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Ausgabe:

Dezember/2008

Spalte:

1325–1327

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Hagedorn, Anselm C. [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Perspectives on the Song of Songs. Perspektiven der Hoheliedauslegung.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 2005. XV, 373 S. m. Abb. gr.8° = Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, 346. Lw. EUR 98,00. ISBN 978-3-11-017632-2.

Rezensent:

Ludger Schwienhorst-Schönberger

Dieser Band gibt einen instruktiven Einblick in das weite Spektrum gegenwärtiger Forschung zum Hohenlied. Im ersten Teil (1–104) werden biblische Perspektiven behandelt, der zweite Teil (105–259) richtet den Blick auf Liebeslyrik und Liebesdiskurs in Ägypten, Mesopotamien und Griechenland. Auffallend ist hier die breite Berücksichtigung der griechisch-hellenistischen Tradition mit vier von acht Beiträgen. Mit ausgewählten Beispielen der Auslegungsgeschichte befasst sich der dritte Teil (260–356). Der Band enthält ein ausführliches Stellenregister. – Der Inhalt der einzelnen Beiträge sei im Folgenden kurz wiedergegeben.
John Barton, On the Canonicity of Canticles, bricht mit dem traditionellen Konsens, das Hld sei nur auf Grund seiner allegorischen Interpretation von jüdischer und christlicher Seite als kanonisches Buch anerkannt worden. Demgegenüber vertritt B. die bedenkenswerte These, das Hld sei nie anders als allegorisch gelesen und seine Kanonizität nie bestritten worden; es gebe keinerlei Evidenz für ein ursprünglich »wörtliches« Verständnis, wie es in der modernen Exegese weitgehend vertreten wird. – Katharine J. Dell, Does the Song of Songs have any connections to wisdom, glaubt, dass die Verbindungen von Hld zur Weisheit stärker als gewöhnlich angenommen sind. In der jüdischen Tradition gibt es vereinzelt Stimmen, die in der Frau des Hld die Repräsentantin der Weisheit sehen. – F. W. Dobbs-Allsopp, Late Linguistic Features in the Song of Songs, ist der Überzeugung, dass das Hebräische des Hld zum späten biblischen Hebräisch (LBH: Late Biblical Hebrew) gehört. Aus linguistischen Gründen kommt als Entstehungszeit am ehesten die persische Epoche in Frage. Eine Datierung in die hellenistische Epoche ist nicht ausgeschlossen; das Buch enthält aber keine Gräzismen. – J. Cheryl Exum, The Poetic Genius of the Song of Songs, befasst sich mit »Stark wie der Tod ist die Liebe« und mit der Wechselseitigkeit der Liebe bei unterschiedlicher Perspektivierung. – Peter Flint, The Book of Canticles (Song of Songs) in the Dead Sea Scrolls, bespricht vier in Qumran gefundene Hld-Rollen. – Antonio Loprieno, Searching for a common background: Egyptian love poetry and the Biblical Song of Songs, zeigt, dass sich formale und inhaltliche Entsprechungen zwischen ägyptischer Liebeslyrik und dem Hld weniger einem literarischen Einfluss als vielmehr einem gemeinsamen sozialen Hintergrund in Fest und Feier verdanken.– Gerald Moers und Hubertus Münch, Alles Liebe? Die kulturelle Semantik des Begriffs »Liebe« und die Konstruktion des liebenden Körpers im pharaonischen Ägypten zeigen, dass Liebe wie in anderen vormodernen Gesellschaften auch im pharaonischen Ägypten keine Privatangelegenheit zwischen zwei Menschen war, sondern zuallererst ein sozialer Akt. – Pascal Vernus, Le Cantique des Cantiques et l’Egypte pharaonique. Etat de la question, meint, dass eine direkte literarische Einflussnahme der ägyptischen Liebeslyrik auf das Hld zwar nicht grundsätzlich auszuschließen, aber doch unwahrscheinlich ist. – Karl Hecker, ›Kundbar werde mir Deine Sehnsucht‹. Überlegungen zur akkadischen Liebeslyrik, ist der Ansicht, dass die wenigen, gewöhnlich