Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Dezember/2008

Spalte:

1327–1329

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Rudnig-Zelt, Susanne

Titel/Untertitel:

Hoseastudien. Redaktionskritische Un­tersuchungen zur Genese des Hoseabuches.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2006. 311 S. gr.8° = Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments, 213. Lw. EUR 62,90. ISBN 978-3-525-53077-1.

Rezensent:

Aaron Schart

Das Buch geht auf eine im Wintersemester 2004/2005 bei Karl-Fried­rich Pohlmann entstandene Dissertation an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster zurück. R. will die Literarkritik der Hoseaschrift auf ganz neue Füße stellen. Wie sie selbst feststellt, hat sich ihr im Vergleich zur bisher schon äußerst vielgestaltigen Forschung »ein völlig anderes Bild der Genese des Hos-Buches ergeben« (261). In der Tat muss der Leser schon eine gehörige Portion an Bereitschaft mitbringen, die Dinge einmal ganz anders zu sehen, um dem Buch folgen zu können.
Im Forschungsbericht (Kapitel 2, 15–43) wird bereits klar, was R. der bisherigen Forschung vorwirft: Man habe bisher viel zu um­fangreiche Anteile der Hoseaschrift auf einen historischen Propheten aus dem Nordreich zurückgeführt. Deshalb wird in Kapitel 3 (44–47) nach einem methodischen Neuansatz gesucht. Als Erstes erhofft sich R. einen Fortschritt vom Begriff der »Konglomeratschicht« (44, Anm. 3), worunter sukzessive Nachträge zu verstehen sind, »deren lose literarische Zusammenhänge sich an gemeinsamen Aussageanliegen festmachen lassen« (44). Man ahnt schon, was die Gefahr dieses Begriffs ist: Beliebige Textfetzen, die untereinander weder einen fortlaufenden Text ergeben noch gemeinsame Form- oder Inhaltsmerkmale haben, können zu einer Konglomeratschicht verbunden werden. Methodisch solide ist dagegen der zweite Impuls: Datiert wird nicht über »zeitgeschichtliche Anspielungen«, sondern über literar- und theologiegeschichtliche Vergleiche mit anderen Texten.
In Kapitel 4 (48–72) wird eines der Hauptargumente für ein Nordreich-Setting vieler Hos-Texte unter die Lupe genommen, dass nämlich die Begriffe »Israel« und »Efraim« auf das Nordreich vor 722 referieren. Das sieht R. nun anders. »Efraim« bezeichne zwar eindeutig die Bevölkerung des Nordreichs, komme außerhalb der Hoseaschrift aber ausschließlich in judäischen Texten vor – was angesichts dessen, dass wir sonst keine Nordreichsschriften erhalten haben, sicherlich keine überraschende Einsicht ist. Der Name »Israel« hat bekanntermaßen drei Bedeutungsaspekte, er kann zwar das Nordreich bezeichnen, aber auch das ganze Gottesvolk der zwölf Stämme oder sogar das Südreich alleine. Auch der Verweis auf »Bethel« muss nicht in die Zeit vor 722 weisen, denn Bethel sei kaum einmal Staatsheiligtum des Nordreichs gewesen, spiele aber stattdessen als Negativfolie in der judäischen Diskussion der Exilszeit eine bedeutende Rolle (58–59). Angesichts der Mehrdeutigkeit der Begriffe »Efraim«, »Israel« und »Bethel« muss der jeweilige Kontext entscheiden, was genau im Blick ist. R. prüft nun die Begriffsvorkommen mit unerbittlichem Zweifel und erhält so ein kritisch gesichertes Minimum von Textpassagen, in denen »Israel« und »Efraim« ausschließlich den Norden bezeichnen. Diese Passagen zeichnen sich zudem durch eine originelle Metaphorik aus (Hos 7,8b.11a; 9,11a; 9,13a*.16a β; 10,11aα; 12,1aα; 13,12 f.15abα). Die Textpassagen werden nun aber trotzdem keinem Nordreichautor zu­geordnet, denn sie wiesen eine auffällige Nähe zu Jes 28,1*.3 auf(70 u. 241 f.), insofern sie nämlich zum einen wie der Jes-Text einen spöttischen Ton gegenüber Efraim anschlügen, zum anderen im­plizit eine Warnung an Juda darstellten, nicht der Politik des Nordreichs zu folgen, und schließlich »völlig untheologisch« (71) ar­gumentierten. Ohne auch nur die Frage nach der Richtung der Ab­hängigkeit zu erörtern, wenn man eine solche überhaupt an­nehmen will, folgert R. daraus, dass die Hos-Passagen im vorexilischen Juda entstanden sein müssen.
