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Ausgabe:

Oktober/1996

Spalte:

972–974

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Schüssler-Fiorenza, Francis

Titel/Untertitel:

Fundamentale Theologie. Zur Kritik theologischer Begründungsverfahren

Verlag:

Mainz: Grünewald 1992. 316 S. 8o = Welt der Theologie, Pb. DM 48,­. ISBN 3-7867-1578-5

Rezensent:

Matthias G. Petzoldt

Wie entgeht Fundamentaltheologie dem Fundamentalismus? Soweit protestantische Theologie mit dem, was als "Fundamentaltheologie" bezeichnet wird, wenig anzufangen weiß, wird sie in der Versuchung stehen, dieser Frage kaum Aufmerksamkeit zu schenken. Katholischer Theologie mit ihrer gleichnamigen Disziplin hingegen wird diese Frage abwegig erscheinen. Meint sie doch, mit der aus mehrhundertjähriger Apologetik gewachsenen Tradition rationaler Rechtfertigung der Glaubwürdigkeit des christlichen Glaubens sowie der Wissenschaftlichkeit christlicher Theologie als den Zielstellungen der Fundamentaltheologie sich grundlegend von dem irrationalen Vorgehen fundamentalistischer Strömungen zu unterscheiden. So mag zumindest das Bild aussehen, das die kath. Fundamentaltheologie herkömmlicherweise von sich hat, und das Bild, das sie sich vom Fundamentalismus macht. Der US-amerikanische Vertreter dieses Faches aber befragt die theologischen Begründungsmuster und besonders die Ansätze des für das theologische Begründungsproblem eigens ausgebaute Fach auf ihren latenten oder offensichtlichen Fundamentalismus hin. Dabei greift er nicht nur den "statischen Charakter" der Metapher "Fundament" an (270), sondern kritisiert viel grundsätzlicher an den fundamtentaltheologischen Zielstellungen, dem christlichen Glauben und der Theologie ein unabhängiges Kriterium bereitstellen zu wollen (273).

Das darin sich ausdrückende Bild vom Fundamentalismus ist nun seinerseits nicht weniger einseitig als das vorausgehende und mutet auf dem Hintergrund der in den USA geführten Diskussion um dieses Phänomen eigenartig undifferenziert an. Für die Erarbeitung einer Ausgangsposition zur kritischen Prüfung theologischer Begründungsverfahren erweist sich diese These jedoch als anregend.

Gerichtet wird diese Kritik durch das ganze Buch hindurch sowohl gegen die extrinsisch argumentierende "traditionelle" wie intrinsisch orientierte "transzendentale" Fundamentaltheologie. "Es gibt keine äußere Instanz, sei es Geschichte oder menschliche Erfahrung, die unabhängig von der kulturellen Tradition und sozialen Interpretation existiert, die ein unabhängiges Fundament sowohl für den Glauben als auch für dieTheologie bildet. Die Zurückweisung der Unabhängigkeit solcher Instanzen der Evidenz heißt nicht, daß es keine Instanzen gibt, sondern daß die historischen und transzendentalen Instanzen nur innerhalb eines kulturellenundinterpretierenden Rahmens erreichbar sind" (273).

