Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Oktober/1996

Spalte:

970–972

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Rasmusson, Arne

Titel/Untertitel:

The Church as Polis. From Political Theology to Theological Politics as Exemplified by Jürgen Moltmann and Stanley Hauerwas

Verlag:

Lund: University Press 1994. 418 S. gr. 8o = Studia theologica Ludensia, 49. ISBN 91-7966-263-3

Rezensent:

Udo Kern

Stanley Hauerwas, methodistischer Theologe früher an der Katholischen Universität Notre Dame, jetzt an der Duke University "Theological Ethics" lehrend, ist für R. der Repräsentant der "Contemporary Radical Reformation Theology". (23) Hauerwas, der theologisch beeinflußt ist von John H. Yoder, vertritt nach R. nicht Political Theology, sondern Theological Politics. Der Repräsentant der Politischen Theologie ist für R. Jürgen Moltmann. Dessen theologisches Programm untersucht R. kritisch von der theologisch-ethischen Position Stanley Hauerwas´ aus. Die Intention R.s ist es, "to describe the theological politics of Hauerwas as a positive alternative to Moltmann´s political theology" (37). M. E. liegt das Gewicht dieser Arbeit erst sekundär auf Hauerwas´ Theologie, sondern primär im kritischen Gespräch mit der Moltmannschen Politischen Theologie, die R. als "Sackgasse" (42 ff.) bezeichnet.

Für Moltmann (= M.) und Hauerwas (= H.) sei Theologie zuerst eine praktische Disziplin, die relationiert sei in bezug auf das aktuelle Leben der Kirche. Sie sei kritische Reflexion der Glaubenspraxis. Schrift und Tradition seien für beide von krucialer Bedeutung, ebenso die theologische Relevanz in bezug auf das soziale Leben und den social change.

M.s politische Theologie sei zwar nicht "eine Theologie über Politik" und nicht von dem Wunsch getragen, Theologie zu politisieren (47), aber M.s Theologie sei eine kontextuale Theologie, eine Theologie, die partizipiert am gegenwärtigen Kampf für Freiheit und Gerechtigkeit. So liest und interpretiert R. M.s Theologie, die von der Barthschen Tradition der reformierten Theologie und dem Erbe der Bekennenden Kirche geprägt sei. Diese Moltmannsche Theologie leide aber unter Spannungen. Zwischen der Theologie der Hoffnung und dem Gekreuzigten Gott sei eine "crucial difference" (69). M. s Diskurs über (politische) Macht sei unausgewogen. Zunächst vertrete er einen marxistischen, später einen moralischen Sozialismus, um dann letztlich bei "green thoughts" (126) zu landen. M.s System kranke an dem Dualismus progressiv-reaktionär bzw. Freund-Feind.

M. und H. unterschieden sich darin, daß jener Gottes Aktivität in der Welt als politischen Kampf verstehe, in dem Kirche und Theologie definiert werden. Obwohl M. wichtige biblische Inhalte referiere (z. B. Leiblichkeit, Einheit von Leib und Seele, Apokalyptik) habe das kaum Auswirkungen auf seinen expressiven Individualismus hinsichtlich Freiheit, Macht, Ethik, Ekklesiologie. (379) H. dagegen mache die Geschichte der christlichen Gemeinde zur "´counter story´ that interprets the world´s politics".(188) "The church tells... a story of an ecclesial interruption, based on Jesus Christ, of the world´s violent story". (306)

Moltmanns Theologie totalisiere das Überleben und setze nicht auf den Frieden Gottes, wie er von der christlichen Gemeinde bezeugt wird. M. schreibe Theologie für christliche Sozialaktivisten. Theologie sei ihm Motivation zum Kampf für Frieden und Gerechtigkeit. Das alles diene der Befestigung des modernen Individualismus. Aber nach H. habe die Kirche zu Recht nicht wie bei M. den Individualismus zu befestigen, sondern als christliche community of virtue zu handeln. (349)

Die politische Theologie M.s sei Teil der Moderne. Sie wolle Moderne und Christentum vermitteln. Zentral für dieses Vermittlungsprojekt sei die Rezeption der Säkularisation, die verstanden werde als Befreiung des Menschen von den Fesseln von Natur, Schicksal, Tradition und Religion, als die Herausbildung eines freien Subjektes in seiner Geschichte. Untersetzt werde dies durch M.s christliche Legitimierung der Aufklärung und Moderne. Diese seien nach M. wesentlich durch das Christentum gebildet worden. So sei alles letztlich "umbraced by this political horizon" der Moderne. (375)

Trotz anderer Intention sei M.s Theologie eine neue Version des Konstantinismus, in dem Sinne, daß er (M.) the work of the Spirit of God mit special social movements und ihren Hoffnungen auf ein gerechteres System identifiziert. (350) M.s politische Theologie sei "a Postmaterialist transformation of Christian theology" (376) ­ prägend bestimmt von der Weltanschauung der postmaterialistischen oberen Mittelklasse. Zwar sei M.s "Gekreuzigter Gott" eine nicht zu übersehende und wichtige Modifikation seiner ursprünglichen politischen Theologie (indem hier Gott nicht wie vorher exklusiv als Macht der Zukunft gesehen werde, sondern als "gekreuzigter Gott" die Leiden der Leute teile; dazu käme positiv M.s Ansatz in "Der Weg Jesu Christi", Kirche zu sehen als Kontrast-Gesellschaft, die ein Zeugnis für die soziale und politische Praxis sei), aber letztlich bleibe M. hier nicht konsequent, insbesondere hinsichtlich der sozial-politischen Konsequenzen, die sich daraus ergeben.