Im 5. Kapitel (73–99) wird Hos 1–3 analysiert. Zunächst wird der Grundbestand ermittelt, der lediglich Hos 1,2b–4.6 umfasse. Angesichts der literarkritischen Schärfe, die man sonst von R. gewohnt ist, überrascht die These, dass das Motiv der Hurerei in Hos 1,2b zum ältesten Bestand gehören soll (anders etwa J. Jeremias, Hosea, 1995, 26 f.). Dann ist es allerdings konsequent, den gesamten Text frühestens in die exilische Zeit zu datieren, wobei R., ohne weitere Argumente zu nennen, eine nachexilische Abfassungszeit bevorzugt. Sodann sucht R. nach im Text noch enthaltenen Erinnerungen an den historischen Propheten. Der Text sei aber, mehr als 200 Jahre nach dessen Auftreten, so stark weiterentwickelt worden, dass sich als historischer Kern von Hos 1–3 lediglich noch ermitteln lasse, dass es einen prophetisch wirkenden Hosea gegeben habe.
In Kapitel 6 (100–134) sucht R. potentielle Einleitungen für die älteste Spruchsammlung. Entgegen der Mehrheitsmeinung wird Hos 1,2a später als Hos 1,1 datiert (103). Hos 1,1 sei, wie auch die Mehrheit der neueren Zwölfprophetenbuchforschung annimmt, im Zusammenhang der Redaktion eines Mehrprophetenbuchs entstanden (107). Als weitere Kandidaten für Bucheinleitungen kommen Hos 4,1–3 und 5,1–2 in Betracht. Von diesen beiden stelle der Grundbestand von 5,1 die ältere Einleitung dar. Als Höraufruf enthält sie nur Angaben zu den Adressaten und zur folgenden Botschaft, aber keine zum Sprecher. Die so eingeleitete Sammlung dürfte demnach anonym überliefert worden sein (134).
In Kapitel 7 (135–211) sucht R. nun nach Textanteilen, deren Tendenz am ehesten mit derjenigen des ältesten Höraufrufs 5,1* harmoniert, die also »sozialkritisch ausgerichtet sind und pointiert der Priesterschaft Fehlhaltungen vorwerfen«. So ergibt sich die Schicht: Hos 4,4b.7 f.10a.13.14a; 5,1*.10a.10b; 6,4b.9.10a; 7,2.3; 9,8; 10,1; 10,3b.4a. Diese Textpassagen sind allerdings untereinander so disparat, dass man sie als eine sukzessiv gewachsene »Konglomeratschicht« verstehen muss (208). Die innere Kohärenz ergibt sich vor allem daraus, dass man sie gegenüber weiteren Konglomeratschichten abgrenzen kann. Diese sind die Abfall-Umkehr-Texte Hos 2,4–25; 4,9.12; 5,12–14; 5,15–6,3; 12,3–7, die die Schuld von Nord und Süd klar benennen, aber darauf abheben, »daß Jahwe jederzeit bereit ist, sich seinem Volk wieder zuzuwenden, sobald es um­kehrt« (209). Des Weiteren gibt es »junge« und »jüngste« samariapolemische Zusätze, eschatologisierende Zusätze (Hos 4,3; 6,11b; 9,7a*) und Zusätze, die »die bleibende Bindung Jahwes an den Norden« betonen (210).
In Kapitel 8 (212–230) untersucht R. das Wachstum der Textpassage 6,9; 7,3–7. Als ältester Kern wird Hos 7,4b.5b ermittelt (Schaubild auf S. 230). Das darin enthaltene Motiv vom »chaotischen Bäck­er« sei als Kommentar zum Bildwort Hos 7,8b zu verstehen, das Ef­raim mit einem Brotfladen vergleicht, der nicht umgedreht wurde.
Kapitel 9 (231–260) untersucht daraufhin die Textpassage Hos 7,8–12. Tatsächlich gehöre 7,8b zur ältesten Schicht der Passage, wo­zu auch noch das Bildwort von der törichten Taube 7,11a zu rechnen sei. Die späteren Überarbeitungen lassen sich den bereits be­kannten Konglomeratschichten zuweisen (Schaubild auf S. 259 f.).
Kapitel 10 (261–278) stellt die Ergebnisse noch einmal übersichtlich dar. Die älteste Schicht, also die lose Folge von Bildworten (vgl. Kapitel 4), die die Nordreichsbevölkerung mit »minderwertigen Größen« (261) vergleicht, setze »die Erfahrung von 722 voraus« (261). Dass eine prophetische Gestalt, welcher der Todeskampf des Nordreiches unter dem assyrischen Expansionsdruck mit seinen Begleit­erscheinungen von Tributzahlungen, verheerenden Kriegszügen, Massendeportationen und Gebietsverlusten vor Augen stand, schon vor 722 solche Vergleiche gebraucht haben könnte, ist R. nicht eine einzige Überlegung wert. Die lose Folge von Bildworten sei dann fortlaufend kommentiert worden, aber erst die »priesterkritische Bearbeitungsphase« (264) habe sie in exilisch-nachexilischer Zeit zu einer prophetischen Spruchsammlung umgestaltet. In »der fortgeschrittenen nachexilischen Zeit« (269) habe man diese dann mit Hosea ben Beeri verbunden und dem damaligen Mehrprophetenbuch vorangestellt (268). Dieser Phase folgten noch die »Abfall-Umkehr-Konglomeratschicht« und die verschiedenen Stufen der Samariapolemik, deren letzte Ausläufer sich »in der Phase kurz vor, während oder kurz nach der Zeit der endgültigen Abspaltung des Nordens (Samaritanisches Schisma) abgespielt haben.« (273).
Bekanntermaßen bietet die Hoseaschrift einen »extrem ungeordneten, ja manchmal sogar verwirrenden« (274) Text. R. gehört in die Reihe derer, die versuchen, das mit der Annahme einer äußerst komplizierten literarischen Entstehung zu erklären. Ungewöhnlich ist ihr Modell auf jeden Fall, dass es Zustimmung finden wird, ist allerdings zu bezweifeln.