Dieser Einsicht wird nach Meinung des Autors nur eine Methode gerecht, die ein "reflexives Gleichgewicht" zwischen der Rekonstruktion der Bedeutung vorfindlicher Glaubensaussagen und theologischen Theorien, ihrer retroduktiven Rechtfertigung(1) und ihrer implizierten Hintergrundtheorien anstrebt (274 u.ö.). Solche "rekonstruierende Hermeneutik" (268) schärft den Blick für die kulturgeschichtliche Zirkularität, insofern menschliche Erfahrung und ihre Interpretation (wie etwa die menschliche Sehnsucht nach dem Unbedingten), die als Begründungsinstanzen bemüht werden, "innerhalb der westlichen Zivilisation" "durch den christlichen Glauben bereits prädeterminiert" sind (264). Die gerade in der jüngeren Geschichte der Fundamentaltheologie beliebten Argumentationsmuster transzendentalan-thropologischer Korrelationen haben zirkulären Charakter. Sie rekurrieren auf eine Ontologie, die näher betrachtet als von christlicher Überlieferung geprägte Daseinsanalysen durchschaut wird. Ihre Interpretationskraft ist geschichtlich relativ. S. F. verweist hier auf einen Zusammenhang, den sich diejenigen, welche aus der kulturellen Tradition des Christentums heraus die Wirklichkeit zu erschließen suchen, schon wegen der Klarheit über den eigenen Interpretationsvorgang bewußt zu machen haben. In gleicher Weise wichtig ist solche hermeneutische Rekonstruktion in dem und für den Dialog mit denen, welche diese traditionsgeschichtliche Voraussetzung nicht teilen, weil sie entweder auf dem Boden anderer Religionen und Kulturen stehen oder weil sie ­ als Glieder der ,westlichen´ Zivilisation ­ aus der kulturellen Tradition des Christentums bereits ausgestiegen sind und sich anders orientieren.

Die grundsätzlichen Überlegungen werden im dritten und letzten Teil ("Von der Fundamentaltheologie zur fundamentalen Theologie") entfaltet. Zuvor handelt das Buch über "Die Auferstehung Jesu" (Teil I) und den "Ursprung der Kirche" (zweiter und mit Abstand umfangreichster Teil). Dabei bleibt dem Leser nicht verborgen, daß der Vf. den christologischen und den Kirchen-Traktat der neuschscholastischen Fundamentaltheologie thematisch engführt, um so die Fragwürdigkeit in deren historischer Beweisführung plastisch herauszuarbeiten sowie die dazu alternativen Modelle der Immanenzapologetik und anthropologischen Korrelation in ihrer Fixierung auf die gleiche Suche nach einer unabhängigen Begründungsinstanz zu kritisieren.

Als wichtige Hintergrundtheorien für die fundamentaltheologische Diskussion über Auferstehung Jesu und Ursprung der Kirche beleuchtet der Autor in den Teilen I und II u.a. die Debatten um die Frage nach dem Wesen historischer Ereignisse, um den Zusammenhang von Kausalität und Kontingenz, von Erfahrung und Interpretation, von Bedeutung und Rezeption und um Wahrheitsverständnisse usw. Zwar bringt er hier keine neuen Gesichtspunkte ein. Aber die Erörterungen belegen seine aufmerksame Beobachtung der europäischen Diskussionen und informieren über die parallelen amerikanischen Diskurse. Vor allem ermöglichen sie dem Leser, den wissenschaftstheoretischen Aufbau seiner Konzeption gut nachzuvollziehen.

Der Vf. meint, durch den Ansatz einer rekonstruierenden Hermeneutik auch die konfessionellen Kontroversen in Fragen der Ekklesiologie und Sakramentenlehre überwinden zu können (214). Er thematisiert an dieser Stelle die Kriterienfrage in einer Weise, welche die normative Bedeutung der Schrift bemerkenswert heraushebt (198-220). Hier fehlt allerdings ein letztes deutliches Wort dazu, daß die Argumentation auf einen Zirkel in der Wertung der ntl. Beschreibung der Relation zwischen Jesus und Kirche als normativ (215) hinausläuft. Besonders dem protestantischen Leser fällt auf, daß die Lösung dieses hermeneutischen Problems S. F. dem ökumenischen Diskurs überläßt (216) und daß er dazu nicht ein kirchliches Lehramt herbeiruft. Überhaupt verzichtet sein fundamtentaltheologischer Kirchen-Traktat (bis auf wenige vage Andeutungen, z. B. 215) auf eine sonst übliche Begründung der Hierarchie und des Lehramtes der Römisch-Katholischen Kirche.

