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Ausgabe:

Oktober/1996

Spalte:

966–968

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Zamora, José A.

Titel/Untertitel:

Krise –­ Kritik –­ Erinnerung. Ein politisch-theologischer Versuch über das Denken Adornos im Horizont der Krise der Moderne

Verlag:

Münster: LIT 1995. XII, 507 S. gr. 8o = Religion ­ Geschichte ­ Gesellschaft, 3. geb. DM 78,80. ISBN 3-8258-2389-X

Rezensent:

Wolfgang Schoberth

In seiner bei Johann Baptist Metz in Münster entstandenen und 1994 abgeschlossenen Dissertation geht José A. Zamora den Herausforderungen nach, die das Denken Theodor W. Adornos nach wie vor für die Theologie darstellt. Z. will dabei das theologische Potential zur Geltung bringen, das bei Adorno gerade in seiner Negation falscher Versöhnung aufzufinden ist: Unter dem Leitgedanken der ,anamnetischen Solidarität´, dem Eingedenken der Opfer, sucht er nach der Möglichkeit einer Theologie, die angesichts der Leiden der Geschichte Bestand haben kann. Bei Z. steht die Einsicht Adornos im Zentrum, "daß der Gedanke, der sich nicht enthauptet, in Transzendenz mündet, bis zur Idee einer Verfassung der Welt, in der nicht nur bestehendes Leid abgeschafft, sondern noch das unwiderruflich vergangene widerrufen wäre." (Adorno, Negative Dialektik, 395) Kann dieser Gedanke offenbar nur theologisch eingelöst werden, so bleibt er bei Adorno negativ als Benennung der Hoffnung, die jenseits des Denkens steht. Adorno wehrt den theologischen Gebrauch dieses Gedankens ab, weil er darin nur die erneute Verklärung des Unwahren erkennen kann. Z. widersteht darum mit Recht der Versuchung, diese äußerste Konsequenz des Denkens Adornos theologisch affirmativ zu nutzen. "Daß hier jedoch der Wahrheitsgehalt genannt worden ist, um den jedes heutige theologische Denken zu ringen hat, macht Adorno zum unverzichtbaren Dialogpartner einer nachidealistischen Theologie, die die Selbstkritik nicht verlernen will, die also auch bereit ist, gegen sich selbst zu denken." (6) Solche Theologie steht nicht im Einverständnis mit dem Gang der historischen Entwicklung, sondern verweigert sich der Rechtfertigung und Überhöhung des Bestehenden, indem sie die Opfer benennt, auf denen es basiert.

Z.s weit angelegte Untersuchung geht diesen Zusammenhängen in vier Gedankenkreisen nach. Der erste und kürzeste Teil entfaltet die Problemstellung, indem Z. die ,kommunikative Wende´ der Kritischen Theorie bei Habermas reflektiert. Habermas steht dabei auch als Typus der verbreiteten Kritik am Denken Adornos, die ihm eine Überziehung der Vernunftkritik unterstellt, die in dem performativen Widerspruch ende, daß Adorno mit den Mitteln der Vernunft deren Legitimität bestreite. Z. zeigt, daß solche Kritik das Denken Adornos im Ansatz verfehlt, insofern dieses die reale Dialektik der Aufklärung und nicht lediglich deren Mißbrauch im Denken reflektiert: "Die Absicht Habermas´, die kulturelle Moderne gegen eine radikale Kritik abzusichern, läßt sich nur um den Preis einer Verharmlosung der Widersprüche der kapitalistischen Gesellschaft und einer Formalisierung bzw. Prozeduralisierung der Vernunft verwirklichen." (53)

