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Ausgabe:

Oktober/1996

Spalte:

987–989

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Ziebertz, Hans-Georg u. Werner Simon [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Bilanz der Religionspädagogik

Verlag:

Düsseldorf: Patmos 1995. 487 S. 8o. Kart. DM 49,80. ISBN 3-491-78470-0

Rezensent:

Christian Grethlein

Das vorliegende umfangreiche Werk stellt in meist sehr niveauvollen Beiträgen die Entwicklung der katholischen Religionspädagogik seit Mitte der 60er Jahre dar. Es kann hier nur ein grober Überblick über den Inhalt gegeben und lediglich an wenigen Stellen auf besonders Interessantes hingewiesen werden. Ein genaueres Studium ist aber ­ dies sei vorweg gesagt ­ für alle an der gegenwärtigen religionspädagogischen Theoriebildung Interessierten unerläßlich.

Den ersten Teil bilden mit "Grundlagen" überschriebene, sich vornehmlich wissenschaftstheoretischen Fragen zuwendende Artikel. Am gewichtigsten von Thema und Durchführung her sind dabei R. Englerts Ausführungen zur "Wissenschaftstheorie der Religionspädagogik" (147-174). Materialreich, aber durch die Gliederung in "problemgeschichtliche", "enzyklopädische" und "methodologische" Fragestellung einleuchtend und übersichtlich strukturiert, arbeitet Englert die wichtigsten Entwicklungen der katholischen Religionspädagogik in den letzten dreißig Jahren heraus: die "Aufwertung pädagogischer bzw. allgemeiner: humanwissenschaftlicher Problemzugänge", die "Aufwertung der Deutungsmuster und Praxiserfahrungen von religionspädagogisch interagierenden Subjekten" (151), die Reflexion religiöser Lernprozesse "im größeren Kontext ihrer sozialen und institutionellen Bedingungen" (156), die Veränderung von "einer dogmatischen zu einer multiperspektivischen Hermeneutik" (162). Doch bleibt Englert nicht nur bei systematischen Durch- und Überblicken stecken. Klar plädiert er ­ bei aller Offenheit für erfahrungswissenschaftliche Erkenntnisse ­ für "ein Bekenntnis zur Theologizität der Religionspädagogik" (168), die er sachgemäß mit der "Produktivität des soteriologischen Vor-Urteils der Theologie" (169) begründet.

Ebenfalls materialreich und systematisch überzeugend sind die beiden Beiträge A. Buchers in diesem Teil des Buchs: "Religionspädagogik und empirische Entwicklungspsychologie" (28-46) und "Religionspädagogik und Psychologie" (119-136). Nicht zuletzt Studierende dürften sich angesichts der Unübersichtlichkeit und Verzweigtheit der entsprechenden Diskussionen über solche klare Darstellungen freuen. Die besondere Problematik mancher kirchenamtlicher Entscheidungen für katholische Religionspädagogik tritt in N. Mettes knappem Artikel "Religionspädagogik und Pädagogik" (111-118) zutage. Wichtige, noch verschiedene weitere Beiträger beschäftigende Grundfragen markiert H. A. Zwergel "Hermeneutik und Ideologiekritik in der Religionspädagogik" (10-27).

Etwas aus der Reihe fällt der umfangreiche, aber im einzelnen recht spezielle, im Grunde auf "totale Erfassung" (73) der vorliegenden Arbeiten abzielende Beitrag von H.-G. Ziebertz zu "Lehrerforschung in der empirischen Religionspädagogik" (47-78), der eher eine Sammelrezension als eine systematische Bilanz ist. Recht knapp macht E. Paul auf die Ausweitung und Desiderate der "historischen Religionspädagogik" (79-85) aufmerksam. E. Feifel behandelt "Didaktische Ansätze in der Religionspädagogik" (86-110), P. Antes markiert kurz einige wichtige Tendenzen der Veränderung des Verhältnisses von "Religionspädagogik und Religionswissenschaft" (137-146).

Der zweite Teil ist "Kontexte" überschrieben. Während bei den "Grundlagen" weithin auf ausgeführte Diskussionen zurückgegriffen werden konnte, dominieren hier ­ zutreffend den Diskussionsstand spiegelnd ­ eher Problemanzeigen als schon überzeugende Konzepte.

Als Kontexte werden behandelt: "ökumenisches Lernen" (R. Schlüter), "jüdisch-christliche Lernprozesse" (S. Leimgruber), "feministische Theologie" (H. Kohler-Spiegel), "befreiungstheologische Ansätze" (T. Schreijäck) und "interkulturelles Lernen" (M. Jäggle). Dabei wird jeweils eingangs der "Kontext", z. T. recht ausführlich, referiert; dann schließen sich teilweise recht knappe Überlegungen zu deren religionspädagogischer Relevanz an. Diesen Teil schließen J. A. van der Veen und H.-G. Ziebertz mit "Religionspädagogische(n) Perspektiven zur interreligiösen Bildung" (259-273) ab.