H. hätte dagegen die konsistentere und konsequentere theologische Position der "Interpretation der modernen liberalen Gesellschaft. Die primäre Basis seiner Interpretation sind nicht laufende Trends, sondern eine theologische Perspektive, die basiert auf den Praktiken und Erfahrungen der christlichen Kirche durch die Jahrhundert hindurch." (380)

H., der sich ausdrücklich als theologischer Ethiker verstehe, sei davon überzeugt, daß die Glaubwürdigkeit von christlichen Überzeugungen in der "practical force" bestehe. Theologie könne nicht von Ethik getrennt werden, denn Theologie sei eine "practical activity", die damit zu tun habe, wie christliche Überzeugungen Wirklichkeit konstruierten.

"Ethics is... not something that follows theology. On the contrary theological assertions are intrinsically also ethical assertions, because they construe reality in a specific way, and the first task of ethics is to learn to see the world rightly." (176) Theologen seien nicht (wie die Aufklärung meinte) unabhängige Denker eines abstrakten Gottesdiskurses, sondern Theologie unterstütze den konkreten Dienst im Volk Gottes. Theologie sei nicht irrational, allerdings auch nicht eine Mixtur von sozialen und politischen Theorien, nicht so eine Art "high-culture journalism".(177 f.) Theologie als trinitarische sei nach H. von Anfang an praktische und damit der Geschichte verbunden.

Die Bergpredigt sei H. nicht unmögliches Ideal, sondern "eine Möglichkeit (possibility), weil das Reich Gottes begonnen hat mitten in der Geschichte durch Jesus Christus, und dies macht die Existenz eines people of followers möglich." (183) Das Herzstück der Theologie bestehe in dem Theologoumenon: Gott schafft eine Volk, das durch Jesus Christus zum Träger eines neuen Lebens werde. So habe Rettung soziale und politische Natur. (184) H. schreibt: "Jünger zu werden ist nicht eine Sache eines neuen oder geänderten Selbstverständnisses, sondern vielmehr, Mitglied einer different community with a different set of practices zu werden." (zit. 194 Anm. 21) Wichtige Quelle aller christlichen Lehre sei daher, Gottes Geschichte zu hören, zu erzählen und zu leben (dazu gehöre auch deren liturgische Darstellung).

H. sei gegen eine Privilegierung der historisch-kritischen Methode bei der Auslegung der Heiligen Schrift. Die Bibel sei im Kontext der Praxis der Kirche zu interpretieren. Das Christentum sei nicht durch fremde stories auszulegen, es habe seine eigene story, dessen Basis Leben, Tod und Auferstehung Jesu Christi sind, die in der Welt zu sagen und damit politisch sei.

Für H. ist Gewaltlosigkeit "the very heart of our understandig of God" (303). Gott, so H., wolle die Schöpfung nicht durch Gewalt, sondern durch Liebe regieren. Wir seien aufgerufen, an dieser Regierung durch Frieden teilzunehmen. "Die Kirche erzählt nicht primär die Geschichte der westlichen Zivilisation", sondern die der in Christus ihr Fundament habenden kirchlichen Unterbrechung der world´s violent story. (306)

R.s Buch ist zu empfehlen, um Zugang zu H.s theologisch-ethischem Werk zu finden. Hier wird griffig, gekonnt auf Wesentliches konzentriert, die Mitte getroffen. Diesem Werk gilt die Sympathie R.s. Schwächer ist seine Darstellung der Moltmannschen Theologie, obwohl auch hier Wichtiges anfragend zur Sprache kommt. Aber das Defizit besteht darin, daß es R. nicht hinreichend gelingt, theologische Basis und politische Optionen in Moltmanns Werk in der Tiefe aufeinander zu beziehen. Die systematisch-theologischen Grundlagen werden von R. bei M. nur angerissen, kommen aber in seinem theologischen Diskurs in ihrem Gewicht nicht recht zu Geltung. Indem hier nicht die theologische Basis in ihrer theologischen Dimensionalität genügend berücksichtigt wird, kommt es zu Verzerrungen in R.s Darstellung der (politischen) Theologie M.s. Evident wird das insbesondere an der oberflächlichen Heranziehung von M.s Trinitätslehre.