Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Dezember/2008

Spalte:

1318–1320

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Hoffmann, Christhard [Ed.]

Titel/Untertitel:

Preserving the Legacy of German Jewry. A History of the Leo Baeck Institute, 1955–2005.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2005. XIV, 474 S. m. 30 Abb. gr.8° = Schriftenreihe wissenschaftlicher Abhandlungen des Leo Baeck Instituts, 70. Lw. EUR 74,00. ISBN 3-16-148591-2.

Rezensent:

Hans-Michael Haußig

Das Leo Baeck Institut, das nach dem 1956 verstorbenen Rabbiner und führenden Repräsentanten des deutschen Judentums be­nannt ist, stellt die wohl wichtigste Institution zur Erforschung der neuzeitlichen Geschichte der Juden im deutschsprachigen Kulturraum dar. Gegründet im Jahre 1955, existiert es nunmehr in New York, London und Jerusalem und somit an Orten, an denen sich in der Vergangenheit in größerer Anzahl Emigranten aus Deutschland niedergelassen haben. Im Jahre 2001 kam zudem eine Dependance innerhalb des neu errichteten Jüdischen Museums in Berlin hinzu, die in erster Linie Mikrofilm-Aufnahmen von Beständen des New Yorker Instituts beherbergt. Das Leo Baeck Institut hat in den Jahren seines Bestehens den Schwerpunkt seiner Arbeit einerseits auf den Aufbau eines Archivs mit Materialien zur Erforschung der Geschichte des deutschen Judentums gelegt, andererseits aus der Arbeit mit den vorhandenen Materialien zahlreiche Projekte entwickelt, die allerdings, worauf auch die einzelnen Beiträge des Bandes verweisen, häufig erst in einem viel längeren Zeitrahmen als ursprünglich geplant realisiert werden konnten. Hervorzuheben sind vor allem auch das vom Institut herausgegebene Jahrbuch (Year Book of the Leo Baeck Institute), in dem kleinere Forschungsarbeiten zur Geschichte und Kultur des deutschen Judentums publiziert werden, sowie die »Schriftenreihe wissenschaftlicher Abhandlungen des Leo Baeck In­stituts«, in der zahlreiche thematische Studien erschienen sind und innerhalb derer auch dieser Band herausgekommen ist. Außerhalb dieser Reihen hat es zudem gesonderte Veröffentlichungen gegeben, so die vierbändige »Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit«, an die sich noch ein separater Band über die Geschichte des jüdischen Alltags in Deutschland anschloss.
Anlässlich seines 50-jährigen Bestehens im Jahre 2005 sah sich das Institut veranlasst, die bisherige Entwicklung zu reflektieren und die unterschiedlichen Tendenzen, die zu seiner Gründung geführt haben und die in den Folgejahren die Entwicklung an seinen unterschiedlichen Standorten bestimmen sollten, sowie die einzelnen Forschungsprojekte und die Entwicklung der vom Institut betreuten Publikationen zu untersuchen.
Die Beiträge des Bandes behandeln die Vorgeschichte und Gründungsphase des Leo Baeck Instituts (Christhard Hoffmann), biographische Skizzen der Gründergeneration (Ruth Nattermann) sowie die Entwicklung der einzelnen Zentren in Jerusalem, New York und London (Guy Miron, Mitchell B. Hart, Nils Roemer, Stefanie Schüler-Springorum) und die Kooperation und Koordination zwischen ihnen (Aubrey Pomerance). Hierbei zeigte sich, dass die einzelnen Institutionen vor Ort auch mit unterschiedlichen Aufgaben und Problemen konfrontiert waren. Der Frage etwa, inwieweit Deutsch weiterhin als Kommunikationssprache dienen und inwieweit man Publikationen in den jeweiligen Landessprachen der Institute (Englisch und Hebräisch) publizieren sollte, lagen nicht nur praktische Erwägungen zu Grunde. Weitere Beiträge widmen sich einzelnen Projekten bzw. Schwerpunkten der Arbeit des Instituts, so der Erforschung der Erinnerungsliteratur (Miriam Gebhardt) und der Entwicklung des Jahrbuchs (Christhard Hoffmann). Christian Wieses Beitrag hat das Projekt der »Gesamtgeschichte« des deutschen Judentums zum Gegenstand, das bereits in den 50er Jahren in Planung war, tatsächlich jedoch erst in den 90er Jahren mit der bereits erwähnten vierbändigen deutsch-jüdischen Geschichte der Neuzeit realisiert werden konnte. Die übrigen Beiträge des Bandes behandeln die Historiographie des deutschsprachigen Judentums seit 1950 (Til van Rahden), der Bewertung der jüdischen Selbstverteidigung gegen den Antisemitismus des Na­tionalsozialismus (Jürgen Matthäus) und die jüdische Literaturgeschichte (Andreas Kilcher). Der Band schließt mit einer Photodo­kumentation zur Geschichte des Instituts sowie mit einer Liste aller durch das Institut herausgebrachten Veröffentlichungen und einem Namensindex.
Obwohl alle an der Arbeit des Instituts beteiligten Personen sich wohl in der Bewertung des deutschen Judentums als einer für die jüdische Geschichte einzigartigen Phänomens, ohne das die Entwicklung des modernen Judentums nicht denkbar gewesen wäre, einig gewesen sein dürften, reflektieren die Beiträge des Bandes doch auch immer wieder die Unterschiede in der Gesamteinschätzung des untersuchten Phänomens. Im Wesentlichen sind hier Spannungen erkennbar, die schon innerhalb des deutschen Judentums in der ersten Hälfte des vorigen Jh.s präsent waren und die sich auf die unterschiedlichen Positionen der assimilatorisch ausgerichteten Mehrheit, die sich organisatorisch im »Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens« zu­sam­mengefunden hatte, und der zionistisch ausgerichteten Kräfte, die während der Weimarer Zeit etwa in der »Zionistischen Vereinigung für Deutschland« organisiert waren, zurückführen lassen. Dies zeigte sich etwa an der Frage, inwieweit von einer deutsch-jüdischen Symbiose gesprochen werden konnte, was etwa von Gershom Scholem in seiner berühmten Stellungnahme »Wider den Mythos vom deutsch-jüdischen Gespräch« verneint wurde. Zu unterschiedlichen Ergebnissen kam man auch in der Frage, inwieweit das tragische Ende des deutschen Judentums seiner Entwick­lung inhärent war oder vielmehr aus allgemeinen sozialen, politischen und ökonomischen Faktoren erklärt werden muss.
Während die Arbeit in den Anfangsjahren noch in erster Linie von Forschern geleistet wurde, die selbst dem deutschen Judentum entstammten, sind im Laufe der Jahre an ihre Stelle Wissenschaftler getreten, die einerseits aus den Kreisen der Nachfahren der ehemaligen Emigranten stammen, teilweise aber auch einen biographischen Hintergrund aufweisen, der in keinem persönlichen Zusammenhang mit dem deutschen Judentum steht. In den vergangenen Jahren hat sich zudem die Zusammenarbeit mit Forschern aus Deutschland intensiviert, die heutzutage ebenfalls wichtige Beiträge zur Arbeit des Instituts leisten, eine Entwick­lung, die in den Gründungsjahren des Instituts noch nicht ab­sehbar war. Der Generationswechsel hat zum Teil auch zu einer Entideologisierung der noch unter den Gründungsvätern vorherrschenden unterschiedlichen Tendenzen in der Bewertung des deutschen Judentums geführt.