stark fragmentarisiert erhaltenen Belege akkadisch-sprachiger Liebesdichtung größtenteils mit dem Kult verbunden sind. – Joan B. Burton, Themes of Female Desire and Self-Assertion in the Song of Songs and Hellenistic Poetry, weist auf Parallelen zwischen Hld und hellenistischer Liebeslyrik hin, mit besonderer Be­rück­sichtigung der Darstellung weiblichen Begehrens und weiblicher Selbstbehauptung, und plädiert für hellenistische Entstehungszeit: »Themes of female desire und self-assertion as well als male helplessness and erotic passivity become prominent, and themes of erotic reciprocity and mutual passion also come into play« (S. 201). – Anselm C. Hagedorn, Jealousy and Desire at Night. Fragmentum Grenfellianum and Song of Songs, vergleicht Cant 3,1–5 und 5,2–8 mit dem Fragmentum Grenfellianum, einem griechischen Papyrus aus dem 2. Jh. v. Chr. mit dem fragmentarisch erhaltenen Lied einer Frau, die von ihrem Liebhaber verlassen wurde und nun vor der Tür seines Hauses bitterlich klagt. In beiden Texten äußert sich eine weibliche Stimme, die in einer gewissen Opposition zum herrschenden moralischen und sozialen Kodex steht. H. hält es für sehr wahrscheinlich, dass hinter Hld Kenntnisse griechischer Literatur stehen. – Richard Hunter, ›Sweet Talk‹ Song of Songs and the Traditions of Greek Poetry, erläutert, dass die Motivparallelen zwischen früher griechischer Liebespoesie und Hld wohl eher gemeinsamen kulturellen Hintergründen zu verdanken sein dürften als einer direkten literarischen Beeinflussung. – Hans-Peter Müller, Zum Werden des Lyrischen. Am Beispiel des Hohenliedes und frühgriechischer Lyrik, vermutet, dass die Sammlung des Hld durch den übermächtigen Kultureinfluss Alexandriens im 3. Jh. v. Chr. angeregt worden ist. – Alison Salvesen, Pigs in the camps and the breasts of my lambs: Song of Songs in the Syriac Tradition, gibt einen Überblick über syrische Texttraditionen und syrische Kommentare zum Hld. – Elizabeth A. Clark, Origen, the Jews, and the Song of Songs. Allegory and Polemic in Christian Antiquity, greift einen Aspekt der geistigen Hld-Auslegung des Origenes auf: den von ihm in Hld angekündigt gesehenen Weg von Juden und Heiden in die Kirche Christi. Der von neuer Wertschätzung der Allegorese geprägte Beitrag endet mit dem bedenkenswerten Satz: »For readers of our own time, it also reveals how sharply early Christian biblical interpretation differed from that of modern historical biblical criticism.« – Anette Volfing, Middle High German Appropriations of the Song of Songs: Allegorical Interpretation and Narrative Extrapolation, unterscheidet zwischen rhetorischem und hermeneutischen Verständnis von Allegorie und stellt zwei mittelhochdeutsche Hld-Auslegungen vor: Brunn von Schönebeck, Das Hohelied aus dem Jahre 1267 und Lamprecht von Regensburg, Tochter Syon (ca. 1250). – Ulrich Gaier, Lieder der Liebe. Herders Hohelied-Interpretation, geht auf Herder als (»Wieder«-)Entdecker des wörtlichen Sinns des Hld ein und unterscheidet scharf zwischen interpretatio und applicatio: »Da der Wortverstand so klar ist und dieser nicht in die Bibel der genannten Leute [mit Hypothesen über Einheit und Heiligkeit des Textes] zu passen schien; so quälte man sich, so ersann man«. Gleichwohl lehnt er im Rahmen der applicatio ein mystisches Verständnis nicht grundsätzlich ab. – Constanze M. Güthenke, ›Do not awaken love until it is ready‹ – George Seferis’ Asma Asmaton and the translation of intimacy, stellt die erstmals im Jahre 1963 veröffentlichte Hld-Übersetzung des griechischen Dichters George Seferis [1900-1971] vor.
Es liegt ein äußerst anregender Band vor, der die weitere Beschäftigung mit dem Hld inspirieren wird.