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Ausgabe:

Dezember/2008

Spalte:

1329–1332

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Santoso, Agus

Titel/Untertitel:

Die Apokalyptik als jüdische Denkbewegung. Eine literarkritische Untersuchung zum Buch Daniel.

Verlag:

Marburg: Tectum 2007. VIII, 312 S. 8°. Kart. EUR 29,90. ISBN 978-3-8288-9290-3.

Rezensent:

Martin Rösel

Die anzuzeigende Studie hat sich zum Ziel gesetzt, das Wachstum des (kanonischen) Danielbuches nachzuzeichnen und in die Entwicklung der jüdischen Apokalyptik einzuordnen. Der Versuch wurde, betreut von M. Oeming, an der Universität Heidelberg als Dissertation angenommen; der Verfasser ist Dozent an einer theologischen Hochschule in Indonesien.
Die Forschung ist auch beim Danielbuch weit von einem Konsens hinsichtlich seiner Entstehungsumstände entfernt. Deutlich ist hier aber jedenfalls, dass der doppelte Sprachwechsel und die unterschiedlichen literarischen Gattungen und inhaltlichen Positionen literarische Einheitlichkeit ausschließen. Hinzu kommt, dass die griechische Textüberlieferung teils beträchtliche Abweichungen aufweist, in ihrer späteren Ausprägung zudem einen er­weiterten Umfang. Zu lösende Probleme bietet das Danielbuch also genug.
Die Arbeit setzt in einer »Einführung« (1–30) ein mit Hinweisen zur Gegenwartsbedeutung apokalyptischer Denkmuster, auf die, knapp angerissen, Elemente der Forschungsgeschichte der wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Apokalyptik folgen. Hier geht allerdings manches durcheinander, K. Koch und M. L. Kaschnitz werden nebeneinander erwähnt, ohne dass klare Linien deutlich würden. Auch wird nicht genannt, dass sich die Apokalyptik-De­batte unter dem Einfluss des durch die Qumranfunde erweiterten Textmaterials und die Forschungen an den Büchern Henoch oder syrischer Baruch längst über die Alternative »Prophetie und Weisheit« hinaus entwickelt hat (vgl. 10–18).
Danach geht der Vf. zur Behandlung des Danielbuches über. Einige der bisherigen Erklärungsversuche zum Wachstum (Collins, Albertz, Kratz [nur »Translatio imperii«, WMANT 63], Leb­ram, Haag, Bauer) werden dargestellt und in übersichtliche Schaubilder übersetzt. Eine Diskussion der Argumente oder der Plausibilität der jeweiligen Theorien geschieht nicht; als Ergebnis wird festgehalten, dass das Danielbuch mehrstufig gewachsen sein muss (28). Unvermittelt werden dann in zwei kurzen Abschnitten eine Begriffserörterung von »Eschatologie« und »Apokalyptik« und eine unkommentierte Tabelle zum geschichtlichen Hintergrund des Danielbuches geboten (28–30).
Im ersten Hauptteil (31–134) geht es danach darum, das mutmaßliche Wachstum von Dan 1–6 nachzuvollziehen. Arbeitshypothese (36) ist, dass ein Erzähler (später: R 3) in makkabäischer Zeit ein älteres aramäisches Danielbuch (Dan 1–7*) überarbeitete und dabei 1,1–2,4a ins Hebräische (warum?) übersetzte. Er sei außerdem verantwortlich für die Zufügung von Dan 7 zu 1–6, um so eine »symmetrische Komposition« zu erreichen.
Im Einzeldurchgang erweist sich, dass Dan 1 einen nicht weiter lokalisierten und datierten alten Erzählkern habe, der bei der Zu­sammenstellung mit Dan 2–6* zum ersten Mal und bei der Komposition von Dan 1–12* zum zweiten Mal überarbeitet wurde. In Dan 2 habe eine alte Erzählung von Daniel als Traumdeuter (die keine Deutung, nur ein Erzählen des Traums aufwies!) drei Überarbeitungen erfahren. Dan 3 habe als Grundlage eine kurze Ge­schichte von der Statue und den drei Freunden gehabt, die von den gleichen Redaktoren R 1 und R 3 wie Dan 1 beträchtlich erweitert wurde. Die Erzählintention des Erzählkerns wird allerdings in dieser verstümmelten Variante nicht mehr erkennbar (gegen 69 und 122 f.). Ähnlich wird Dan 4–6 erklärt, wobei in Dan 4 auch der Redaktor R 2 erkennbar sein soll, der auch für die Einfügung von Kapitel 7* verantwortlich gemacht wird. R 1 sei für die Sammlung und Komposition der Einzelerzählungen zuständig gewesen. R 3 habe schließlich die Kapitel 8–12 angefügt. Die Differenz dieses Ergebnisses (93) zu der auf S. 36 f. genannten Hypothese, wonach R 3 Dan 7 angefügt habe, wird nicht ausgeglichen.
