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Ausgabe:

Oktober/1996

Spalte:

978–980

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Schramm, Michael

Titel/Untertitel:

Der Geldwert der Schöpfung. Theologie –­ Ökologie –­ Ökonomie

Verlag:

Paderborn-München-Wien-Zürich: Schöningh 1994. 302 S. gr. 8o. Kart. DM 68,­. ISBN 3-506-78132-4

Rezensent:

Bernd Hildebrandt

Alle Lebensgüter haben aufgrund ihrer Knappheit ihren Preis. So pfleglich wie nötig mit ihnen umzugehen und sie so gerecht wie möglich zu verteilen, ist ganz und gar nicht selbstverständlich oder gar dem Selbstlauf des Marktes zu überlassen. Aber was soll und was kann geschehen? Die Frage nach dem Verhältnis von Moral, Ökonomie und Ökologie und den ihnen eigenen unterschiedlichen Rationalitäten provoziert Streit. In diesen greift diese Würzburger Habilitationsschrift ein. Sie versucht, indem sie die Notwendigkeit, die Chancen und die Grenzen der Wirtschaftsethik reflektiert, über den Streit hinauszugelangen hin zu einem Plädoyer für eine moralisch motivierte (und marktkonforme) Modifikation der Marktstrukturen (157).

Auf der einen Seite steht für den Vf. die Forderung nach der Dominanz der Ethik, wie sie etwa von der traditionellen katholischen Soziallehre erhoben wird (154). Auf der anderen Seite wird mit der Behauptung der selbstreferentiellen autopoietischen Struktur des Subsystems Wirtschaft (Luhmann) die Ethik aus diesem Bereich verbannt. Diesen vertikalen Modellen stellt der Vf. drei horizontale Modelle gegenüber (Widerstreit, Transversalität und Implementation), die für eine sowohl ethischen als auch ökonomischen Ansprüchen genügende Zuordnung gleichermaßen berücksichtigt werden müssen (154). Ebenso wie mit den vertikalen Modellen setzt sich der Vf. mit Konzeptionen auseinander, welche hinsichtlich der horizontalen Modelle nur jeweils eine Perspektive favorisieren. Auf diese Weise gewinnt der Leser eine instruktive Einführung in die gegenwärtige wirtschaftsethische Debatte und wird mit einer Lösung konfrontiert, die jenseits von bloßer Moralisierung und der Behauptung der Eigengesetzlichkeit wirtschaftlichen Handelns die strukturelle Verzahnung von ethischer und ökonomischer Vernunft im Horizont des Lebensförderlichen verlangt.

Der systemische Charakter der Ökonomie ist durchaus zu respektieren. Aber es geht um eine moralische Fundierung im Sinn der Systemsteuerung. Eben dies wird als das heute notwendige moraltheologische Paradigma eingefordert (257). Gleichwohl verliert die individuelle Moral dadurch nicht an Bedeutung, "will man den ethischen Anspruch, allen Betroffenen möglichst gerecht zu werden, nicht aufgeben" (259). Denn über den sachgerechten Umgang mit den Spielregeln des Marktes hinaus ist sie notwendig als schöpferisch gestaltende Kraft, um den geschichtlichen Herausforderungen in der prinzipiellen Unvorhersehbarkeit der Zukunft angemessen begegnen zu können (263). Es ist heute erforderlich, die ökonomische Rationalität für ökologische Fragen zu öffnen, und zwar mit dem Ziel, die soziale Marktwirtschaft um die Komponente des Ökologischen zu erweitern.

Zur theoretischen Durchdringung der Problematik werden die Kategorien der Prozeßtheologie, insbesondere der Begriff der Aisthesis, verwendet. Er besitzt für den Vf. eine Schlüsselfunktion. Es geht darum, handlungsleitend Zeichen zu lesen.

Im Anschluß an Whitehead und Peirce definiert ihn der Vf. als "Wahrnehmung in abduktiver Pragmatik" (17). Denn Wahrnehmung sei sowohl ein abduktiver Schluß von der Wirkung auf die Ursache als auch eine diesbezügliche Entschließung zu einem bestimmten Handeln. Wenn alltagssprachlich von "Wahrnehmung von Verantwortung" die Rede sei, so kämen darin beide Komponenten zum Ausdruck (30). Im theologischen Zusammenhang bedeute dies, daß der Glaube die Sehweise der Welt ändere und zu einem entsprechenden Handeln beflügele.

