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Ausgabe:

Februar/1999

Spalte:

193–195

Kategorie:

Autor/Hrsg.:

Bohn, Ingrid

Titel/Untertitel:

Zwischen Anpassung und Verweigerung. Die deutsche St. Gertruds Gemeinde in Stockholm zur Zeit des Nationalsozialismus.

Verlag:

Frankfurt/M.-Berlin-Bern-New York-Paris-Wien: Lang 1997. 303 S. m. 11 Abb. 8 = Kieler Werkstücke. Reihe B: Beiträge zur nordischen und baltischen Geschichte, 3. Kart. DM 89,-. ISBN 3-631-31365-9.

Rezensent:

Ingun Montgomery

Die vorliegende Arbeit wurde im Juni 1996 von der Philosophischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel als Dissertation angenommen. Die Autorin der Arbeit widmet sich der St. Gertruds Gemeinde in Stockholm, mit anderen Worten, der deutschen Gemeinde in Stockholm, während der Zeit des Nationalsozialismus. Eine solche Problemstellung scheint zunächst sehr einfach und ohne weiterreichende Bedeutung zu sein: Eine kleine Gemeinde weit weg von Deutschland- zudem eine Gemeinde, die der schwedischen Kirche angegliedert ist und damit von deutschen Einflüssen formal unberührt scheint - soll im Zentrum dieser Untersuchung stehen. Trotz allem ist es der Autorin gelungen, diese Untersuchung ungemein spannend zu machen. Vor dem Mikrokosmos, den die deutsche Gemeinde darstellt, wird die deutsche Geschichte dieser umwälzenden Zeit exemplarisch beleuchtet. Im Zentrum stehen Fragen nach politischen und kirchlichen Loyalitätskonflikten sowie der Identifikationsbereitschaft der in Stockholm lebenden Deutschen mit dem Nationalsozialismus.

Die deutsche Gemeinde in Stockholm hat eine Geschichte von mehr als 400 Jahren und ist seitdem als kultureller Mittelpunkt bedeutend gewesen. Innerhalb des untersuchten Zeitraums von 1933-1945 wird die zentrale Frage gestellt, wie sich diese deutschsprachige Gemeinde innerhalb der schwedischen Kirche zu der nationalprotestantischen deutschen Religiosität verhielt. Die Gemeinde verkörperte, obwohl sie Teil der schwedischen Staatskirche war, doch immer den deutschen Protestantismus - nicht zuletzt, indem sie deutsche evangelische Theologen auf ihre Pfarrstelle berief und damit zu ihren Repräsentanten machte.

Das Deutsche Gemeindeblatt der St. Gertruds Gemeinde ist eine bedeutende Quelle für das in der Gemeinde vermittelte Deutschlandbild zu jener Zeit. Die Publikation ist 1925 von Hauptpastor Ohly begründet und von ihm gestaltet worden. Im Gemeindeblatt wurden nicht nur theologische, sondern auch weltanschauliche, politische und kulturelle Beiträge gedruckt. Ohly hat sich, wie er im Gemeindeblatt 1936 schrieb, in die Tradition Adolf Stoeckers gestellt und zu einer konservativ-nationalen Grundhaltung bekannt. In der Gemeinde sowie in den schwedischen kirchlichen Kreisen wurde er sehr geschätzt. Zu den von ihm am häufigsten genannten Theologen gehört Otto Dibelius. Dessen Buch "Das Jahrhundert der Kirche" hinterließ bei Ohly einen tiefen Eindruck, so daß er es als ein "Zeichen der Zeit" pries.

Wie für viele andere evangelische Pfarrer von national-konservativer Prägung gehörten Materialismus und Bolschewismus zu den Feindbildern Ohlys. Wenn er von der Säkularisierung redete, verwendete er statt dessen oft Begriffe wie "Bolschewisierung" oder (später) "Kulturbolschewismus", die aus der nationalsozialistischen Propaganda kamen. Daß sich die "nationale Revolution" mehr und mehr in eine Diktatur Hitlers wandelte, wurde im Gemeindeblatt nicht einmal angedeutet. Man scheint dies ganz einfach nicht verstanden zu haben.

