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Ausgabe:

Oktober/1996

Spalte:

986 f

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Ohlemacher, Jörg [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Religionsunterricht. Auftrag und Funktion

Verlag:

Loccum: Religionspädagogisches Institut 1995. 323 S. 8o. Kart. DM 38,­. ISBN 3-925258-43-3

Rezensent:

Franz-Heinrich Beyer

Der Religionsunterricht (RU) steht immer noch im Schnittpunkt einer engagierten Debatte. Wenn auch nicht hervorgerufen, so doch zugespitzt wurde diese Debatte durch die Existenz der neuen Bundesländer und eine damit ins Blickfeld geratene völlig verschiedene Ausgangslage für den RU. Man könnte es auch so formulieren: Die Debatte um den RU ist auch Indiz für die virulente Frage nach der Bedeutung der christlichen Kirchen in und für die Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland. Sie spiegelt auch die Veränderungen in der Selbst- und Fremdwahrnehmung der Kirchen wider, exemplarisch konzentriert auf die Thematik der kirchlichen Mitwirkung bei dem RU in der öffentlichen Schule. Nicht zuletzt unter diesem Gesichtspunkt ist das Thema der Konfessionalität des RU nicht nur eine Frage der Religionspädagogik, sondern der Theologie überhaupt.

In dem Thema "Konfessionalität/Konfession" ist die bestimmende Mitte der Beiträge des von dem Greifswalder Praktischen Theologen J. Ohlemacher herausgegebenen Sammelbandes zu sehen, in dem ­ mit zwei Ausnahmen ­ ausgewählte Beiträge von Veranstaltungen des RPI Loccum dokumentiert sind. Sowohl die Tatsache, daß drei der insgesamt vierzehn Autoren katholischer Konfession sind, insbesondere aber der im Anhang dokumentierte Bericht kirchlicher Schulreferenten in Niedersachsen "Zu ökumenischer Kooperation im konfessionellen RU" machen die konfessionsübergreifende Dimension der Fragestellung deutlich.

Zwei Beiträge wenden sich stärker einer systematisch-theologischen Grundlegung zu. J. Ohlemacher erinnert an die soteriologische Bestimmung der christlichen Religion, die allen ihren Konfessionen vorausliegt (7-15). W. Brändle (16-35) klärt den Begriff der Konfession nicht durch Zuordnung zu einer Lehre, sondern durch Rückbindung an Jesus Christus vermittels der spezifischen theologischen Lehre. "Confessio ist nicht die vom Lehrenden zu fordernde Voraussetzung, sondern erst das Ergebnis seines Unterrichts..." (31).

Die Frage eines konfessionell-kooperativen RU behandeln die beiden folgenden Beiträge. G. Lange befaßt sich mit den "Chancen eines konfessionell kooperativen RU in der öffentlichen Schule" (36-55), gibt aber sofort zu bedenken, daß nicht die Frage der Konfessionalität, sondern die der Plausibilität und der Relevanz des RU die größere Herausforderung darstellt. Unter diesem Gesichtspunkt gelte es, die Möglichkeiten, ebenso aber die Gefahren einer vorschnellen Fixierung zu erwägen, wie es dann vom Vf. beispielhaft vorgeführt wird. R. Englert plädiert für eine gemeinsame Verantwortung der christlichen Kirchen für "ihren diakonischen RU" (56-69). V. Drehsen beschreibt "Konfessionalität im Wandel" (70-105), nämlich im Prozeß der Modernisierung der Gesellschaft. Mit dem Abschmelzen der konfessionellen Milieus im Zusammenhang der Subjektivierung von Religion kommt der konfessionellen Herkunft kein normativer Geltungsanspruch mehr zu. Andererseits bleibt die eigene Konfession ein identitätsstiftender Ausdruck des herkunftsgeprägten So-Seins und ist als solches weder ohne weiteres austauschbar noch darf es unberücksichtigt bleiben. Auch B. Dressler (106-123) setzt bei dem Schlüsselwort Subjektivität ein, um dann zu didaktischen Konsequenzen zu gelangen: Lernen im Medium des Unvertrauten, des Entkonventionalisierten. Wird der RU so als Wahrheitssuche im Dialog verstanden, kommt dem Lehrer/der Lehrerin eine unvertretbare konfessorische Aufgabe zu. Chr. Röger unternimmt es, die Regelungen zum RU in Deutschland in den Zusammenhang der europäischen Einigung einzuzeichnen, als Herausforderung für religionspädagogisches Nachdenken (123-129).

Vor dem Eindruck weitgehender Übereinstimmung zwischen evangelischer und katholischer Religionspädagogik arbeitet H.-J. Fraas (130-146) Unterschiede hinsichtlich der anthropologischen Grundlegung an vier Konkretionen heraus, um daran auch weiterführende Fragestellungen anzuschließen. Interessant erscheint insbesondere die Frage: "Wie verhalten sich Religiosität und Gläubigkeit zueinander?" Und daran anschließend: "Ob man erst religiös werden muß, um ein Christ sein zu können?".

In mehreren Beiträgen wird dann die Grundfragestellung exemplarisch an regionalen Dokumenten bzw. Regelungen erörtert. B. Haunhorst (147-187) bietet eine instruktive Synopse. Sie ist das Ergebnis einer Untersuchung der niedersächsischen Rahmenrichtlinien für das Gymnasium in unterschiedlichen Fächern hinsichtlich deren Korrelationen mit Themen und didaktischen Aspekten des katholischen RU. G. Böhm diskutiert die Legitimation des Schulfaches Religion im Zusammenhang der (allgemeinen) "Richtlinien" als Bestandteil jedes Lehrplans für Gymnasien in NRW (188-205). J. Uhlhorn bemüht sich um ein angemessenes Verständnis der "Grundsätze der Religionsgemeinschaften" (GG 7,3) vor dem Hintergrund persönlich begleiteter Praxis in Niedersachsen (206-223).

A. Stein geht es darum, die Tragweite der Regelungen von Artikel 7 und 141 GG in umfassender Weise in das Bewußtsein zu heben, um vorschnellen Fixierungen vorzubeugen (224-240).

Stärker erziehungswissenschaftlich ausgerichtet ist der Beitrag von H. Schmidt (241-258), der die breit rezipierte Bezugnahme von religionspädagogischen Konzeptionen auf die "Schlüsselprobleme" hinsichtlich ihrer Angemessenheit angesichts der Herausforderungen der Moderne in Frage stellt. Demgegenüber möchte Schmidt ­ mit Joachim Fischer ­ die vier "Leibexistentialien" mit den Dispositionen Vertrauen, Begehren, Beherrschung und Vernunft zur Begründung für einzelne Lernbereiche heranziehen. Von F. Stäblein stammt ein erhellender Beitrag zu den mit dem "Ersatzfach" gegebenen Konstellationen, wiederum exemplarisch anhand der niedersächsischen Gesetzeslage dargestellt (259-275).

Fünf Dokumente zur religiösen Bildung im europäischen und im ökumenischen Zusammenhang vervollständigen den Sammelband, der nicht nur eine anregende Lektüre bietet, sondern in Teilen die Funktion eines Arbeitsbuches einnehmen kann.