Wenn der Autor so grundsätzliche Kritik zur eigenen fundamtentaltheologischen Tradition anmeldet, muß freilich die Frage gestellt werden, warum er an der herkömmlichen Traktaten-Systematik festhält? Die Entwürfe (politisch-)handlungstheoretischer (z. B. J.B. Metz und H. Peukert) und hermeneutischer Orientierung (z. B. E. Biser, H. Stirnimann, P. Knauer), denen S. F. bei aller Eigenständigkeit noch am nächsten steht und die in besonderer Weise die konzeptionelle Offenheit und Vielfalt nachkonziliarer katholischer Fundamentaltheologie repräsentieren, haben mehr oder weniger die klassische Dreiteilung aufgegeben. Zeigt sich an dieser Stelle, daß der Vf. nicht konsequent genug seine Kritik an den maßgeblichen Begründungsverfahren in der römisch-katholischen (Fundamental-)Theologie durchgeführt hat?

Bei der Übersetzung aus dem Amerikanischen ist das Buch gekürzt worden. Vielleicht ist es diesem Umstand zuzuschreiben, daß das Werk in seinen referierenden Abschnitten ­ wie eben bei der Charakterisierung des Fundamentalismus sowie bei der Darstellung fundamtentaltheologischer Positionen ­ unter bedenklichen Verkürzungen leidet. Die Stärke des Buches liegt dagegen in den konstruktiven Passagen, sosehr man sich auch eine weitere Klärung und Ausarbeitung der Konzeption wünscht (z. B. in der Frage, wie über die mehrfache Berufung auf die Bedeutung des irdischen Jesus hinaus dessen Wirken und Botschaft dargestellt wird und das Gewicht desselben sich nun inhaltlich auf den Entwurf einer rekonstruierenden Hermeneutik auswirkt).

Mehr zwischen den Zeilen zu finden ist die Einsicht, daß die Frage nach den ,FundamentenŒ des Glaubens und der Theologie als solche gerechtfertigt und als Symptom für die Verunsicherung des Bewußtseins hinsichtlich seiner religiösen Identität ernstzunehmen ist. Gerhard Ebeling hat von seiten evangelischer Fundamentaltheologie her auf die Differenzierungspotenz der "Fundament"-Metapher hingewiesen(2), so wachsam man bei dieser auch sein muß hinsichtlich statischer Konnonationen und Versuchungen fixpunkt-ideologischer Vereinnahmungen. Ebeling hat zudem an der theologischen Tradition nachweisen können, wie die christozentrische Füllung der Metapher gerade den Geschehenscharakter des für Glaube und Theologie Fundamentalen zu verdeutlichen verstanden hat. Das Fundament der Theologie ist "nicht ein Grundsatz, sondern ein Grundvorgang."(3)

Um die Gefahr des Fundamentalismus einerseits und der fundamentalistischen Grundmuster in den Begründungsverfahren gängiger fundamentaltheologischer Schulen andererseits deutlich zu markieren, bezeichnet S. F. seine Position als "fundamentale Theologie". Solche Kennzeichnung erfreut sich auf katholischer Seite in letzter Zeit einer gewissen Beliebtheit (z.B. K. Rahner, H. Peukert). Freilich ist der Gewinn bei dieser Wahl eines verhältnismäßig unverbrauchten Begriffs nur vordergründig. Obendrein führt der Vf. diesen Begriffswechsel nicht konsequent durch.

Fussnoten:

(1) "Retroduktive" Rechtfertigung argumentiert nach der Auskunft des Vf.s "von der Verschiedenheit und Unterschiedlichkeit der Schlüsse her, die aus einer Hypothese gezogen werden können" (296). "Solche Legitimationen sind schwächer als die der deduktiven und induktiven Methode, sie liefern aber wichtige Kriterien für Entscheidungen" (297).
(2) Erwägungen zu einer evangelischen Fundamentaltheologie. ZThK 67, 1970, 479-524 (hier 512).
(3) Ebd., 513.