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Ausgabe:

Dezember/2008

Spalte:

1320–1322

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Pearce, Sarah J. K.

Titel/Untertitel:

The Land of the Body. Studies in Philo’s Representation of Egypt.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2007. XXVIII, 365 S. gr.8° = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 208. Geb. EUR 109,00. ISBN 978-3-16-149250-1.

Rezensent:

Gottfried Schimanowski

Diese Studien von Sarah Pearce eröffnen eine neue Perspektive zu der umstrittenen Frage nach dem Judentum des Theologen und Philosophen Philo von Alexandrien und seinem Verhältnis zu seiner eigenen Heimat in Ägypten (Alexandrien). P. hat aber gleichzeitig auch immer das Verhältnis zum sog. Mutterland in Israel im Blick. Kurz gesagt geht sie nun ausführlich auf die Fragestellungen ein, die sie knapp ein Jahrzehnt zuvor zum ersten Mal in einem Artikel aufgegriffen hatte.
Das einleitende erste Kapitel befasst sich mit Philo als Zeuge einer eigenständigen jüdischen Identität, auf der einen Seite im Sinne eines biographisch-historischen Hintergrundes: seine Familie und Heimat, Frömmigkeit (sein »Judentum«) und die Beziehung zu den geographischen jüdischen Lebensräumen Jerusalem und Alexandrien; auf der anderen Seite die Hintergründe seiner Theologie bzw. Philosophie: seine Schriften und Leserschaft, sein Verhältnis zu den Schriften (Septuaginta), seine methodische Vorgehensweise und seine Art, Verteidiger und Vertreter einer jüdischen Tradition im hellenistischen Kontext zu sein.
Das zweite Kapitel enthält einen Überblick über die Verwendung der Wortfelder »Ägypten« in Philos weit gefächertem Schrifttum und die verschiedenen Möglichkeiten, diese Begriffe zu definieren. Das dritte Kapitel hat dem ganzen Werk den Titel gegeben: »Egypt, Land of the Body«. P. untersucht hier grundsätzlich den Körperbegriff, um sich dadurch eine Grundlage einerseits in Bezug auf die Wertungen der natürlichen Körperbedingungen zu verschaffen und andererseits in Bezug auf das symbolische Verstehen von Land und Leuten. Gleichzeitig sind ihr die dahinterstehenden biblischen Traditionen wie die des Exodusbuches wichtig, und sie zeigt auf, wie sich Philo zu ihnen verhält. Bei diesem ersten inhaltlichen Ab­schnitt stellt sich heraus, dass Philo sehr deutlich die negativ eingefärbte Rolle Ägyptens als »Land der Unterdrückung« kennt und effektvoll einsetzt. P. arbeitet bei der Orientierung an den Vorgaben des Pentateuch zwei Wurzeln heraus: zum einem das Gebot an Abraham, Ägypten zu verlassen (»auszuwandern«, seine »Migration«), zum anderen den Auftrag an Isaak, sich von Ägypten fernzuhalten und keinerlei Verbindung zu Land und Leuten aufzunehmen. Im Sinne eines allegorischen Umgangs mit den Schriften be­deutet dies für Seele und Geist im Sinne Philos, entweder sich in Gefahr zu begeben, ja, sogar Gefahr zu laufen inhaftiert zu werden, oder von den körperlichen Begierden sich versklaven zu lassen; oder aber – im Sinne eines dauerhaften Lebens in diesem Land – ein sich Hineinbegeben in Leid und die Versklavung durch die Materie. Nur wenige Beispiele zeichnen eine positivere Sicht, Ägypten als Symbol der guten Seite des Körpers und der äußeren Dinge. Wie schon der Weg des Moses vorgezeichnet hat, kann der Weg Israels in diesem Land nicht zu seinem Ziel kommen.
Das vierte Kapitel behandelt ägyptische Personen wie die Pharaonen, Aufseher, Weisen usw. Philo unterstreicht dabei die Position, die auch schon von anderen vor ihm innerhalb und außerhalb des Judentums vertreten wurde, dass die Ägypter im Gegenüber zu den Hebräern ein minderwertiges Volk darstellen.