Die Metakritik Habermas´ gibt dann die Themen vor für den zweiten Teil, der in drei Komplexen die Krise des Projektes der Moderne nachgeht: Sowohl in der Geschichtsphilosophie wie in der Ideologiekritik als auch in den ästhetischen Avantgardebewegungen sind die Aporien der Moderne erkennbar. Diese drei Komplexe sind wesentlich für die Genese des Denkens Adornos, die im dritten Teil nachgezeichnet wird. Auch dieser Teil ist in der Metakritik Habermas´ vorbereitet: Hatte Habermas beansprucht, gegen die Spätphilosophie Adornos die Anfänge der Kritischen Theorie zur Geltung zu bringen, um damit die Radikalisierung der Vernunftkritik bei Adorno zu unterlaufen, so kann Z. zeigen, daß zwischen den Anfängen und der Spätphilosophie eben kein Bruch festzustellen ist; Adorno zielt vielmehr von Anbeginn darauf, im Projekt der Moderne selbst diejenige Dialektik von Emanzipation und Unheil namhaft machen, deren Erkenntnis allein die Hoffnungen bewahren kann, die mit diesem Projekt verbunden waren. Dabei insistiert Z. darauf, daß die Widersprüche im Denken Adornos wiederum nicht im Denken zu lösen sind, sondern auf die widersprüchliche Wirklichkeit selbst verweisen: Erst wenn die Leiden der Geschichte abgeschafft wären, könnte Denken bruchlos sein.

Hier mündet die philosophische Reflexion in die Selbstkritik der Theologie, insofern diese mit dem Projekt der Moderne eng verflochten ist: Eine Distanzierung der Theologie von der als krisenhaft erfahrenen Moderne wäre Selbsttäuschung. "Eine Kritik der Moderne, die sich auch auf ihre Wurzeln in der abendländischen Geistesgeschichte ausstreckt, schließt die mit ihr eng verwobene Theologiegeschichte ein und verunmöglicht alle Versuche einer oberflächlichen, ohne Selbstkritik vollzogenen und vorschnellen Distanzierung der Theologie von der Moderne, nachdem ihre Widersprüche zutage getreten sind und ihre Verabschiedung vielstimmig gefeiert wird." (333) Solche Selbstkritik versucht Z. vor allem, indem er ,geschichtstheologische’ Ansätze in der Moderne untersucht; Z. nennt Barth, Bultmann, Rahner und Pannenberg, behandelt ausführlicher Rahner. Z. erkennt in diesen Entwürfen bei aller Verschiedenheit als grundlegende Gemeinsamkeit ein "apokalyptisches Defizit. Auf Grund dieses Defizits sind sie kaum in der Lage, der Negativität der Geschichte gerecht zu werden, und drohen zur ideologischen Legitimation der bestehenden Realität zu verkommen." (367) Gegen den Verlust der Apokalyptik, die er bereits in den Anfängen christlicher Geschichtstheologie namhaft macht (367 ff.), sieht Z. die Theologie an das Denken Adornos verwiesen, in dem die Hoffnung auf die Veränderung des schlechten Bestehenden und das Eingedenken der Opfer verbunden sind. Das aber macht affirmative und triumphierende Theologie unmöglich; Z.s Studie schließt darum auch vorsichtig: "Die schwachen Spuren des Absoluten sind nur wahrzunehmen, wenn man auf den Schrei seines Vermissens in der Leidensgeschichte hört." (464)

So sehr dies dem Denken Adornos selbst entspricht, bei dem die Theologie als Horizont erscheint, aber eben doch als unerreichbarer, hätte ich Z. mehr Mut zur theologischen Reflexion über Adorno hinaus gewünscht. Seine Arbeit bleibt oft zu dicht an den referierten Gedanken, so daß der Ertrag der sehr weit ausgreifenden Darstellungen wenig deutlich wird. Die Aufgabe einer ,anamnetischen Theologie´ wird von Z. deutlich vor Augen gestellt; solche Theologie wird von Adorno viel zu lernen haben. Sie wartet aber noch auf ihre Einlösung, die über eine Rekonstruktion des Denkens Adornos hinausgehen muß. Es ist Z.s Verdienst, auf dieser Aufgabe zu insistieren zu einer Zeit, die öffentlich sich der Vergangenheit entledigen will und theologisch im unkritischen Rekurs auf eine abstrakte Modernität deren Dialektik verleugnet. Wenn theologisches Denken sich nicht vorschreiben lassen will, das hinter sich zu lassen, was über die Faktizität hinausgeht, bleibt solche gefährliche Erinnerung fundamental.