Konkret ist das Wahrnehmen der Natur als Schöpfung angesprochen. Das heißt, daß ­ in Rahnerscher Terminologie und im sachlichen Anschluß an ihn formuliert, aber über ihn hinausführend ­ die existentiale Dimension alles Seienden, sein Entwurfscharakter resp. seine göttliche Bestimmung in den Blick treten. Von daher kann der Vf. den Begriff der Moral bestimmen als "pragmatisch normative Aisthetisierung der (sich möglicherweise widerstreitenden) existentialen Präferenzen aller Betroffenen."(44) Mit dem Begriff der existentialen Präferenz ist ausgedrückt, daß Schöpfung mehr meint als den Aspekt des Hervorbringens durch Gott, nämlich eine wesentlich kreative Wirklichkeit, die Selbsttranszendenz alles Seienden.

Der Begriff des Existentialen steht dabei zum einen gegen die Heteronomie eines externen (ontologischen, ethischen) Maßstabes und die Geltung des metaphysischen Paradigmas der Substanz und eines ihm entsprechenden Naturrechts. Zum anderen steht er gegen das Geltenlassen des bloß Faktischen, womit jeder Transzendenzbezug abgeblendet wird. Wahrnehmung mit den Augen des Glaubens kann dann auch ausgedrückt werden als die Aufmerksamkeit auf den unabsehbaren Eigenwert aller Geschöpfe im Prozeß der Selbstrealisierung ihrer Existenz (66). Dies verlangt eine abduktiv kreative Moral mit der Maßgabe, auf Schöpfungsgerechtigkeit hin zu wirken (73). Dabei geht es um Erfindung als Findung entgegen einem essentialistischen Metaphysizismus einerseits und einem radikalen Konstruktivismus andererseits (75).

"Die ,Schöpfungsgerechtigkeit´ besteht darin, unter den Bedingungen realer Widerstreite die individuale und systemisch zu übersetzende Aufgabe einer kreativen Bewahrung/Intensivierung der ökologischen Beziehungen wahrzunehmen." (81) Der Widerstreit ist unter den Endlichkeitsbedingungen dieser Welt nicht aufhebbar, so daß die Schöpfungsgerechtigkeit nicht im (prämodernen) Sinn holistischer Mythisierungen und des New-Age-Denkens verstanden werden darf. Vielmehr geht es darum, den Widerstreit jeweils, und zwar mit der Nennung berechtigter Gründe, in der Perspektive immer nur annähernder Schöpfungsgerechtigkeit zu entscheiden, so daß der moralische Stachel bleibt (93).

Um die ökologische Aufgabe in die Ökonomie einzubeziehen, bedarf es der Aisthetisierung des Geldes als des Mediums der Wirtschaft. Es muß in seiner Eigenschaft, reale Werte zu schöpfen, wahrgenommen werden. Diese transzendierende Qualität der Geldwirtschaft pervertiert jedoch dann, wenn die Knappheiten ausgeblendet bleiben. Ihnen Sprache zu geben, kann im System der Geldwirtschaft nur durch Preise geschehen. Dies muß denn auch passieren, und zwar so, daß die sich verknappende Natur in das Preissystem integriert wird. Wie kann das realisiert und plausibilsiert werden? Hierzu bedarf es der Umsetzungsstrategien "Demokratie" und "ökosoziale Marktwirtschaft". Sie sind "als Strategien einer Aisthetisierung der Präferenzen aller Betroffenen Kostensenkungsverfahren unter den Realbedingungen der (Post-)Moderne" (148). Die Demokratie, verstanden als Konsens aller, ist das optimale Verfahren, konstruktiv mit den realen Widerstreiten umzugehen.

