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Ausgabe:

Dezember/2008

Spalte:

1308–1311

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Bockmuehl, Markus, and James Carleton Paget [Eds.]

Titel/Untertitel:

Re­demption and Resistance. The Messianic Hopes of Jews and Christians in Antiquity.

Verlag:

London-New York: T & T Clark 2007. XXVIII, 381 S., 1 Porträt. gr.8°. Geb. £ 80,00. ISBN 978-0567-03043-6.

Rezensent:

Stefan Schreiber

Bei der Frage nach jüdischen und christlichen Messiaserwartungen in der Antike handelt es sich um einen »Dauerbrenner« der Forschung (vgl. zuletzt J. A. Fitzmyer, The One Who Is to Come, 2007). Der zu besprechende Sammelband findet darin seinen Ort durch zwei Profilierungen: Zum einen schlägt er einen weiten Bogen – von den alttestamentlichen Anfängen in der Perserzeit bis ins Jerusalem des 7. Jh.s n. Chr. –, was ihn von den meisten Spezialuntersuchungen unterscheidet, die sich für Konzeptionen interessieren, die man auf Jesus anwenden konnte. Zum anderen verbindet er programmatisch antike Messiaserwartungen mit Erlösung und politischem Widerstand, kontextualisiert also messianische Hoffnungen. Zugleich handelt es sich um eine Festschrift für William Horbury, einen herausragenden Kenner des antiken Judentums und frühen Christentums und der Beziehungen beider. Dabei ist sogleich positiv zu vermerken, dass keine unspezifische Aufsatzsammlung entstanden ist, sondern ein thematisch ge­schlossener Band. Vielleicht erklärt der Anlass auch die Auswahl der Autorinnen und Autoren, die zum großen Teil sprachlich und geographisch aus dem angelsächsischen Bereich stammen.
Der Band folgt einer klaren Dreiteilung: I. Ursprünge der jü­dischen Messiaserwartung, II. frühe Jesus-Bewegung und Neues Testament, III. die Interaktion von jüdischen und christlichen Messiaserwartungen im Kontext ihrer paganen Umwelt. In das Ermessen der einzelnen Autoren gestellt haben die Herausgeber eine Definition des Messias-Begriffs. Die Mehrzahl entscheidet sich für einen weiten Begriff, der nicht den Titel »Messias« voraussetzt, sondern nur die Konzeption eines kommenden Heilsherrschers, so im Anschluss an Horbury: »the expectation of a coming pre-eminent ruler – coming, whether at the end, as strictly implied by the word ›eschatology‹, or simply at some time in the future« (3).
Diese weite Definition entstammt dem ersten Beitrag aus der Feder von J. Schaper und erlaubt es ihm, bereits in der gesamten Perserzeit lebendige messianische Erwartungen in Israel aufzuspüren. Diese erwachsen aus Israels Königstheologie (Ps 2; 110) und werden in Analogie zur Königsherrschaft Gottes verstanden – ein wichtiger Gedanke, der strukturell für die weitere Entwicklung prägend werden sollte. Würde man hier einem engen Messias-Begriff folgen, wäre lediglich von Voraussetzungen für spätere Messiaserwartungen in Israels Königstheologie zu sprechen. Der Vorteil dabei wäre, dass sich präziser unterscheiden ließe, welche Konzeptionen mit dem Titel »Messias« verbunden waren und sich von Fall zu Fall wachrufen ließen.
Die Aufsätze zur hasmonäischen (J. W. van Henten) und herodianischen Zeit (S. Freyne) zeigen die soziopolitische Verortung von Messiaserwartungen: als in die Zukunft projizierte Gegenentwürfe zum hasmonäischen Anspruch auf die königliche und priesterliche Hoheit (Qumran-Texte) bzw. zur Übernahme und aggressiven Förderung römischer Kulturelemente in der Politik Herodes’ d. Gr. und seiner Söhne (PsSal 17; Schriftrollen vom Toten Meer; äthHen; 4Esr; syrBar; politische Messiasprätendenten und Propheten bei Josephus). Der Überblickscharakter dieser drei Beiträge impliziert den Verzicht auf eine eingehende Darstellung der Grundlagentexte und auf weitergehende Differenzierung, so dass auch die wichtige Frage nach Entwicklungen bzw. nach dem Verhältnis eines messianischen Grundkonzepts zu gruppenspezifischen Variationen nicht thematisiert wird. Es fällt auf, dass die einschlägige deutschsprachige Literatur (z. B. M. Karrer 1991; J. Maier 1996; S. Schreiber 2000) wenig rezipiert ist.
Der Aufsatz von H. D. Betz zu Plutarchs Numa-Vita, der den ersten Teil abschließt, mag zunächst unter der Rubrik »Ursprünge des jüdischen Messianismus« verwundern. Er erhellt jedoch interessante religiös-politische Analogien, indem er zeigt, wie Plutarch Numa als idealen Philosophen-König zum Vorbild für die flavischen Kaiser erhebt und damit vorsichtig Kritik am römischen Kaiserkult seiner Zeit übt, wobei Parallelen zur Jesus-Tradition erkennbar werden.