Im dritten Teil werden "Themen" vorgestellt. In teilweiser Überschneidung mit bereits im Grundlagenteil Ausgeführten referiert G. Bitter "Ansätze zu einer Didaktik des Glauben-Lernens" (276-290), R. Ott "Lernen in der Begegnung mit der Bibel" (291-309), W. Langer "Ethisches Lernen im Horizont religionspädagogischer Reflexion" (310-323). Einen besonderen Akzent setzt G. Stachels Beitrag "Religionspädagogik der Spiritualität zur Anleitung zur ,Achtsamkeit´" (324-338). Bewußt sprengt er den wissenschaftlichen Rahmen, indem er an die Stelle einer fachwissenschaftlichen Basis das Hören auf Mystiker (vor allem Eckhart und S. Weil) setzt (325). In z. T. schroff modernitätskritischer Ausrichtung plädiert er ­ weil aufnehmend ­ für eine Erziehung zur "vollständigen Achtsamkeit", wobei er weite Ausblicke in die allgemeine Religionsgeschichte eröffnet. Dabei blitzen immer wieder konkrete Erfahrungen und daraus abzuleitende pädagogische Hinweise auf. Stärker religionsdidaktisch auf den schulischen Religionsunterricht bezogen sind die nachfolgenden Überlegungen von G. Lange "Ästhetische Bildung im Horizont religionspädagogischer Reflexion" (339-350). Besonders wird hier die auch in anderen Beiträgen noch angesprochene "Symboldidaktik" reflektiert. Den Abschluß dieses Teils bildet der Artikel "Lernen in der Begegnung mit Geschichte" von K. König.

Der vierte Teil des Buchs bedenkt "Orte". Hier werden allerdings nur drei Beiträge dem Anspruch einer Bilanz gerecht: M. Blasberg-Kuhnke führt problembewußt in die "Erwachsenenbildung" (434-447) ein, wobei auch sie ­ ähnlich wie Englert in seinen Überlegungen zur Wissenschaftstheorie der Religionspädagogik ­ große Weite für die Rezeption erfahrungswissenschaftlicher Einsichten mit theologischer Konzentration, hier auf den Adventus Gottes, verbindet. W. Tzscheetzsch beschreibt die Weite kirchlicher Jugendarbeit (448-466) und bestimmt den Wandel als ihre Kontinuität. F.-P. Tebartz-van Elst führt die "Gemeindliche Katechese" (467-487) ein, die er vor allem anhand der Aufgaben der Sakramentenkatechese beschreibt und dabei zur wichtigen Empfehlung der "Überwindung einer Trennung von Katechese und Liturgie bzw. des Nebeneinanders" kommt (485).

Weniger bilanzierend als eigene Vorstellungen darstellend sind die Beiträge von U. Schmälzle "Religiöse Erziehung in der Familie" (370-382), J. Hofmeier "Religiöse Erziehung im Elementarbereich" (382-395) und J. A. van der Veen "Religiöse Sozialisation an der Hochschule" (416-433). Als einziger wirklich mißratener Beitrag des Buchs ist leider H. Fox "Schule und Religionsunterricht" (396-415) zu nennen, der schon in der Literaturverwendung offensichtlich nicht auf der Höhe der Zeit ist. Dazu gibt er längst widerlegte Vorurteile wieder, wie die angeblich "auf Karl Barth fußende ,Evangelische Unterweisung´" (399) oder die Behauptung, daß Art. 7,3 des Grundgesetzes einen konfessionell differenzierten Religionsunterricht gebietet.

Die vorliegende ­ bis auf gewisse Unsicherheiten in der Behandlung des schulischen Religionsunterrichtes ­ rundum gelungene Bilanz macht auf einige Forschungsdesiderate aufmerksam:

­ Die Massenmedien finden keine angemessene Berücksichtigung. Die im Beitrag Stachels weithin negative Beurteilung dürfte wohl zu einseitig sein.

­ Offensichtlich hat die katholische Religionspädagogik noch nicht die durch die Vereinigung Deutschlands aufgeworfenen Fragen zur Kenntnis genommen. Es fehlt in dem ganzen Band ­ immerhin fünf Jahre nach der Vereinigung ­ jeder Bezug auf die spezifisch ostdeutsche Situation.

­ Der starke, nur durch die Beiträge von van der Veen und Ziebertz (in allerdings nicht immer glücklicher Weise) durchbrochene Bezug auf die deutsche Situation verwundert bei Religionspädagogen, die einer Weltkirche zugehörig sind.

Schließlich sei ein leichtes Bedauern angemerkt, das das Gesamtprojekt betrifft. Paßt eine "Bilanz der Religionspädagogik", an der nur katholische Autoren und Autorinnen beteiligt sind, in die religionspädagogische Gesprächslandschaft?