In dieser Arbeit wird die Vermengung politischer und theologischer Kategorien, die wahrscheinlich teils unreflektiert, teils zweckbestimmt war, aufgedeckt. Die Vfn. stellt die Frage, ob nicht die Loyalität gegenüber dem deutschen Reich nach Hitlers Machtübernahme in Gegensatz zur loyalen Haltung gegenüber Schweden und der schwedischen Kirche geraten mußte. Sie stellt jedoch fest, daß die Reaktionen der schwedischen Kirche sich zunächst kaum von den Stellungnahmen evangelischer Kirchenführer in Deutschland unterschieden. Man war von der "moralischen Erneuerung" auch in Schweden so beeindruckt, daß man selbige als Vorbild verstand und nicht weiter sah - oder nicht weiter sehen wollte.

Die sogenannte Flaggenfrage weckte nicht nur große Aufregung, sondern führte zu einer weitreichenden Debatte in Schweden. Im April 1934 hatte Außenminister von Neurath eine Erklärung an alle Missionen und Konsulate ergehen lassen, daß "auch die Auslandsdeutschen mithelfen" sollten, "der Hakenkreuzflagge als dem Symbol der nationalsozialistischen Idee, auf der der Bestand der deutschen Nation heute allein ruht, trotz aller augenblicklichen persönlichen Nachteile Geltung und Achtung im Auslande zu verschaffen". Die Gemeinde in Stockholm hatte entgegen den Wünschen der Deutschen Gesandtschaft weiterhin mit schwarz-weiß-rot und der schwedischen Nationalflagge geflaggt. Der Kirchenvorstand war dazu gekommen, "daß die deutsche Gemeinde als rein schwedische Gemeinde in keiner Weise veranlaßt werden könne, jetzt die beiden deutschen Reichsflaggen zu zeigen". Die Proteste gegen die Hakenkreuzfahne waren zu dieser Zeit in Schweden bereits zahlreich geworden - besonders unter den schwedischen Hafenarbeitern, die sich oftmals weigerten, deutsche Schiffe, die diese Flagge zeigten, abzufertigen. Dennoch wehte am 1. Mai 1937 die Hakenkreuzfahne zum ersten Mal über der deutschen St. Gertrudsgemeinde in Stockholm.

Ein anderes großes Problem, das aufgegriffen wird, ist das Bestreben der schwedischen Regierung, sich aus der Flüchtlingsproblematik herauszuhalten. Das Land war auf die Aufnahme politischer Flüchtlinge offensichtlich nicht vorbereitet. Die Angst, latenten Antisemitismus zu schüren, verhinderte einen entschlossenen Einsatz für die jüdischen Flüchtlinge und die deutsche Gemeinde konnte, nachdem sie öffentlich ihre Loyalität gegenüber dem Dritten Reich gezeigt hatte, kaum als Zufluchtsort betrachtet werden.

Mit der Einsetzung des "Volksgerichtshofs" im April 1934 schritt die Entrechtung der jüdischen Bevölkerung fort. Staatenlose Flüchtlinge aus Deutschland wurden nun selbst in Schweden von den "Nürnberger Rassegesetzen" eingeholt. Es gibt zudem Beispiele, daß schwedische Gemeindepfarrer das Aufgebot in Fällen, wo einer der Partner jüdischer Herkunft war, mit Hinweis auf die deutschen Gesetze verweigerten. Längst vergessene kleine "Vorfälle" dieser Art sind beschämend, wenn man ihnen heute wieder begegnet. Vielleicht aber lernt man aus ihnen - für die Zukunft.

Das Buch habe ich mit großem Interesse gelesen. Es ist fundiert und lesbar geschrieben und liefert anhand der deutschen St. Gertruds Gemeinde ein vielseitiges Bild von den Einstellungen zu Fragen der Zeit, wie sie von den Menschen in Schweden und Deutschland gezeigt wurden. Das Buch kann ohne weiteres empfohlen werden.