundschicht von Hos 10 sowie die Geschichtsrückblicke in Hos 9–12, die den Ursprung der Sünde Israels in eine immer weiter entfernte Vergangenheit verlegen: bis in die ägyptische Epoche bzw. in die des Erzvaters Jakob.
Es bleibt abzuwarten, ob diese Rekonstruktion der Genese des Ho­seabuches Zustimmung findet. Dass die vom Vf. isolierten Schichten kaum mit denen übereinstimmen, die andere Autoren identifiziert haben, spricht nicht a priori gegen die Gültigkeit der ge­wählten Methode. Bedenklicher ist vielmehr deren Durchführung, vor allem ein gewisses Theoriedefizit, das die Arbeit kennzeichnet. Wer die Skylla der »holistischen Einebnung« (8) der he­terogenen Texteinheiten vermeiden will, muss nicht der Charybdis ihrer Fragmentierung zum Opfer fallen, die zahlreiche kleine, ja kleinste Einheiten übrig lässt. Mehr als eine Frage bleibt hier offen:
Wie etwa sind Kohärenz und Inkohärenz im zweifellos heterogenen Hosea­buch zu definieren, damit eine Texteinheit als einheitlich oder uneinheitlich, als nicht aus sich selbst heraus verständlich (vgl. 39.68) oder aber als planvoll aufgebaut (vgl. 92.120) und als selbständig denkbar (vgl. 110) gelten kann? Nach welchen Kriterien haben schließlich die Redaktoren aus kleineren Einheiten größere geschaffen? Angesichts der Tatsache, dass die redaktionskritischen Analysen des Hoseabuches zu sehr divergenten Ergebnissen ge­führt haben, hätte man sich eine sorgfältige Methodenreflexion gewünscht. Weiterhin ist festzustellen, dass ein Begriff wie »Kult« offenbar ohne jegliche Definition oder Differenzierung benutzt wird. Dass die »kultpolemischen« Texte sehr verschiedene gesellschaftliche Realitäten widerspiegeln, ja dass sie das Opfer nicht grundsätzlich verwerfen, kommt m. E. in der Arbeit zu wenig oder gar nicht zur Sprache. Zuletzt: Wohl niemand schließt aus, dass Aussagen des Hoseabuches aus einer wesentlich späteren Zeit als dem 8. Jh. v. Chr. stammen können. Wer solche Texte aber – ohne irgendeine nähere Angabe – mit der Chronik (141) oder dem »deuteronomistischen Traditionsstrom« (177.182) in Verbindung bringt, trägt zu deren zeitlicher und theologischer Einordnung zu wenig bei.