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Ausgabe:

Oktober/1996

Spalte:

983 f

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Hrsg. von P. Biehl, Chr. Bi-zer, R. Degen, N. Mette, F. Rickers, F. Schweitzer

Titel/Untertitel:

Jahrbuch der Religionspädagogik, Bd. 11

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 1994. 246 S. DM 78,­

Rezensent:

Christian Grethlein

Die letzte Rezension zum Jahrbuch der Religionspädagogik (Bd. 5) durch Klaus Wegenast in der ThLZ (117, 1992, 942-944) war überschwenglich: "Das JRP ist für die, welche sich für religiöse Erziehung in Kirche und Gesellschaft, ihre Theorie und Praxis interessieren und auf diesem Feld arbeiten, bereits zu einer kaum mehr wegzudenkenden Institution geworden". Inzwischen haben sich der Herausgeberkreis, das äußere Erscheinungsbild und manches im Inneren verändert. Die von Wegenast gerühmte Bibliographie mußte auch im 11. Jahrgang einem "Situations- und Literaturbericht" (213-246) weichen, den diesmal H. Noormann verfaßte. Er nimmt die EKD-Denkschrift als Gliederungs- und Auswahlhilfe, allerdings mit der (Noormann bewußten) Konsequenz der Engführung von Religionspädagogik auf das schulische Handlungsfeld.

Weiter rühmte Wegenast damals die kritischen Rezensionen. In der Tat liegt hier auch heute noch ein Schwerpunkt. J. Henkys bespricht in erfreulicher theologischer Präzision die von Wegenast/Lämmermann verfaßte "Gemeindepädagogik" und legt nachdrücklich den Finger auf unzureichende Begründungszusammenhänge (203-212). Instruktiv ist auch die kritische Auseinandersetzung N. Mettes mit der EKD-Denkschrift zum Religionsunterricht (175-185). Dagegen fällt G. Ottos Versuch eines "synoptischen Vergleichs" religionsdidaktischer Neuerscheinungen schulmeisterlich aus (187-196). Ist Wissenschaft primär die Erteilung von Noten, die auf Grund der Nähe bzw. Ferne zum eigenen Standpunkt erteilt werden?

Weiter hebt Wegenast "sorgfältig in Auftrag gegebene Artikel und Berichte zu aktuellen Fragen" hervor. In dem zu besprechenden Jahrbuch werden zwei wichtige Themenkomplexe angezeigt: "Ost/West" und "Zeit". Dem Thema "Ost/West" sind neben zwei kurzen Situationsberichten und einer Darstellung R. Hoenens "Ritualisierte Weltanschauung in der Bildungspolitik der DDR" (77-91), die den DDR-Ritualen und -symbolen unter der Perspektive der "Zivil-Religion"-Theorie nachgeht, drei Artikel gewidmet: R. Degen steuert "Gemeindepädagogische Perspektiven im ostdeutschen Kontext" (17-35) bei, die mit ihren einfühlsamen Beobachtungen zur besonderen Situation in Ostdeutschland vor allem für westdeutsche Religionspädagogen von Interesse sein dürften. K. E. Nipkow eröffnet in seinem Beitrag "Zukunftsperspektiven der Religionspädagogik im vereinigten Deutschland" (57-76) durch Einbeziehung internationaler Entwicklungen einen weiten Horizont, wobei allerdings die spezifisch ostdeutsche Situation nur am Rande und auch sehr blaß in den Blick kommt. Noch mehr aus dem Themenbereich "Ost/West" fällt W. E. Failings Aufsatz "Gemeinde als symbolischer Raum. Die Gemeindepädagogik in der Phase der Systematisierung" heraus. Doch täte gerade seinen z. T. sehr abstrakten Gedankengängen die Konfrontation mit konkreten Situationen in Deutschland gut. Zudem bleibt ­ und hier wären die Anfragen von Henkys an Wegenast/Lämmermann zu wiederholen ­ Gemeindepädagogik hier theologisch merkwürdig unterbestimmt.

Auch den zweiten Themenbereich "Zeit" leiten zwei kurze Erfahrungsberichte ein. Dann stellt K. Mollenhauer "Zeitschemata. Deutungsmuster von Jugendlichen" (107-128) dar. Facetten- und geistreich (wie immer) ist der Essay Chr. Bizers zu "Schulzeit und Christuszeit". Materialreich stellt F. Schweitzer "Zeit" als "ein neues Schlüsselthema für Religionsunterricht und Religionspädagogik" vor (145-164), wobei er auf dem Fundament erfahrungswissenschaftlicher Einsichten zur Zeiterfahrung mit dem Rückgriff auf die Neubewertung der Apokalyptik durch J. B. Metz und den allerdings äußerst knapp gehaltenen Hinweis auf die durch Liturgie eröffnete Zeitperspektive wichtige Hinweise für weitere religionspädagogische Arbeit gibt.

Diese kurze Übersicht ergibt die Buntheit der Beiträge im diesjährigen Jahrbuch. Daß sie ­ wie Wegenast für den fünften Band feststellen konnte ­ "sorgfältig in Auftrag gegeben" sind, ist nicht ohne weiteres erkennbar.

Schließlich hob Wegenast die "zuweilen Monographien ersetzenden ,Grundsatzbeiträge´" hervor. Hier ist wohl heute die deutlichste Lücke gegenüber früheren Jahrbüchern zu spüren. Die Vielzahl der Beiträge verhindert, daß ausführlich argumentiert und entfaltet wird. So sind manche Anmerkungen von Failing (z. B. auch dem Rez. gegenüber) in der Kürze nicht hilfreich, da nicht diskursiv ausgeführt. Und bei den Überlegungen Schweitzers wäre man auf eine umfassendere Entfaltung seiner Hinweise zu einer Theologie der Zeit gespannt.

So scheint das Jahrbuch der Religionspädagogik an einem Scheideweg zu stehen. Gelingt es ihm durch umfassendere Literatursichtung und -besprechung sowie durch ausführlichere Beiträge wieder zu einem unentbehrlichen Werkzeug der religionspädagogischen Theoriebildung zu werden, oder wird es zu einer (merkwürdigerweise) nur einjährig erscheinenden religionspädagogischen Zeitschrift, neben den bisher schon vorhandenen?