Der zweite Teil umspannt das Neue Testament. Ob Jesus selbst sich als Messias verstand, lässt M. Bockmuehl offen, erkennt aber ein politisches Potential im Auftreten Jesu, der zwar keine politische Revolution anstrebte, aber einen eschatologisch motivierten gewaltlosen Widerstand gegen alle Arten des Bösen praktizierte; Jesu Wirkung war also »messianisch«. G. Stanton ortet messianische Topoi bereits in der Jesus-Deutung der Logienquelle (vor allem QLk 4,1–13; 7,19.22 f.) und beschreibt deren zunehmende Entfaltung bei den Synoptikern. Wichtig ist die Frage nach dem Verhältnis der Synoptiker zu frühjüdischen Messiaserwartungen, das sowohl in Diskontinuität (Kreuzestod, Verzicht auf militärische Durchsetzung) als auch in Kontinuität (Schrifterfüllung) besteht.
Für das Johannesevangelium betont J. Lieu die Diskontinuität – sichtbar an der Vorstellung vom »Sohn Gottes«, die Lieu nicht aus der messianischen Tradition ableitet, sondern als analogielos einstuft; entsprechend führt sie den Titel »König Israels« in Joh 1,49; 12,14 auf Sach 3,15 (Gott selbst als König) zurück. Dabei setzt sie (mit H. Thyen) auf das »self-explicating« des Textes und stellt seine extratextuelle Situierung zurück (103). Überzeugend zeigt sie dann aber die politische Brisanz des Königs Jesus im Gegenüber zur römischen Kaisermacht. Doch bereits Paulus habe sich – so die These von A. Chester – weit vom Judentum entfernt: »Christus« verwende er ohne titulare Valenz nur noch als Eigennamen, so dass keine Referenz auf messianische Konzeptionen vorliege; selbst Röm 1,3 f. und 1Kor 15,23–28 ließen sich ohne messianischen Hin­tergrund allein auf der Basis einer transzendenten, erhöhten Gottessohn- und Kyrios-Figur verstehen (111 f.). Für Paulus, den Juden, sei Jesus zwar die Erfüllung messianischer Hoffnung, aber »in a different way and on a different level to anything within Jewish messianic tradition« (120). Mir scheint hier eine Hermeneutik des »spezifisch Christlichen« leitend. Sollten nicht Paulus und Johannes stärker im urchristlichen Setting wahrgenommen werden, in dem innerjüdische Bewegungen Jesus in jüdischen Kategorien profilieren – und mit der exklusiven Identifizierung als Messias bereits sehr weit gehen? Erst die Grundzüge der bekannten Messias-Tradition machen den urchristlichen Vorstellungskomplex um Jesu eschatologische Bedeutung (wie z. B. Parusie) wirklich plausibel. Und in diese Koordinaten lassen sich dann auch christliche Modifikationen einordnen, so in 1Kor 15,3–5 durch die Integration von Tod und Erweckung.
Die beiden letzten Beiträge des zweiten Teils arbeiten plausibel heraus, wie messianische Vorstellungen im Jakobusbrief, Hebräerbrief und ersten Petrusbrief (D. G. Horrell) bzw. in der Offenbarung (P. Spilsbury) auf ganz unterschiedliche Weise Widerstand gegen­über den gesellschaftlichen und politischen Strukturen des römischen Imperiums artikulieren.
Der dritte und umfangreichste Teil beleuchtet die weitere Entwicklung im Verhältnis zwischen jüdischem und christlichem Messianismus. M. Goodman erkennt unterschiedlichen Einfluss in den jüdisch-römischen Kriegen von 66–70 bzw. 132–135: Während Bar Kosiba als Messias erschien, seien Messiaserwartungen im ersten Aufstand nicht als Auslöser oder Triebkräfte erkennbar. Die folgenden Beiträge ziehen die Linien aus: unterschiedliche Zu­gänge bei Kirchenvätern und Rabbinen (O. Skarsaune), regionale Eigenentwicklungen in Syrien und Mesopotamien (S. Brock), Ägypten (J. Carleton Paget) und im Westen (W. Kinzig), künstlerische Darstellungen in Synagogen, jüdischen Katakomben und Kirchen (D. Noy), die sich wechselseitig beeinflussende Entwicklung des nicht-rabbinischen und des rabbinischen Messianismus (P. S. Alexander). Interessant ist auch, dass in frühen Übersetzungen des Tanach messianische Konzeptionen eine vergleichsweise geringe Rolle spielen, wie A. Salvesen für die Septuaginta, weitere griechische Versionen sowie die Vulgata des Hieronymus und R. P. Gordon für die aramäischen Targume (die allerdings Interesse an einem menschlichen Messias erkennen lassen) und die syrische Peschitta zeigen. Entwicklungen in byzantinischer Zeit, wiederum als Reaktion auf die veränderte politische Situation, markieren abschließend die Beiträge von N. de Lange und G. Stroumsa.
Damit liegt ein vielfältige Forschungsbereiche stimulierender Band vor, der einen wichtigen Beitrag zu der längst nicht abgeschlossenen Diskussion um Formen, Bedeutung und politische Situierung des Messianismus leistet.