Für diese Zusammenhänge macht der Vf. insbesondere die Gerechtigkeitstheorie von Rawls fruchtbar, weil diese nicht (wie etwa die Konzeption von Habermas) in bekenntnishaften Postulaten steckenbleibt (170), sondern den Begriff der Gerechtigkeit strukturell faßt und mit der bleibenden Vielzahl einander widerstreitender Konzeptionen des Guten rechnet (204). Demokratie kann dann, in der Aufnahme der von Rawls unterstellten normativen Gleichheit aller, definiert werden als "ein im Horizont des normativen (ethischen) Glaubens an die unabsehbare Würde des Menschen konturiertes Konzept einer Aisthetisierung des Eigenwertes der existentialen Präferenzen aller (möglicherweise) Betroffenen (201)." Um auch die Ansprüche der Natur stets mitzubedenken, ist die kosmologische Entgrenzung dieses Demokratiebegriffs zumindest heuristisch sinnvoll (208).

Auf der Grundlage eines solchen ethisch bestimmten Demokratieverständnisses, das der Vf. in Abgrenzung gegen eine rein ökonomisch argumentierende Vertragstheorie herausarbeitet (197 f.) und in welchem er die grundlegenden Prinzipien der katholischen Soziallehre demokratietheoretisch rekonstruiert sieht (201), kann dann auch der Anspruch, die ökologische Aufgabe ökonomisch zu berücksichtigen, legitimiert werden. Sie in den Mechanismus des Marktes einbauen heißt, den Eigennutz für den Umweltschutz fruchtbar zu machen (223) und diesbezügliche Lücken im Marktsystem durch Regelungen zu schließen. Hierfür hilfreich wird das spieltheoretische Modell des sog. Gefangenendilemmas vorgestellt. Es kann die Forderung nach einem koordinierten Handeln aller plausibel machen, weil ansonsten bestenfalls immer nur suboptimale Lösungen erreicht werden.

Einsichtig wird mit diesem spieltheoretischen Modell auch, daß für den Umgang mit öffentlichem Gut, wie ein solches die Umwelt ist, dem Verursacherprinzip Geltung verschafft werden müsse. Der Vf. sieht als wirksamstes Instrument für die diesem Prinzip Rechnung tragende Steuerung einer ökosozialen Marktwirtschaft die Umweltzertifikate und den Handel mit ihnen an, meint aber schließlich, daß die ökologische Steuerreform aus pragmatischen Gründen die größte Chance habe, auf die politische Tagesordnung gesetzt zu werden (250).

Den vorgetragenen Argumenten für den ethischen Sinn der Marktwirtschaft, wenn sie einen sozial- und ökologiepolitischen Rahmen hat, wird man sich schwerlich verschließen können. Gleichwohl bleibt für ein Problemfeld ein gewisses Unbehagen, wenn Marktwirtschaft und sozialökologischer Rahmen durchaus auch als ein dualistisches Zusammenspiel gesehen werden können. Denn angesichts sich ausbreitender struktureller Arbeitslosigkeit darf zumindest die weitergehende Frage gewagt werden, ob nicht der Mechanismus der Marktwirtschaft als solcher Komponenten erhalten müsse, welche das sozusagen hinzunehmende "natürliche Unterbeschäftigungsniveau" (222) systemisch aushebeln könnte. Ist nicht die Arbeit in gewisser Weise auch ein öffentliches Gut?

Und gehört nicht die gerechte Verteilung von Arbeit in das Konzept der Schöpfungsgerechtigkeit hinein? Sind hier dann nicht noch mehr gedankliche Anstrengungen notwendig, um den vom Vf. vorausgesetzten Widerstreit zwischen der Effizienz des Wirtschaftens und dem personalen Wert der Arbeit zu minimieren (vgl. 222)?

Diese Frage betrifft gewiß nicht das zentrale Thema des Buches, wie es im Titel klar formuliert und in den Ausführungen überzeugend dargelegt wird. Diese Darlegungen sind ausgesprochen instruktiv, erfreulich nüchtern, problemorientiert und verschleiern die Dinge nicht. Sie beeindrucken durch wirtschaftswissenschaftliche Kompetenz und machen durch sich selber deutlich, daß ohne solche Kompetenz die wirtschaftsethische Problematik einschließlich der ökologischen Frage nicht von ferne angemessen behandelt werden kann. Schade ist, daß sich manche Fehler eingeschlichen haben, die in einigen Fällen sogar auf das richtig Gemeinte hin erst entschlüsselt werden müssen.