Dies führt P. zu der grundsätzlicheren Frage, wie Philo mit den Themen von Gästen und Gastfreundschaft umgeht. Für Philo selbst spielt ja die Aufnahme von Fremden eine ganz entscheidende Rolle. Die Ägypter aber kommen bei ihm – wie nicht anders zu erwarten – sehr schlecht weg. Mehr als jeder andere jüdische Autor vor ihm unterstreicht Philo anhand der biblischen Überlieferung, wie bei Abraham, Joseph oder Moses ihre Distanz und Feindschaft gegenüber Fremden zum Ausdruck gebracht wird. Z. B. werden die Einwohner Sodoms (Gen 20,1–8) – ganz entgegen der biblischen Überlieferung – in keiner Weise wegen ihrer Fremdenfeindlichkeit gerügt. Diese wird exklusiv den Ägyptern zugeordnet. Im Kontrast dazu werden Abraham und seine Nachkommen geradezu als perfekte Gastgeber gepriesen und herausgestellt – selbst unter äußerst schwierigen Umständen. Die Ägypter bilden damit die dunkle Folie, um die Israeliten davon positiv abzuheben. Es ist sicher, dass Philo in dieser Weise auf die Vorwürfe reagiert, die Juden als fremdenfeindlich zu apostrophieren, wie vor allem bei Josephus deutlich erkennbar wird; eine Überzeugung, die sicher auch in seiner Heimatstadt Alexandrien en vogue gewesen ist.
Das nächste Kapitel über Philos Vorstellung vom Nil gibt einen überarbeiteten Aufsatz wieder, der ursprünglich auf einem der »Münchener Bibelwissenschaftlichen Symposien« im Frühjahr 2004 vorgetragen wurde. Bei keinem anderen antiken Autor wird der Nil so negativ bewertet wie bei Philo. Er wird rundweg als ein Symbol des ägyptischen Atheismus hochstilisiert. Das führt P. weiter zur ägyptischen Tierverehrung und damit zu einer anderen Art von Götzendienst, ganz im Sinne der Überzeugung in Spec 2,146 zum Exodus: »Zu jener Zeit hatten (die Israeliten) ein Land verlassen, das ganz voller Unmenschlichkeit steckte, indem sie Fremde hinauswerfen, und was das Allerschlimmste war, den unvernünftigen Kreaturen eine göttliche Verehrung erwiesen, nicht allein Haustieren, sondern sogar wilden Tieren.« P. vergleicht über die bekannten Textinterpretationen hinaus ausführlich die – im Großen und Ganzen parallelen – Überzeugungen von Josephus und Philo zu dieser Exodus-Thematik.
Vertieft wird das noch einmal in einem ausführlichen Schlusskapitel mit einem eigenständigen Überblick über die philonische Darstellung des ägyptischen Tierkultes. Aus vielen Texten bei Philo wird klar, dass er bei allen religiösen Irrtümern auf Erden die ägyptische Variante als die allerschlimmste und verachtenswerteste bewertet. Der Tierkult ist nun bei ihm deswegen so ungerecht und gottlos, weil er Menschen mit Verstand zu einem irrationalen Kult verführt. Diese Menschen, die Tiere verehren, müssen gleichzeitig auch für ihre Geringschätzung der guten göttlichen Vorsehung verachtet werden – das Kennzeichen einer ungeordneten, verwirrten Welt. Letztlich führt das zu einer »philonischen Definition« der Ägypter: Menschen, die es ablehnen, »Gott zu sehen« (so die Deutung des Begriffes »Israel«), den wahren Gott, den ewigen Schöpfer und Lenker der Welt. Die Ägypter vergöttlichen die Materie und die sterblichen Dinge, eine völlig andere Sicht der Welt, als sie in den Schriften (des Mose) vorgegeben wird.
Alles in allem versteht es P. hervorragend, die spezifische – negativ-kritische – Sicht Philos für das frührömische Ägypten/Alexandrien herauszuarbeiten. Für das Buch selbst ist noch positiv hervorzuheben, dass es in der bewährten Weise der Reihe mehrere Register zur Verfügung stellt: zu den Stellen (Bibel/Apokryphen und Philos Werke/weitere antike Autoren), modernen Autoren so­wie ein ausführliches Sachregister. Damit ist P. ein Buch gelungen, das durchaus auch zur thematischen Einführung in das Leben und Denken Philos als eines jüdischen Autors dienen kann.