Die Zuordnung der Texte zu den einzelnen Schichten überzeugt kaum. Durchgängige sprachliche Kennzeichen der Redaktoren werden nicht erkennbar. Die ausgewiesenen Basiserzählungen werden durch die literarkritischen Operationen so verkürzt, dass sie kaum noch verständlich sind; ihr »Plot« funktioniert nicht mehr. Zwar werden auf S. 94–131 Charakterisierungen dieser »Erzählungskerne« nachgeliefert. Doch wird hier das erkenntnisleitende Interesse sichtbar, nämlich die Grunderzählungen von eschatologischen Gedanken freizuhalten und solche den Redaktoren zuzuschieben. Die wichtige These von R. Albertz (»Der Gott des Daniel«, SBS 131, 1988), der ja mit seiner Vorordnung der LXX-Version von Dan 4–6 immerhin sprachlich und an Texten ausweisbare Argumente nennen konnte, wird hier nicht mehr erwähnt. Auch die Überlegung, dass die mutmaßlichen Brüche in den Erzählungen auf andere als unsere modernen Erzählstrategien zurückgehen können, wird nicht einmal ansatzweise erwogen. Dazu passt, dass die altorientalischen Parallelen zu Dan 4 kaum Berücksichtigung finden, die wichtige Arbeit von M. Henze (The Madness of King Nebuchadnezzar, 1999) war wohl unbekannt, ebenso mancher Aufsatz von K. Koch.
Die als nicht-eschatologische Hofgeschichten charakterisierten Kurz-Erzählungen (so 131–134) wurden seit der späten Perserzeit schriftlich – dies im Anschluss an R. Albertz – von Kreisen der persönlichen Frömmigkeit separat tradiert. Später wurden sie wegen ihrer gemeinsamen Treue- und Märtyrerthematik (sic!) zu einem Danielerzählungsbuch 1–6* gesammelt, das für weitere Redaktionen bereitstand.
Im zweiten Hauptteil werden dann Dan 7 und die Arbeit der Redaktion 2 vorgestellt (135–164), die für das eschatologisch ausgerichtete, aramäische Danielbuch zuständig war, das vor 175 v. Chr. entstanden sein soll. Die Schichtung des Kapitels in Visionskern und zwei Überarbeitungen wird auf zwei Seiten (135 f.) postuliert, ausführlichere Begründungen fehlen. Das nun entstandene Buch Dan 1–7* wird als symmetrische Komposition vorgestellt, in deren Mitte Kapitel 4 und 5 mit dem Thema der Hybris staatlicher Macht stehen. Es folgt eine Strukturanalyse von Dan 7 mit traditionsgeschichtlichen Überlegungen, auch zum Menschensohn. Dieses aramäische Buch werde von einer Gruppe mit eschatologischen (= innerweltlichen) Erwartungen getragen, die angesichts der Not (welcher?) Gottes richtendes Eingreifen erwartet.
Der dritte Hauptteil wurde in drei Teile aufgeteilt: eine literarkritische Analyse von Dan 8–12 (165–208), ein Nachzeichnen der Redaktion, die zum apokalyptischen Buch Dan 1–12 führte (209–257), und ein synthetisierender Teil zur Apokalyptik als jüdischer Denkbewegung (259–278). Die Analyse der Texte erfolgt analog zu denen von Dan 1–7; erneut wird stets ein älterer Kern und eine zweistufige Redaktion angenommen. Arbeiten aus jüngerer Zeit, die etwa die Einheitlichkeit von Dan 8 nachhaltig begründen, werden nur im Literaturverzeichnis erwähnt. In der ersten Überarbeitung durch R 3 seien die älteren Texte überarbeitet und an Dan 1–7 angefügt worden, so dass nun das apokalyptische Danielbuch entstand, dies zur Zeit des Antiochus IV. R 3 habe außerdem Dan 1–7 im apokalyptischen Sinne überarbeitet, z. B. durch die Einfügung der zehn Hörner in Dan 7. Dieser zweite Abschnitt schließt mit einer Beschreibung des theologischen Denkens hinsichtlich der Gottesvorstellung und Zukunftserwartung von R 3, was informativ bisherige Forschung bündelt, die Ergebnisse aber m. E. zu eng auf diese Redaktionsstufe begrenzt.
Im letzten Abschnitt wird dann das so erklärte Danielbuch in einen größeren traditionsgeschichtlichen Rahmen, z. B. iranische Vorstellungen, gestellt; zu anderen apokalyptischen Traditionen liest man nur knappe drei Seiten (268–271), die nicht ansatzweise dem Diskussionsstand entsprechen. Danach werden die letzten Zufügungen erläutert, die nach dem Tod des Antiochus IV. geschehen sind. Ein »Rückblick« mit einem hilfreichen Schaubild zum erkannten Wachstum des Buches (279–283) bündelt die Ergebnisse der Studie.
Die Arbeit weist leider einige sprachliche Mängel auf. In den hebräischen Texten finden sich einige Fehler bis hin zur dagesch-Setzung, die im unpunktierten Text nicht recht einleuchtet. »Menschensohn« in Dan 7,13 wurde fälschlich determiniert übersetzt (137), was den Sinn deutlich ändern würde. Sekundärliteratur wird oft mehrfach mit vollständiger bibliographischer Angabe ge­nannt.
Vorgelegt wurde ein interessantes Gesamtbild vom Entstehen des Danielbuches. Es kommt mit wenigen Schichten aus, die ein recht klares Profil im Wachstumsprozess haben. Allerdings überzeugen die Zuordnungen zu den Redaktionsstufen oft nicht, da zu sehr das Schema einer Entwicklung von Hofgeschichten über es­chatologische hin zu apokalyptischen Texten durchscheint. Zwar ist nicht zu bestreiten, dass das Danielbuch gewachsen ist, doch scheint mir der Ausweis der Stufen und so umfassender Redaktionen mittels nachprüfbarer Kriterien schwer möglich. Wenn am Ende als Ergebnis festgestellt wird, dass die Apokalyptik aus weisheitlichen wie aus prophetischen Quellen stammt, wird man das kaum bestreiten können. Allerdings reicht die Bearbeitung des Da­nielbuches allein nicht aus, um das Phänomen der jüdischen Apokalyptik zu erklären, noch dazu auf literarkritischem Wege.